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Kategorien: Steuern, Blog
(Aus-)Nutzung des interkantonalen Steuerwettbewerbs mittels Sitzgesellschaften – Eine Frage der Steuerhinterziehung?
Ein kürzlich ergangenes Bundesgerichtsurteil (9C_710/2022 vom 17. August 2023) in einem Doppelbesteuerungsfall motiviert den Fiskus, solche und andere Doppelbesteuerungsfälle auch steuerstrafrechtlich zu untersuchen. Es ging um den folgenden Sachverhalt:
Sachverhalt
Das Ehepaar A. wohnte seit 2010 zusammen mit ihren beiden Töchtern in einem neu erstellten Eigenheim im Kanton St. Gallen. Der Ehemann praktizierte seit Juni 2011 als selbständig erwerbender Arzt im Kanton Schwyz. Die ältere Tochter besuchte seit 2018 die Kantonsschule in C. Die jüngere Tochter besuchte im Jahr 2018 eine Privatschule in C. Bis zur Steuerperiode 2017 war das Ehepaar durch den Kanton St. Gallen veranlagt worden. Per 11. April 2018 meldete sich das Ehepaar A. in den Kanton Schwyz an die Geschäftsadresse des Ehemannes ab und teilte der Steuerverwaltung mit Schreiben vom 30. April 2018 mit, dass sich ihr zivilrechtlicher Wohnsitz in der Gemeinde E. im Kanton Schwyz befinde. Nachdem das Kantonale Steueramt St. Gallen dem Ehepaar mitgeteilt hatte, dass der steuerliche Wohnsitz ab 2018 abgeklärt werde, fand ein Gespräch zwischen dem Ehepaar A. und dessen Vertreterin sowie dem zuständigen Steuerkommissär statt. Letzterer hielt in einer E-Mail an die Vertreterin unter anderem fest, der Wohnsitz der Familie habe sich im Jahr 2018 im Kanton St. Gallen befunden. Im Kanton Schwyz habe nicht einmal eine offizielle Wohngelegenheit bestanden. Die zivilrechtliche Anmeldung sei lediglich aus Gründen der Beschulung der Kinder vorgenommen worden. Vor Bundesgericht und vor dem Verwaltungsgericht St. Gallen war nicht mehr strittig, dass das Ehepaar den steuerlichen Wohnsitz im 2018 im Kanton St. Gallen hatte. Strittig war aber, ob dem Revisionsgesuch an die Adresse des Kantons Schwyz Rechtsmissbrauch entgegenstehe, was das Bundesgericht in teilweiser Abkehr von dessen bisheriger Rechtsprechung verneinte. Somit hatte das Ehepaar lediglich im Kanton St. Gallen Steuern zu zahlen. Das Urteil wurde von der Beratungsbranche grundsätzlich positiv aufgenommen (vgl. VISCHER, Steuer Update 2024, Seite 10, abrufbar hier.)
Visualisierung des Sachverhalts
Erwägungen
Quasi als Kompensation zur Aufgabe der Praxis zur Verwirkung des doppelbesteuerungsrechtlichen Beschwerderechts liest sich die folgende Erwägung (2.5.3) des Bundesgerichts:
"Der zur Besteuerung berechtigte Kanton ist dem Fehlverhalten von steuerpflichtigen Personen aber auch im interkantonalen Verhältnis nicht hilflos ausgeliefert. Denn solches Fehlverhalten – vor allem die fehlerhafte Deklaration oder die Erteilung falscher oder unvollständiger Auskünfte – wird regelmässig den Tatbestand der versuchten Steuerhinterziehung erfüllen […]."
Verdacht auf versuchte Steuerhinterziehung
Das Steueramt Zürich hat offensichtlich diesen Wink des Bundesgerichts zum Anlass genommen, um interkantonale Doppelbesteuerungsfälle genauer zu untersuchen und konfrontiert juristische Personen mit einem statutarischen Sitz ausserhalb des Kantons Zürich, deren tatsächlicher Sitz (place of effective management) im Kanton Zürich vom Fiskus nachgewiesen werden konnte, mit dem Vorwurf der versuchten Steuerhinterziehung.
Gemäss einigen Kommentatoren kann die Nutzung einer Briefkastenfirma u.U. den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllen. Briefkastenfirmen sind Mailbox-Firmen, Papierfirmen, Scheinfirmen und Mantelgesellschaften. Sie sind v.a. in internationalen Konstellationen anzutreffen. Ihnen fehlt es regelmässig an Substanz oder wirtschaftlicher Tätigkeit; es gibt keine oder nur minimale nichtfinanzielle Vermögenswerte, Mitarbeiter, Geschäftstätigkeit. Sie habe keine physische Präsenz, die über ein "Messingschild" hinausgeht. Sie sind in der Regel anonym, weil die Identität der Eigentümer verschleiert werden soll. Sie spiegeln etwas vor, was es nicht gibt.
Verfügt die Unternehmung aber über eine feste Geschäftseinrichtung und übt sie eine Geschäftstätigkeit aus, kann nicht mehr von einer Briefkastenfirma die Rede sein, selbst wenn die fragliche Geschäftseinrichtung wenig oder gar nicht benutzt wird. Die digitalisierte Arbeitswelt ermöglicht es Unternehmen, ihre Geschäftstätigkeit losgelöst von Ort und Zeit auszuüben, weshalb eine Gesellschaft mit einer Geschäftstätigkeit, an deren statutarischem Sitz aber keine Arbeit ausgeübt wird, nicht als Briefkastenfirma gelten kann. Denn im Unterschied zu einer Briefkastenfirma soll mit einer Unternehmung, die über personelle, funktionelle oder finanzielle Substanz verfügt, aber am Hauptsitz keine Arbeitnehmer beschäftigt, nichts gegenüber dem Fiskus verheimlicht werden. Entsprechend kann auch eine Gesellschaft mit statutarischem Sitz ausserhalb des Kantons Zürich, deren tatsächlicher Sitz vom Steueramt nach Zürich gezogen wird, nicht den Tatbestand der versuchten Steuerhinterziehung erfüllen. Vorbehalten bleiben immerhin diejenigen Fälle, in denen ein Steuerpflichtiger mit krimineller Energie die Steuerbehörden belügt, Dokumente fälscht oder bestimmte Machenschaften trifft, um die tatsächlichen Verhältnisse zu vertuschen.
Autoren: Tobias F. Rohner, Christoph Niederer und Fabio Paggiola
Rechtsanwalt, dipl. Steuerexperte
M.A. HSG in Accounting and Finance
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