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20. April 2023 Patentrechtliche Risiken von pharmazeutischen Vertragsherstellern (CMO)

Wie schützen sich CMO vor Klagen?

Pharmazeutische Vertragshersteller ("CMO"[1]) stehen in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass ihre Tätigkeiten keine Patentrechte Dritter verletzen. Unerheblich ist, ob sie ihre Tätigkeiten bloss für ihre Kunden – typischerweise Arzneimittelzulassungsinhaberinnen ("Kundin(nen)") – vornehmen.

CMO sind deshalb dem Risiko ausgesetzt, von Drittparteien, die Inhaber von Patenten sind, in deren Schutzbereich Tätigkeiten von CMO fallen, auf vorsorgliche Massnahmen[2] eingeklagt zu werden. Besonders – aber nicht nur – exponiert sind CMO von Generika und Biosimilars.

Das Urteil S2022_003 des Schweizer Bundespatentgerichts vom 3. Januar 2023 (Massnahmenverfahren, "Urteil S2022_003"[3]) gibt erstmals Aufschluss darüber, wie CMO dieses Risiko minimieren können.

1. Vertragsherstellung als patentrechtlich relevante Handlung

Die Ausschliesslichkeitswirkung eines Patents umfasst grundsätzlich jeden gewerbsmässigen Gebrauch, insbesondere das Herstellen, das Lagern, das Anbieten, das Inverkehrbringen, die Ein-, Aus- und Durchfuhr sowie den Besitz zu diesen Zwecken. Umfasst werden somit grundsätzlich auch Tätigkeiten von CMO, die für ihre Kunden Zwischenprodukte eines Arzneimittels und/oder das finale Produkt herstellen.
 

2. Ausnahme: Für das Zulassungsverfahren vorausgesetzte Handlungen

Ausgenommen von der Patentwirkung bleiben jedoch Handlungen, die für die Zulassung eines Arzneimittels im Inland oder in Ländern mit vergleichbarer Arzneimittelkontrolle[4] vorausgesetzt sind ("Zulassungsprivileg"[5]).

Unter dem Zulassungsprivileg freigestellt sind insbesondere alle Tätigkeiten für die Zwecke von präklinischen und klinischen Versuchen, um Daten für die arzneimittelrechtliche Zulassung zu gewinnen, die Herstellung, die Einfuhr und die Einreichung von (einen geschützten Wirkstoff enthaltenden) Mustern für die Zulassungsbehörde wie auch die für die Zulassung vorausgesetzte Herstellung von Validierungschargen.

Vom Zulassungsprivileg nicht freigestellt bleiben demgegenüber Handlungen, die für die arzneimittelrechtliche Zulassung nicht erforderlich sind; so insbesondere die Herstellung eines patentgeschützten Erzeugnisses auf Vorrat im Hinblick auf dessen Inverkehrbringen nach Ablauf der Patentschutzdauer (sog. stockpiling).

Nach der bundespatentgerichtlichen Rechtsprechung[6] können sich auch CMO für zulassungsrelevante Tätigkeiten auf das Zulassungsprivileg berufen.
 

3. Patentrechtliche Risikoexposition von CMO

Wie die dem Urteil S2022_003 des Schweizer Bundespatentgerichts zugrundeliegende Fallkonstellation zeigt, kann es für eine Patentinhaberin taktisch interessant sein, den CMO (und nicht die Kundin) auf vorsorgliche Unterlassung einzuklagen. Im Erfolgsfall kann die Patentinhaberin über diesen Weg gegen den CMO ein vorläufiges Verbot seiner Tätigkeiten für die infrage stehende Kundin erwirken – und mithin das betroffene Konkurrenzprodukt bereits auf Stufe Entwicklung verhindern oder zumindest erheblich verzögern.

Namentlich kann eine Patentinhaberin gegen einen CMO eine vorsorgliche Unterlassung erwirken, wenn sie glaubhaft macht, dass der CMO

  • bereits Handlungen im Patentschutzbereich vorgenommen hat, die ausserhalb des Zulassungsprivilegs liegen (Wiederholungsgefahr) oder
  • solche Handlungen vorzunehmen gedenkt (Erstbegehungsgefahr).[7]

Im Falle einer solchen Klage ist der CMO gezwungen, den Patentprozess zu führen, obschon sein Interesse sich eigentlich darin erschöpft, für die Kundin blosse Entwicklungs- oder Produktionsleistungen zu erbringen.
 

