Close
Wonach suchen Sie?
Seite durchsuchen
8. Mai 2025 Wann ist der Bezug zum ausländischen Wohnort eng genug, um als Lebensmittelpunkt zu gelten

Im vorliegenden zur amtlichen Publikation vorgesehenen Bundesgerichtsentscheid (BGer 9C_496/2023 vom 29. Februar 2024) beschäftigte sich das Bundesgericht mit der spannenden Frage des Lebensmittelpunktes eines Ehepaares, das sowohl Beziehungen zum bisherigen Wohnsitz als auch zum neuen Wohnsitz im Ausland unterhalten hatte, wobei die Ehefrau auch nach der Wohnsitznahme im Ausland jeweils drei Tage in der Schweiz arbeitete.

Sachverhalt

Die Ehegatten A.A. und B.A. wohnten seit dem 1. August 1992 in Bern, wo sie auch unbeschränkt steuerpflichtig waren. Der Ehemann A.A. arbeitete ab 2001 beim Bundesamt C. und ab 1. Juli 2016 vertrat er die Schweiz beim Amt D. in Luxemburg. Der Einsatz im Ausland war zunächst bis zum 30. Juni 2018 befristet. Die Steuerverwaltung der Stadt Bern erfasste den 30. Juni 2016 als Wegzugsdatum ins Ausland. Der Ehemann A.A. wurde ab diesem Zeitpunkt in der Schweiz nicht mehr besteuert und die Ehefrau B.A., die im Teilzeitpensum zu 50% im Spital E. in Bern arbeitete, wurde der Quellensteuer unterstellt. Die Veranlagungsverfügungen für das Steuerjahr 2016 sind in Rechtskraft erwachsen. Auf Ersuchen der Einwohnergemeinde Bern vom 7. März 2018 leitete die Steuerverwaltung des Kantons Bern gegen A.A. und B.A. ein Wohnsitzverfahren ein und bestimmte die Stadt Bern als steuerrechtlichen Wohnsitz, wogegen sich das Ehepaar wehrte.

 


Erwägungen des Bundesgerichts

Die Vorinstanz hat festgestellt, dass das Ehepaar im Jahr 2017 mehr Zeit zusammen in Luxemburg als in der Schweiz verbracht hat (134 Nächte in Luxemburg, 40 Nächte in Bern und 17 Nächte an anderen Orten in der Schweiz). Der Ehemann war 277 Tage in Luxemburg, 40 Tage in Bern sowie 18 weitere Tage an anderen Orten in der Schweiz und die Ehefrau war 134 Tage in Luxemburg, 187 Tage in Bern und 17 weitere Tage an anderen Orten in der Schweiz. Das Ehepaar behielt die seit 2006 in Bern gemietete Wohnung. Die Ehefrau übernachtete dort montags, dienstags und mittwochs, um ihrer Teilzeiterwerbstätigkeit im Spital E. von Dienstag bis und mit Donnerstagmorgen nachzugehen. Mit ihr wohnten zeitweise auch die beiden erwachsenen, aber noch in Ausbildung befindlichen Söhne. Am Donnerstagnachmittag fuhr Frau B.A. jeweils nach Luxemburg und am Montag wieder zurück. Zudem verbrachte sie alle vier bis fünf Wochen ein Wochenende in Bern. In der Schweiz hatte das Ehepaar Bank- und Postkonten, absolvierten hier die Zahnarztbesuche und nahmen ca. alle zwei Monate an Familienanlässen teil. In Luxemburg empfingen sie regelmässig Besuch aus der Schweiz.

Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist für die "Absicht dauernden Verbleibens" nach Art. 23 Abs. 1 ZGB[1], Art. 3 Abs. 2 DBG[2] und Art. 3 Abs. 2 StHG[3] darauf abzustellen, wo der Lebensmittelpunkt der betroffenen Person ist. Hält die Person Beziehungen zu mehreren Orten aufrecht, so wird der steuerrechtliche Wohnsitz am Ort, zu dem die stärkeren Beziehungen gegeben sind, angenommen. Die Absicht des dauernden Verbleibens kann nicht nur bei einer Ortsbindung von unbestimmter Dauer vorliegen, sondern auch bei einer kürzeren Zeit, sofern die betroffene Person den Ort zum Mittelpunkt der Lebensverhältnisse, der geschäftlichen und persönlichen Beziehungen macht und ihm dadurch eine gewisse Stabilität verleiht. In der Regel ist dies bei einer beabsichtigten Aufenthaltsdauer von einem Jahr gegeben.

