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26. August 2025 Teil 29: Die Nutzerakzeptanz als Herausforderung beim Einsatz von KI

Leistungsfähige Sprachmodelle und vielfältige KI-Tools haben wir inzwischen. Auch die rechtlichen Vorgaben lassen sich mehr oder weniger meistern. Aber wie erreichen wir, dass Benutzerinnen und Benutzer die Möglichkeiten der KI auch nutzbringend einsetzen? Um mit dieser Herausforderung umzugehen, haben wir heute einen «Use-Case-Guide» publiziert, den wir bei uns intern einsetzen, um mit kleineren und grösseren Schritten jeden Tag mehr Qualität und Effizienz in unserer Arbeit zu erreichen. Dazu Teil 29 unserer Blog-Serie zum verantwortungsvollen KI-Einsatz im Unternehmen.

Die Hype-Stimmung um den Einsatz von generativer KI ist vielerorts verflogen. Manche Unternehmen haben zwar mit Chatbots auf ihrer Website den Kundendienst verbessert, andere haben interne Projekte realisiert (und viele wieder eingestellt) und die meisten Betriebe wollen händeringend ihren Mitarbeitenden irgendein KI-Tool zur Verfügung stellen. Sie greifen dankbar auf Angebote wie Copilot für M365 von Microsoft zurück, die ihnen regelrecht aufgedrängt werden. So können sie immerhin sagen, dass auch sie KI einsetzen. Wir hören allerdings laufend von enttäuschten Anwendern, die nicht wirklich zufrieden sind. Die Gefahr: Benutzer verlieren die Lust am Einsatz von KI oder setzen private, unkontrollierte Tools ein – viele finden ChatGPT zum Beispiel sehr viel besser als Copilot.

Weil nach unserer Beurteilung die meisten dieser Tools viel zu teuer sind, wenn sie flächendeckend eingesetzt werden, und obendrein in den allermeisten Fällen weder funktional, punkto Integration noch rechtlich zufriedenstellend sind, haben wir auf diese verzichtet. Einige wenige Ausnahmen bestätigen die Regel. Wir haben bekanntlich eine eigene Lösung für unsere Bedürfnisse entwickelt – und diese gewinnt auch ausserhalb der Kanzlei immer mehr Zuspruch (sie kann von jedem genutzt werden). Auch das Berufsgeheimnis haben wir im Griff.

Herausforderung Nr. 1: Wir sind Gewohnheitstiere

Die Aspekte Technik, Recht und Kosten haben wir also gelöst. Allerdings kämpfen auch wir mit zwei weiteren Herausforderungen. Die erste Herausforderung ist, dass wir Gewohnheitstiere sind. Wir erledigen unsere Arbeit auf eine bestimmte Art und Weise und sind häufig entweder nicht in der Lage oder nicht bereit, diese anzupassen – selbst wenn dies sinnvoll wäre. Diese gewohnte "Art und Weise" umfasst typischerweise nicht den Einsatz von KI. Das Ergebnis ist, dass wir KI und ihre Möglichkeiten zwar faszinierend finden und auch nichts verpassen wollen, aber sehr schlecht darin sind, sie in unsere Prozesse einzubauen und diese Prozesse bei Bedarf auch umzubauen. Sehr häufig fehlt uns aber einfach nur der Gedanke, einen bestimmten Schritt in unserem Büroalltag der KI zu übertragen. So gehen uns Möglichkeiten, die Qualität oder Effizienz (oder Produktivität, um es anders auszudrücken) unserer Arbeit zu verbessern, durch die Lappen.

Einige Beispiele:

