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1. Juli 2025 Geschlechtervertretung im Verwaltungsrat – ab nächstem Jahr wird's ernst!

Nach der GV ist vor der GV. Ein Grossteil der Schweizer Unternehmen hat bis Ende Juni ihr letztes Finanzjahr abgeschlossen, nun schauen die Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen schon langsam Richtung 2026 und bereiten sich auf den nächsten Jahresabschluss vor. Das kommende Jahr wird für gewisse Unternehmen einen besonderen neuen Punkt auf die Tagesordnung der Generalversammlung bringen: die Überprüfung der Vertretung der Geschlechter im Verwaltungsrat.

Im Rahmen der ESG Gesetzgebungsbemühungen in der Schweiz ist in der Aktienrechtsrevision ein neuer Art. 734f ins Obligationenrecht gerutscht. Diese neue Verpflichtung über die Vertretung beider Geschlechter im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung hat in den letzten Jahren aufgrund der vielen anderen Neuerungen und der für die Umsetzung geltenden, längeren Übergangsfristen nicht sonderlich viel Beachtung erfahren. Vielmehr waren grössere Unternehmen mit der Anpassung ihrer Statuten oder, je nach Geschäftsfeld, mit den ersten nicht-finanziellen Berichterstattungen oder Sorgfalts- und Transparenzreports beschäftigt.

Was wird verlangt

Im Jahr 2026 läuft jedoch die fünfjährige Übergangsfrist betreffend die Berichterstattung über die Geschlechtervertretung im Verwaltungsrat ab (Berichterstattungspflicht erstmals ab dem fünften Geschäftsjahr nach Einführung, Inkrafttreten erfolgte per 1. Januar 2021). Somit müssen in Zukunft Unternehmen einer gewissen Grösse jedes Geschlecht zu mindestens 30% im Verwaltungsrat vertreten haben. Art. 734f OR schreibt auch für Geschäftsleitungen eine Mindestvertretung pro Geschlecht von 20% vor, jedoch hat der Gesetzgeber den Geschäftsleitungen eine längere Galgenfrist gewährt, so dass diese die gesetzlichen Quoten erst bis zum Geschäftsjahr 2031 erfüllen müssen.

Aktuell sind Frauen in den Verwaltungsräten der 100 grössten Schweizer Unternehmen mit 33% vertreten. Gemäss der letzten Ausgabe des Schillingreports (https://www.schillingreport.ch/de/schillingreport-2025/), erhöhen die Branchen Medien/ICT und Transport/Logistik/Tourismus (je 37%) den Durchschnitt, während Energie (21%) und produzierende Industrie (23%) diesen senken.

Die grössten Unternehmen in der Schweiz sind somit schon relativ gut aufgestellt, während KMU sich dieser neuen Frage möglicherweise noch nicht mit der gleichen Intensität angenommen haben.

Wer ist betroffen

Betroffen von der Verpflichtung zur Vertretung beider Geschlechter im Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung sind alle Unternehmen, welche mindestens zwei der Schwellenwerte nach Art. 727 Abs. 1 Ziff. 2 OR in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren überschreiten:

  • Bilanzsumme von 20 Millionen Franken;
  • Umsatzerlös von 40 Millionen Franken;
  • 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt.
     

Konsequenzen bei Nichterfüllung

Es wird verschiedene Gründe geben, weshalb ein Unternehmen nicht in der Lage ist, die Verpflichtung von mindestens 30% Vertretung pro Geschlecht im Verwaltungsrat zu erfüllen. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass diesen Unternehmen grosse Sanktionen drohen. Sofern ein Unternehmen die vorgenannten Schwellenwerte überschreitet, die Mindestvertretung beider Geschlechter im Verwaltungsrat jedoch nicht vorweisen kann, muss dieses Unternehmen im Vergütungsbericht darüber Rechenschaft ablegen, (a) weshalb die erforderliche Vertretung nicht erreicht wurde und (b) welche Massnahmen das Unternehmen zur Förderung des ungenügend vertretenen Geschlechts ergreifen möchte. Es gilt somit – wie auch in der nichtfinanziellen Berichterstattung – der Ansatz comply or explain.

Empfohlene Massnahmen

Die Nachfolgeplanung und langfristige Unternehmensentwicklung gehört zu den Kernaufgaben des Verwaltungsrats. Sofern sich ein Verwaltungsrat bisher noch nicht aktiv mit der Geschlechtervertretung auseinandergesetzt hat, empfehlen wir, möglichst bald folgende Fragen intern aufzunehmen:

  • Überschreitet unser Unternehmen die Schwellenwerte nach Art. 734f und 727 Abs. 1 Ziff. 2 OR?
  • Wenn ja, wie sind beide Geschlechter bisher im Verwaltungsrat vertreten?
  • Wenn eines der beiden Geschlechter bisher noch nicht mit mindestens 30% vertreten ist, wer steht auf unserer Shortlist für die Nachfolge im Verwaltungsrat?
  • Wenn auf dieser Shortlist das untervertretene Geschlecht nicht dabei ist, weshalb ist das so? Muss der allgemeine Recruitingprozess überdacht werden oder gibt es andere Gründe, weshalb das untervertretene Geschlecht bisher nicht im erforderlichen (oder gewünschten) Umfang rekrutiert werden konnte?
  • Welche Förderungsmassnahmen, insbesondere auch im Rahmen der internen Förderstrukturen, möchten wir implementieren, um auf eine bessere Vertretung beider Geschlechter hinwirken zu können?

Auch wenn nicht alle Unternehmen sofort die 30%-Schwelle für beide Geschlechter im Verwaltungsrat erreichen werden, ist es wichtig, dass sich der Verwaltungsrat kritisch hinterfragt und dem Thema annimmt. Es ist eine zentrale Aufgabe des obersten Leitungsgremiums, die Nachfolgeplanung auf der Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungsebene zu definieren und Strategien zur Förderung geeigneter externer und interner Kandidaten vorzugeben. Denn nur wenn der Verwaltungsrat Klarheit über die eigene Personalstruktur, die Nachfolgeplanung und mögliche Förderungsmassnahmen hat, kann er sich bei Nichterreichen der 30%-Schwelle sinnvoll und nachvollziehbar erklären.

Autorinnen: Pauline Pfirter, Rahel Widmer, Natacha Tang

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