Für jeden Ehegatten ist selbst bei einer gemeinsamen Besteuerung und einer intakten Ehe der Wohnsitz separat zu bestimmen.

Herr A.A. verbrachte nicht nur deutlich mehr Zeit in Luxemburg, sondern auch das gemeinsame Eheleben fand überwiegend in Luxemburg statt, weswegen sich sein Lebensmittelpunkt in Luxemburg befand.

Frau B.A. verbrachte mehr Tage in Bern, ging dort ihrer unselbständigen Teilzeiterwerbstätigkeit nach und teilte zeitweise die Wohnung mit den erwachsenen Söhnen. Obwohl sie eine stärkere Bindung zu Bern vorwies als Herr A.A., überwog die schwergewichtig in Luxemburg gepflegte eheliche Beziehung ihre Lebensinteressen in der Schweiz, weshalb auch Frau B.A. ihren Lebensmittelpunkt in Luxemburg hatte.

Obwohl Herr A.A. im Ausland wohnte, war er unbestrittenermassen aufgrund seines Arbeitsverhältnisses zum Bund gemäss Art. 3 Abs. 5 DBG für die direkte Bundessteuer in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtig. Strittig war in diesem Zusammenhang die Veranlagungszuständigkeit. Für die Veranlagung der direkten Bundessteuer ist nach Art. 3 Abs. 5 DBG der Heimatort, vorliegend Luzern, und nicht der letzte Wohnsitz im Inland zuständig. Die Veranlagungszuständigkeit des Heimatkantons Herrn A.A.s erfasst grundsätzlich auch die Ehefrau B.A. und hätte nach Art. 3 Abs. 5 S. 4 DBG und Art. 5 Abs. 3 VPNA[4] selbst dann gegolten, wenn Frau B.A. weiterhin ihren Wohnsitz im Inland gehabt hätte.

Die Veranlagungszuständigkeit des Kantons Bern wäre nur dann zu bejahen gewesen, wenn sowohl Herr. A.A. als auch Frau B.A. den Wohnsitz weiterhin im Kanton Bern beibehalten hätten. Gemäss Art. 108 Abs. 1 DBG wäre es Sache der ESTV[5] gewesen, den Veranlagungsort zu bestimmen. Die Verfügung des Kantons Bern ist damit nichtig. Aus prozessökonomischen Gründen entschied das Bundesgericht selbst und verzichtete auf eine Überweisung an die ESTV.

Wegweisender Entscheid zur Bestimmung des steuerlichen Wohnsitzes bei Ehepaaren

Das Bundesgericht stellt fest, dass bei Ehegatten der steuerliche Wohnsitz jeweils einzeln zu bestimmen ist, selbst wenn die Ehe intakt ist und die Ehegatten gemeinsam besteuert werden. Somit wendet das Bundesgericht die zum interkantonalen Verhältnis ergangene Rechtsprechung auch auf internationale Verhältnisse an. Zudem gewichtet das Bundesgericht die Beziehung zum Partner oder zur Partnerin als das wichtigste Kriterium zur Bestimmung des Lebensmittelpunktes.

Unser erfahrenes Steuerteam steht Ihnen mit fundierter Beratung rund um Ihren steuerlichen Wohnsitz zur Seite – sei es bei der Begründung, Verlegung oder den steuerlichen Auswirkungen eines Umzugs. Dank unserer umfassenden Expertise im Schweizer Steuerrecht entwickeln wir massgeschneiderte Lösungen, die genau auf Ihre Situation zugeschnitten sind. Ausserdem verfügen wir über etablierte Kontakte zu ausländischen Experten. Lassen Sie sich persönlich beraten – wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme!

Autoren: Nadia Tarolli, Berti Duymaz

 


[1] Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (SR 210)
[2] Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer vom 14. Dezember 1990 (SR 642.11)
[3] Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden vom 14. Dezember 1990 (SR 642.14)
[4] Verordnung über die Besteuerung von natürlichen Personen im Ausland mit einem Arbeitsverhältnis zum Bund oder zu einer andern öffentlichrechtlichen Körperschaft oder Anstalt des Inlandes vom 20. Oktober 1993 (SR 642.110.8)
[5] Eidgenössische Steuerverwaltung

Autoren