  • Ich muss ein Excel-Formular mit den Angaben eines Falls ausfüllen. Ich könnte dies von der KI machen lassen, aber es kam zunächst gar nicht in den Sinn, dass sie das mit unserem Tool ja kann – obwohl ich es selbst programmiert habe. Dabei erledigt sie in zwei Minuten, wofür ich womöglich eine Stunde brauche. Prüfen muss ich das Ergebnis trotzdem, aber schneller bin ich auf jeden Fall, und oft auch besser.
  • Ich verfasse ein Memorandum und weiss, was ich schreibe. Doch mit der KI erhalte ich plötzlich eine andere Perspektive: einen "advocatus diaboli", der innert Sekunden meine Argumente zerpflücken kann. Nicht, dass alles, was die KI schreibt, Hand und Fuss hat. Aber sie macht meine Arbeit besser. Und am Ende schreibt sie mir das Executive Summary innert einer Minute. Ich muss allerdings daran denken, sie darum zu bitten, und ich muss lernen, wie ich das am besten mache. Der gute Einsatz von KI ist eben auch eine Fertigkeit, und selbst ich, der die Technik in- und auswendig kennt, lerne hier laufend dazu.
  • Ich prüfe einen Vertrag, springe hin und her, suche nach einer Stelle, die ich doch irgendwo weiter oben schon gesehen habe – und verliere unter Umständen viel Zeit damit. Die KI kann mir den Vertrag zwar nicht so prüfen, wie ich das kann, aber sie steht mir in Form eines Chatbots zur Seite und führt all die kleinen Dinge aus, die mir helfen. Allerdings: Ich muss zuerst lernen, damit umzugehen, dass ich einen willigen "KI-Buddy" stets zur Seite habe. So habe ich bisher nie gearbeitet. Ich lasse mir inzwischen auch immer zuerst von der KI das "Big Picture" vermitteln, was meinen Review weiter erleichtert. Unsere Lösung liefert das in einigen Sekunden, direkt innerhalb von Word – ein entscheidender Faktor, wie ich gemerkt habe.
  • Ich war es mir immer gewohnt, Informationen im Internet selbst zu suchen. Ich weiss sehr gut, wie das geht, und Google weiss bekanntlich sehr viel. Aber warum setze ich nicht einen KI-Recherche-Assistenten ein, der in einer Minute 50 Webseiten für mich liest und mir danach einen Bericht abliefert? Ich muss also lernen, zu delegieren (wie also beispielsweise der Auftrag zu formulieren ist) und zu kontrollieren, statt alles selber zu machen.

Es geht also darum, dass jeder Mitarbeitende sich Gedanken darüber machen muss, aus welchen Prozessen seine Arbeit besteht und wo und wie KI ihm dabei helfen kann. Diese Gedanken ergeben sich nicht von allein, und oftmals werden es nur vermeintlich kleine Dinge sein, die die KI besser oder schneller erledigen kann. Aber sie summieren sich. Warum sollte man die KI am Ende einer Vertragsverhandlung nicht auch prüfen lassen, ob alle definierten Begriffe im Vertrag tatsächlich definiert sind? Oder ob die geschwärzten Unterlagen wirklich keine Personendaten mehr enthalten?

Um hier einen Anstoss zu geben, haben wir damit begonnen, unsere Use Cases – wie die oben beschriebenen Beispiele – zusammenzustellen, also unseren Mitarbeitenden zu zeigen, wo und wie ihnen KI im Arbeitsalltag ganz konkret helfen kann. Herausgekommen ist ein Handbuch mit über 70 solcher Use Cases, und laufend kommen welche hinzu. Sie sind alle mit unserem eigenen Tool realisiert und können daher praktisch zum Nulltarif auch im eigenen Betrieb umgesetzt werden.

Das Handbuch wird bei uns durch Schulungen und weitere Massnahmen ergänzt. Das ist derzeit noch eine Daueraufgabe, auch zur Motivation, sich mit dieser Technik auseinanderzusetzen und sie jeden Tag auch einzusetzen. Technikaffin muss dazu niemand sein: Eine Partnerin von mir setzt KI inzwischen jeden Tag ein und möchte nicht mehr darauf verzichten, sagt aber von sich selbst, dass sie nichts von Technik verstehe. Und eine andere Kollegin verriet mir, dass sie damit endlich in der Lage war, eine bestimmte Weisung, die sie bisher nicht verstanden hatte, für sich "auszudeutschen" – sie traute sich nie zu fragen. Dabei sind es sehr häufig die kleinen Use Cases, die hier den Ausschlag geben, wie beispielsweise die Möglichkeit, mit Hilfe der KI Inhalte aus anderen Dokumenten auch dann mit zwei Klicks Texte zu kopieren, auch wenn diese Copy & Paste gar nicht zulassen. Die KI kann das – vorausgesetzt man weiss, wie.

Das Handbuch ist unter http://vischerlnk.com/redink-uc kostenlos verfügbar.

