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Wegzugssteuer darf trotz unbeschränkter und unverzinslicher Stundung festgesetzt und gegebenenfalls von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden (Urteil Bundesfinanzhof vom 6. September 2023, I R 35 / 20)
Besteuerung des fiktiven Veräusserungsgewinns
Zieht eine natürliche Person, die innerhalb der letzten zwölf Jahren insgesamt mindestens sieben Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war, von Deutschland in die Schweiz, beendet sie ihre unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland. Sie wird neu in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtig.
Im Unterschied zur Schweiz kennt Deutschland eine Wegzugsbesteuerung auch bei natürlichen Personen mit Anteilen im Privatvermögen. Diese betrifft Anteile an einer Kapitalgesellschaft (in oder ausserhalb Deutschlands), wenn der Anteilsinhaber innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens einem Prozent beteiligt war (§ 6 Abs. 1 AStG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG). Der Wegzug wird also so betrachtet, als hätte der Emigrant diese Anteile veräussert, mit dem Resultat, dass der nicht realisierte Wertzuwachs in Deutschland besteuert wird. Hingegen sah bei Wegzug in das EU/EWR-Ausland § 6 Abs. 5 AStG eine zinslose unbefristete Stundung der Einkommenssteuer vor. Bei Wegzug in ein Drittland wie die Schweiz bestand aber lediglich bei unbilliger Härte eine Möglichkeit der Stundung und diese war auf fünf Jahre beschränkt.
EuGH-Urteil: Unvereinbarkeit der Wegzugsbesteuerung mit dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz (FZA)
Die Wegzugsbesteuerung in Deutschland macht es deutschen Unternehmern schwer oder unmöglich, in die Schweiz zu ziehen. Deshalb zog Herr Wächtler, der im März 2011 seinen Wohnsitz von Deutschland in die Schweiz verlegte, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der EuGH urteilte am 26. Februar 2019 (C-581/17), dass die deutsche Wegzugsbesteuerung nicht mit dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz (FZA) zu vereinbaren sei. Herr Wächtler erleide einen steuerlichen Nachteil im Vergleich zu anderen deutschen Staatsangehörigen, die wie er eine selbständige Tätigkeit im Rahmen einer Gesellschaft ausübten, an der sie Anteile halten, aber im Unterschied zu ihm ihren Wohnsitz in Deutschland beibehielten. Diese müssten nämlich die Steuer für latente Wertzuwächse der betreffenden Gesellschaftsanteile erst zahlen, wenn diese Wertzuwächse realisiert würden, d.h. bei der Veräusserung der Gesellschaftsanteile, während ein Staatsangehöriger wie Herr Wächtler die fragliche Steuer für die latenten Wertzuwächse solcher Gesellschaftsanteile im Zeitpunkt der Verlegung seines Wohnsitzes in die Schweiz zahlen müsse, ohne einen Zahlungsaufschub bis zur Veräusserung der Anteile erhalten zu können. Diese Ungleichbehandlung, die einen Liquiditätsnachteil für Herrn Wächtler darstelle, sei geeignet, ihn davon abzuhalten, von seinem Niederlassungsrecht gemäss dem FZA tatsächlich Gebrauch zu machen.
Anpassung der Verwaltungspraxis vom Finanzgericht Baden-Württemberg in Frage gestellt
Mit Schreiben vom 13. November 2019 nahm das Bundesfinanzministerium (BFM) zu den Konsequenzen des EuGH-Urteil Stellung. Analog zu § 6 Abs. 5 AStG a.F. soll für Wegzugsfälle in die Schweiz eine verzinsliche Stundungsmöglichkeit über fünf Jahre ohne Nachweis einer erheblichen Härte gelten.
Die geänderte BFM-Praxis wurde aber vom Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 31. August 2020 (2 K 835/19) verworfen. Das FG erwog, dass die geänderte Verwaltungspraxis den Vorgaben des EuGH-Urteils nicht gerecht werde, da sie keine automatische, dauerhafte und zinslose Stundung vorsehe. Sodann kam das FG zum Schluss, dass die Steuerfestsetzung den Bestimmungen des FZA nicht gerecht werde und deshalb rechtswidrig sei.
Stundung ist gegebenenfalls von der Leistung einer Sicherheit abhängig
Der Bundesfinanzhof (BFH) widerspricht im Urteil vom 6. September 2023, I R 35/20, teilweise dem Verdikt der Vorinstanz. Zwar sei im konkreten Fall des Wegzugs in die Schweiz entgegen dem Wortlaut von § 6 AStG die Wegzugssteuer von Amtes wegen dauerhaft (bis zur tatsächlichen Veräusserung der Gesellschaftsanteile) und zinslos zu stunden, was aber das Finanzamt nicht daran hindere, die Steuer im Wegzugszeitpunkt festzusetzen und den Aufschub der Einziehung der Steuer gegebenenfalls von der Leistung einer Sicherheit abhängig zu machen.
Zu erwähnen bleibt, dass dieses Urteil einen Fall aus dem Jahre 2011 betrifft. In der Zwischenzeit wurde bei Wegzügen nach dem 31. Dezember 2021 unabhängig vom Zielstaat die Wegzugsbesteuerung verschärft. Ob dieses Urteil auch für Wegzüge nach dem 31. Dezember 2021 gilt, bleibt zu klären.
Der Umzug in die Schweiz ist also mit Kofferpacken noch nicht getan, aber das Damoklesschwert der Wegzugssteuer hängt höher als auch schon.
Weitere Auskunft erteilen Ihnen gerne Tobias F Rohner (Partner, Tax) und Adrian Briner (Counsel, Tax).
Rechtsanwalt, dipl. Steuerexperte
dipl. Wirtschaftsprüfer, dipl. Steuerexperte
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