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26. April 2023 Vergütung von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der Schweiz

Was sind DiGA?

DiGA eröffnen vielfältige Möglichkeiten zur Unterstützung bei der Erkennung und Behandlung von Krankheiten gleichermassen für medizinische Fachpersonen wie für Patientinnen und Patienten. Für Letztere können DiGA ein wichtiges Hilfsmittel zu einer selbstbestimmten gesundheitsförderlichen Lebensführung sein. Den DiGA wird mithin ein grosses Potenzial einbeschreiben, die ärztliche Therapie zu ergänzen und die individuelle Prävention und Nachsorge zu ermöglichen bzw. zu optimieren.

Im Schweizer Recht findet sich bis dato keine Definition des Begriffs "digitale Gesundheitsanwendung". Das BAG definiert digitale Gesundheitsanwendungen als Medizinprodukte, "deren medizinischer Zweck durch die Hauptfunktion der digitalen Technologien erzielt wird".[1] Begrifflich umfasst sind somit gemeinhin medizinische Leistungen, wie etwa der Erkennung, Verhütung oder Behandlung von Krankheiten, Verletzungen und Behinderungen, die hauptsächlich durch Technologien vermittelt werden, die auf (Computer-)Hardware, Software und Vernetzung beruhen. Gesundheits-Apps für Smartphones sind eine gängige Erscheinungsform. Zu denken ist aber auch an browserbasierte Webanwendungen, an Software für die Nutzung auf klassischen Desktop-Computern oder an telemedizinische Dienstleistungen und digitale Überwachungstools (Telemonitoring). Begrifflich unerheblich ist, ob eine DiGA ausschliesslich von medizinischen Fachpersonen als Hilfsmittel für die Berufsausübung, von Patientinnen oder Patienten in Selbstanwendung oder gemeinsam von medizinischen Fachpersonen und Patientinnen oder Patienten eingesetzt wird.

Typische medizinische Anwendungsgebiete von DiGA sind etwa die Diabetologie, Kardiologie, Logopädie, chronische Ernährungserkrankung, Psychotherapie oder Physiotherapie.

Vergütung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP)

DiGA sind in der Schweiz im Rahmen der geltenden Regularien in der obligatorischen Krankenversicherung ("OKP") grundsätzlich erstattungsfähig. Anders als in gewissen anderen Ländern erfolgt der DiGA-Vergütungsprozess in der Schweiz über das bestehende System für OKP-Leistungen.

OKP-Antragsprozesse

Das Krankenversicherungsrecht bietet verschiedene Möglichkeiten, um für DiGA bzw. DiGA-Leistungen eine Erstattung durch die OKP zu erlangen. Im Vordergrund stehen die Vergütung als ärztliche Leistung, d.h. als Anwendung durch ärztliche und nichtärztliche Fachpersonen über die Aufnahme in die OKP-Liste gemäss Art. 25 Abs. 2 Bst. a KVG oder als Selbstanwendung durch Patientinnen und Patienten oder Pflegefachpersonen über die Aufnahme in die MiGeL gemäss Art. 25 Abs. 2 Bst. b KVG. Ein Antrag auf Aufnahme einer ärztlichen Leistung kann zuhanden der Eidgenössischen Kommission für Leistungen und Grundsatzfragen (ELGK) und die Aufnahme in die MiGeL zuhanden der Eidgenössischen Kommission für Analysen, Mittel und Gegenstände mittels der dafür bereitgestellten Formulare eingereicht werden. Als weitere Möglichkeit kommt die Kostenübernahme ohne Aufnahme in eine OKP-Liste gestützt auf die gesetzliche Pflichtleistungsvermutung im Sinne von Art. 25 Abs. 1 KVG in Frage.

Um im Rahmen der OKP erstattet zu werden, müssen DiGA ungeachtet des gewählten Antragsprozesses (1) die Voraussetzungen der Medizinproduktregulierung einhalten und (2) müssen die DiGA-Leistungen die WZW-Kriterien der krankenversicherungsrechtlichen Regulierung erfüllen. Zusätzlich müssen ihnen unter dem Krankenversicherungsrecht konkrete Erstattungsbeträge (Tarife oder Höchstvergütungsbeträge) zugeordnet werden.

Erste Voraussetzung: Marktfähigkeit als Medizinprodukt

Bei den Leistungen, die von der Kostenübernahme der OKP umfasst werden, handelt es sich zwingend um medizinische Leistungen. Entsprechend können von der OKP nur digitale Anwendungen vergütet werden, die einem medizinischen Zweck dienen. Solche digitalen Anwendungen sind regulatorisch stets als Medizinprodukte zu qualifizieren, d.h. als Produkte, die für die medizinische Verwendung bestimmt sind oder angepriesen werden und deren Hauptwirkung nicht durch ein Arzneimittel erreicht wird (Art. 4 Abs. 1 Bst. b. HMG).

Eine DiGA kommt entsprechend nur dann für die Kostenübernahme im Rahmen der OKP in Frage, wenn sie die regulatorischen Anforderungen erfüllt, welche die MepV für die Marktfähigkeit von Medizinprodukten in der Schweiz vorschreibt. Dies setzt insbesondere voraus, dass die DiGA erfolgreich ein Konformitätsbewertungsverfahren – und mithin eine datenschutzrechtliche und IT-Sicherheitsprüfung – durchlief.