Herausforderung Nr. 2: Verlust unserer Fähigkeiten

Früher oder später kommt sie mit solchen Massnahmen, die sogenannte User Adoption, und dann zeigt sich typischerweise die zweite Herausforderung. Wie sorgen wir dafür, dass unsere Mitarbeitenden nicht zu viel an die KI delegieren und damit selbst allmählich die Fähigkeit oder die Lust verlieren, über Problemlösungen nachzudenken, kreativ zu sein oder sich Wissen selbst anzueignen? Oder wichtige Entscheidungen selbst zu treffen? Dass der Einsatz von generativer KI einen negativen Einfluss auf unser Denkvermögen hat, haben erste Studien bereits gezeigt (so auch in der Schweiz, siehe etwa "AI Tools in Society: Impacts on Cognitive Offloading and the Future of Critical Thinking").

Muss bei uns ein Hochschulabsolvent einen Vertragsentwurf zu einem bestimmten Thema liefern, könnte er zweifellos von der KI einen guten Startpunkt erhalten. Allerdings lernt er dann nicht wirklich, wie ein Vertrag aufgebaut sein muss und welche Regelungen es bedarf, um Probleme zu vermeiden und wichtige Dinge zu klären. Oder welche Tücken das Vertragsdrafting mit sich bringen kann. Das braucht eigene Erfahrung. Wer mit einem weissen Blatt Papier an die Aufgabe gehen muss, tut sich also selbst und der Sache einen Gefallen. Ganz neu ist die Thematik jedenfalls in unserer Branche aber nicht: Bisher war es einfach so, dass nach Vorlagen gesucht wurden, die es in einer grossen Anwaltskanzlei beispielsweise immer gibt. Bei ungeübten Berufsleuten schalten Vorlagen oft das kritische Denken aus – und sind daher gefährlich: Was sie in den Vorlagen lesen, klingt aus ihrer Warte perfekt.

Wird die KI allerdings als Sparringspartner eingesetzt, um den ersten Entwurf zu kritisieren und auf Vollständigkeit und Angemessenheit zu prüfen, lernt der Verfasser sehr viel mehr und die KI ist gewinnbringend eingesetzt. Dabei hat sie den Vorteil, dass er sie Dinge fragen kann, die er eine Person sonst nicht zu fragen wagen würde. Und mit der nötigen Programmierung ist sie auch unerbittlich direkt. Wir sollten uns ausserdem über neue Anwendungsformen Gedanken machen: Wir haben bei uns zum Beispiel ein Programm, mit welchem junge Anwältinnen und Anwälte Vertragsklauseln gegen die KI verhandeln üben können. Sie erläutert ihnen im Nachgang überdies, wie gut sie das gemacht haben – die Chefin oder der Chef sieht das nicht.

Wir müssen also nicht nur Use Cases zeigen und schulen, sondern auch vermitteln, wo es wichtig ist, selbst am Steuer zu bleiben und gedankliche Leistung zu erbringen. Die Kernkompetenzen müssen wir uns erhalten, und wir müssen unsere Denkfähigkeit und Kreativität auch ohne KI trainieren. Denn eines merken die meisten ebenfalls rasch: Auch eine gute KI produziert letztlich Durchschnitt, weil das ihr Konzept ist – sie lernt aus Trainingsmaterial und gewinnt daraus den gemeinsamen Nenner. Das kann in vielen Fällen gut genug sein. Aber in vielen Fällen braucht es auch den Anstoss des Menschen, der "out of the box" denkt, wenn es um die Lösung eines Problems geht. Die KI kann dann dazu benutzt werden, die Idee auszuführen und zu begründen – oder zu testen. Der Entscheid bleibt damit beim Menschen, aber er kann mit KI bessere Arbeit leisten oder produktiver sein. Weniger arbeiten oder arbeitslos werden wir deswegen allerdings nicht – die Anforderungen steigen lediglich.

David Rosenthal

Dieser Beitrag ist Teil einer Serie über den verantwortungsvollen Einsatz von KI im Unternehmen:

Wir unterstützen Sie bei allen Fragen zu Recht und Ethik beim Einsatz von künstlicher Intelligenz. Wir reden nicht nur über KI, sondern setzen sie auch selbst ein. Weitere Hilfsmittel und Publikationen von uns zum Thema finden Sie hier.

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