4. Wie kann sich der CMO konkret vor Klagen schützen?

Den CMO fehlen in vielen Fällen die Informationen zur Schutzrechtssituation zu den Tätigkeiten, die sie für die Kundinnen ausführen. Diese Schutzrechtssituation selbst zu klären, würde voraussetzen, dass CMO für jeden Kundenauftrag ein Ausübungsfreiheitsgutachten (Freedom-to-Operate (FTO) Analyse) erstellen lassen.[8]

Wie das Schweizer Bundespatentgericht im Urteil S2022_003 klargestellt hat, können CMO aber auf eine von ihnen selbst veranlasste unabhängige FTO Analyse verzichten, wenn sie anderweitige Vorkehrungen zum Ausschluss einer Wiederholungs- und Erstbegehungsgefahr treffen:

  • Vorkehrungen zum Ausschluss der Wiederholungsgefahr
    Zwecks Ausschluss der Wiederholungsgefahr muss der CMO sicherstellen, dass keine Tätigkeiten ausserhalb des Zulassungsprivilegs erfolgen, bevor nicht die Schutzrechtssituation geklärt ist. Dazu geeignet erscheinen vertragliche Regelungen mit den Kundinnen zur
    • klaren Abgrenzung zwischen (i) Tätigkeiten für die Erlangung der arzneimittelrechtlichen Zulassung einerseits und (ii) Kommerzialisierung der Vertragsprodukte andererseits und
    • Klarstellung, dass auf die Kommerzialisierung ausgerichtete Tätigkeiten nur vorgenommen werden, nachdem die Kundin mittels einer unabhängigen FTO Analyse den Beleg für die patentrechtliche Ausübungsfreiheit erbracht hat.

Der CMO ist gehalten, die Implementierung dieser vertraglichen Regelungen im Betrieb dokumentiert sicherzustellen, etwa mittels Anweisung an die verantwortliche Belegschaft, dass auf die Kommerzialisierung ausgerichtete Tätigkeiten der expliziten Freigabe des Managements nach geklärter Schutzrechtssituation bedürfen.

  • Vorkehrungen zum Ausschluss der Erstbegehungsgefahr
    Zwecks Ausschluss der Erstbegehungsgefahr muss der CMO dokumentiert sicherstellen, dass Tätigkeiten ausserhalb des Zulassungsprivilegs nur nach Vorliegen einer die Ausübungsfreiheit bestätigenden, unabhängigen FTO Analyse der Kundin erfolgen.[9]
  • Vorkehrungen zur Schadloshaltung
    Schliesslich ist dem CMO zu empfehlen, in den vertraglichen Regelungen mit den Kundinnen eine umfassende Schadloshaltungsklausel (Indemnification) für den Fall vorzusehen, dass sich der CMO aussergerichtlich oder gerichtlich gegen Patentverletzungsvorwürfe Dritter verteidigen muss.

 


[1]      Im vorliegenden Kontext umfasst sein sollen Contract Manufacturing Organizations (CMO), Contract Research Organizations (CRO) und Contract Development and Manufacturing Organizations (CDMO).

[2]      Vorliegend von Bedeutung sind vorsorgliche Massnahmen, die darauf gerichtet sind, dem CMO Entwicklungs- und/oder Produktionstätigkeiten für eine Kundin wegen drohender Patentverletzung vorläufig gerichtlich zu verbieten.

[3]      Die Autoren weisen darauf hin, dass sie im Verfahren S2022_003 als Parteivertreter mitwirkten. Das Urteil S2022_003 ist abrufbar unter www.bundespatentgericht.ch.

[4]      Dazu zählen gegenwärtig Australien, EU und EFTA-Länder, Grossbritannien, Japan, Neuseeland, Singapur und USA (Swissmedic, Liste aller Länder mit vergleichbarer Arzneimittelkontrolle, Stand 28. Februar 2023, abrufbar unter www.swissmedic.ch).

[5]      Das Zulassungsprivileg in der Schweiz ist von der "Bolar"-Bestimmung des US-amerikanischen Hatch-Waxman Act inspiriert, geht inhaltlich aber weiter, indem es nicht auf Tätigkeiten zur Einführung von Generika oder Biosimilars beschränkt ist. Es umfasst grundsätzlich alle Handlungen, die regulatorisch in der Schweiz oder den Ländern mit anerkanntermassen vergleichbarer Arzneimittelkontrolle erforderlich sind, um die arzneimittelrechtliche Zulassung zu erlangen.

[6]      Urteil S2022_003, E. 24.

[7]      Urteil S2022_003, E. 23.

[8]      Zu beachten ist, dass vor dem Gericht nur eine von unabhängiger Seite erstellte FTO Analyse eine Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr abzuwenden vermag. Eine bloss interne (d.h. von der Kundin oder dem CMO selbst erstellte) FTO Analyse ist dazu nicht geeignet (Urteil S2022_003, E. 26).

[9]      Urteil S2022_003, E. 25. und 26.

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