
Grenzüberschreitende Tätigkeit mit A1-Bescheinigung: Erleichterung oder Bürde?
Innerhalb des EU/EFTA Raumes finden geschäftliche Tätigkeiten über die Landesgrenzen hinweg häufig statt. Viele wissen jedoch nicht, dass Mitarbeitende für solche geschäftliche Tätigkeiten - auch von einer nur sehr kurzen Dauer - zum Nachweis ihrer Sozialversicherung im Heimatland eine A1-Bescheinigung benötigen. Diese dient in erster Linie der Befreiung von einer erneuten Unterstellung unter die Sozialversicherungspflicht im Gastland. Der Bürokratieaufwand für die Unternehmen kann insbesondere bei sehr kurzen geschäftlichen Aufenthalten im benachbarten EU/EFTA Ausland enorm und unverhältnismässig sein. Während der Verstoss der A1-Pflicht lange Zeit mit hohen Sanktionen bestraft wurde, scheinen aber insbesondere angrenzende Länder unter anderem aufgrund der penetranten Reformbestrebungen in der EU einen pragmatischeren Umgang zu wählen.
Allgemeines zur A1-Bescheinigung
Zur Koordination der Sozialversicherungssysteme hat die Schweiz mit der EU und der EFTA verschiedene Abkommen abgeschlossen (vgl. hierzu den Blogpost Sozialversicherungspflicht für ausländische Arbeitnehmende. Das Ziel dieser Koordinationsregelungen ist es, in mehreren Staaten tätige Arbeitnehmende, so weit wie möglich einem einzigen Sozialversicherungssystem zu unterstellen. Damit soll insbesondere die Dienstleistungsfreiheit innerhalb der EU/EFTA gestärkt werden.
Werden Arbeitnehmende in mehreren EU/EFTA Staaten beruflich tätig, müssen sie zum Nachweis der Sozialversicherungspflicht im Ursprungsland für jede Tätigkeit in einem anderen EU/EFTA Staat eine A1-Bescheinigung vorweisen können. Grundsätzlich muss bei jedem geschäftlichen Aufenthalt im Ausland – sogar von nur wenigen Stunden – eine A1-Bescheinigung vorgezeigt werden können, welche im Voraus bei der zuständigen Sozialversicherungseinrichtung einzuholen ist. In der Schweiz ist die jeweilige Ausgleichskasse zuständig, wobei die Beantragung je nach Ausgleichskasse über die Plattform ALPS (Applicable Legislation Platform Switzerland) oder mittels schriftlichem Formular möglich ist. Die A1-Bescheinigung sollte innerhalb von maximal einer Woche seit Beantragung durch die betreffende Ausgleichskasse ausgestellt werden können. Anders als bei der vorübergehenden Entsendung, wo jeweils für jeden Auslandeinsatz eine A1-Bescheinigung zu beantragen ist, kann bei Mehrfachtätigkeit die A1-Bescheinigung von Anfang an für einen längeren Zeitraum (maximal ein Jahr mit Verlängerungsmöglichkeit) ausgestellt werden. Die Bescheinigung hat nur deklaratorischen Charakter, weshalb auch eine nachträgliche Ausstellung möglich ist.
Trotz der grundsätzlich ausnahmslosen Pflicht zur Vorweisung einer A1-Bescheinigung, hält das schweizerische Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) die vorgängige Beantragung für sehr kurze, einmalige Auslandsreisen in den meisten Fällen für unverhältnismässig. Diese Beurteilung obliegt jedoch den Behörden des Gastlandes, weshalb auch das BSV rät, in jenen Ländern, in welchen das Nichtvorweisen sanktioniert wird, auch für Kurzaufenthalte eine A1-Bescheinigung zu beantragen.
Kontrollen und Sanktionen im Ausland
Das Vorhandensein einer A1-Bescheinigung wird von den Behörden einiger Länder am Arbeitsplatz oder an der Grenze kontrolliert, insbesondere um Lohndumping zu vermeiden (z.B. im Verkehrs- oder Bausektor). Je nach Land kann es zu Bussen (teilweise bis zu mehreren tausend Euro) oder einer Pflicht zur Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen im Gastland kommen, wenn die A1-Bescheinigung nicht vorgewiesen wird.