Zweite Voraussetzung: Erfüllung der WZW-Kriterien nach KVG

Die OKP übernimmt die Kosten für allgemeine Leistungen bei Krankheit (Art. 25 KVG), für Pflegeleistungen bei Krankheit (Art. 25a KVG), für bestimmte Massnahmen der medizinischen Prävention (Art. 26 KVG), für nicht von der Invalidenversicherung gedeckte Geburtsgebrechen (Art. 27 KVG), für Unfälle (Art. 28 KVG), für die Mutterschaft (Art. 29 KVG), für den straflosen Schwangerschaftsabbruch (Art. 30 KVG) sowie – in engen Grenzen – die Kosten für zahnärztliche Behandlungen (Art. 31 KVG).

Zentrale Voraussetzung für die OKP-Vergütungsfähigkeit ist gemäss Art. 32 Abs. 1 KVG, dass die infrage stehende Leistung wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich ist ("WZW-Kriterien"). Die WZW-Kriterien müssen kumulativ erfüllt sein und müssen auf zwei Ebenen berücksichtigt werden: Erstens von der behandelnden ärztlichen oder nichtärztlichen Fachperson bei der Beurteilung im konkreten Fall, und zweitens vom Verordnungsgeber bei der Bezeichnung der von der OKP zu übernehmenden Leistungen.[2]

Unter dem Kriterium der Wirksamkeit wird die medizinische Wirkung einer Leistung überprüft. Eine Leistung gilt als wirksam, wenn sie (i) objektiv geeignet ist, auf das angestrebte diagnostische oder therapeutische Ziel hinzuwirken, (ii) ein günstiges Verhältnis von Nutzen und Schaden im Vergleich zu alternativen Leistungen nach wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen ist und (iii) die Übertragbarkeit der Studienresultate auf die schweizerische klinische Praxis angenommen werden kann.[3] Gemeinhin umfasst die Abschätzung der Wirksamkeit einer medizinischen Technologie die drei Teilbereiche: Efficacy (Wirksamkeit unter Studienbedingungen), Effectiveness (Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen in der Routineversorgung) und Safety (Sicherheit).[4]

Beim Kriterium der Zweckmässigkeit wird geprüft, ob eine medizinische Leistung den angestrebten Behandlungserfolg im konkreten Einzelfall angemessen zu erzielen vermag. Im Fokus steht somit ein günstiges Nutzen-Risiko Verhältnis.[5] Eine Leistung ist zweckmässig, wenn sie (i) im Vergleich zu alternativen Verfahren für die Patientenversorgung relevant und geeignet ist, (ii) mit den rechtlichen Bedingungen, den ethischen und sozialen Aspekten oder Werten vereinbar ist und (iii) die Qualität sowie die angemessene Anwendung in der Praxis gewährleistet sind.[6]

Für die Wirtschaftlichkeit sind die Kosten einer medizinischen Leistung massgebend. Eine Leistung ist wirtschaftlich, wenn (i) deren Tarife und Preise nachvollziehbar bemessen sind, (ii) sie im Vergleich zu den alternativen Verfahren ein günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis bezogen auf die direkten Gesundheitskosten aufweist oder den Mehrkosten ein entsprechender Mehrnutzen gegenübersteht und (iii) die Kostenauswirkungen auf die obligatorische Krankenpflegeversicherung tragbar sind.[7]

Für weitere Informationen zu diesem oder anderen gesundheitsrechtlichen Themen wenden Sie sich jederzeit gerne an unser Gesundheitsrecht und Life Sciences Team.

Der Blogbeitrag basiert auf einem Beitrag von Dr. iur. et dipl. sc. nat. ETH Stefan Kohler, Rechtsanwalt, VISCHER AG, Zürich und BSc., MLaw Angelina Rau, Rechtsanwältin, VISCHER AG, Zürich, Doktorandin PhD Biomedical Ethics and Law, Universität Zürich, zur Vergütung von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der Schweiz, erschienen in Life Sciences Recht, LSR Ausgabe 1, 2023, S. 13-22.>
 


[1]        Faktenblatt des BAG vom 31. März 2023 (https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/kuv-leistungen/leistungen-und-tarife/verguetung_digitale_anwendungen_31_03_2022.pdf.download.pdf/FAQ_Verg%C3%BCtung%20digitale%20Anwendungen_clean_20220331.pdf).

[2]        Eugster Gebhard, in: Stauffer Hans-Ulrich/Cardinaux Basile (Hrsg.), Rechtsprechung des Bundesgerichts zum KVG, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2018, Art. 32 N 1; BSK KVG-Oggier/Vokinger, Art. 32 N 3.

[3]        Grundlagendokument Operationalisierung WZW-Kriterien, 5 f. m.w.H.

[4]        Grundlagendokument Operationalisierung WZW-Kriterien, 9.

[5]        BGE 127 V 138 E. 5.

[6]        Grundlagendokument Operationalisierung WZW-Kriterien, 6 m.w.H.

[7]        Grundlagendokument Operationalisierung WZW-Kriterien, 6 f. m.w.H.; BGE 136 V 395 E. 7.4.

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