In Österreich kann das Nichtvorweisen einer A1-Bescheinugng durch den Arbeitnehmenden beispielsweise mit Busse von 1'000.- bis zu 20'000.- Euro bestraft werden. Alternativ sind die Sozialversicherungsbeiträge des Gastlandes vor Ort zu bezahlen. Trotz dieser sehr hohen Sanktionen sieht das österreichische Gesetz eine Ausnahme von der A1-Bescheinigungspflicht für die Erbringung von Arbeiten in geringem Umfang und kurzer Dauer vor, wie insbesondere die Entsendung für eine geschäftliche Besprechung oder für die Teilnahme an Seminaren und Vorträgen oder Kongressen. Diese Arbeitseinsätze sind aber nur dann ausgenommen, wenn es bei ihnen bleibt und nicht weitere Arbeiten an sie anschliessen.
Ähnlich ist die Rechtslage in Deutschland, wo das Fehlen einer A1-Bescheinigung bei unregelmässigen und kurzzeitigen Dienstreisen bis zu einer Woche nicht zu Sanktionen führt, sofern grundsätzlich die Voraussetzungen für die Erteilung gegeben sind. Allenfalls muss eine A1-Bescheinigung nachträglich beantragt und nachgereicht werden (vgl. hierzu das Informationsblatt durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)).
Anders als in diesen Ländern ist zum Beispiel in Frankreich für jede auch nur geringfügige geschäftliche Tätigkeit eine A1-Bescheinigung erforderlich und wird im Falle des Nichtbeachtens mit hohen Bussen bestraft. Das Nichtvorweisen einer A1-Bescheinigung bleibt aber sanktionslos, wenn bei einer Kontrolle der Nachweis erbracht wird, dass der Antrag auf eine A1-Bescheinigung eingereicht wurde und anschliessend innerhalb von zwei Monaten die A1-Bescheinigung vorgelegt werden kann.
Ausblick
Auch wenn in Ländern wie Österreich oder Deutschland insbesondere in Bezug auf Kurzaufenthalte pragmatisch mit der Pflicht einer A1-Bescheinigung umgegangen wird, ist die EU und die EFTA in Bezug auf mögliche Sanktionen, welche ein Nichtvorweisen einer A1-Bescheinigung nach sich ziehen können, ein Flickenteppich. Um saftige Geldbussen zu vermeiden, lohnt sich daher ein vorsorgliches Einholen einer A1-Bescheinigung oder eine Beratung bei Experten vor der geschäftlichen Tätigkeit im Ausland. Beides ist mit erheblichen Aufwendungen verbunden. Ein Zustand, der die grenzüberschreitende Zusammenarbeit insbesondre für kleinere Unternehmen im Grenzgebiet unverhältnismässig erschwert.
Aus diesem Grund waren in der EU verschiedene Vorstösse im Gang, um kurze Geschäftsreisen innerhalb der EU/EFTA Staaten zu erleichtern. Der Rat lehnte jedoch einen Kommissionsvorschlag zur Abschaffung der A1-Bescheinigungspflicht für kurze Auslandaufenthalte im März 2019 ab. Ein weiterer Vorstoss zur Abschaffung der Pflicht für eine A1-Bescheinigung bei kurzen Geschäftsreisen wird erneut im Europäischen Parlament diskutiert (vgl. hierzu: Dokument der Europäischen Kommission zur Ermittlung und Beseitigung von Hindernissen für den Binnenmarkt vom 10. März 2020 und Analyse der aktuellen Situation durch das Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz vom 22. Oktober 2019). Somit lassen nicht nur einzelne Regelungen in angrenzenden Ländern, sondern auch die penetranten Reformbestrebungen in der EU auf einen pragmatischen Umgang mit der A1-Bescheinigung hoffen.
Autor: Urs Haegi