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Am 1. Juli 2019 ist die Verordnung EU 2019/933 als Änderung der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 über das ergänzende Schutzzertifikat von Arzneimitteln in Kraft getreten. Damit wurde in der EU der sog. "SPC Manufacturing Waiver" eingeführt. Beim SPC Manufacturing Waiver handelt es sich um eine Ausnahmeregelung vom Grundsatz, wonach einem Ergänzenden Schutzzertifikat ("ESZ" oder (englisch) "SPC" - Supplementary Protection Certificate) dieselbe Wirkung wie dem Grundpatent zukommen soll.
Der SPC Manufacturing Waiver nimmt folgende Handlungen aus der Schutzwirkung des ESZ heraus:
Das bedeutet, dass Innovatoren in der EU nicht mehr in der Lage sind, gestützt auf ein ESZ
Die Verordnung EU 2019/933 auferlegt den Produzenten von Generika/Biosimilars eine Anzeigepflicht. Insbesondere müssen Produzenten, die vom SPC Manufacturing Waiver Gebrauch machen, dies dem Patentamt in dem Mitgliedstaat, in dem die Herstellung stattfindet, sowie dem ESZ-Inhaber spätestens drei Monate nach Beginn der Herstellung zur Kenntnis bringen. Darüber hinaus müssen für die Ausfuhr in Drittstaaten hergestellte Produkte mit einem Vermerk "EU export" versehen werden, der an der äusseren Verpackung des Erzeugnisses und falls praktikabel auch an der Primärverpackung angebracht werden muss.
Ziel des SPC Manufacturing Waiver ist es, „die Wettbewerbsfähigkeit der Union auf eine Weise zu fördern, dass für die Hersteller von Generika und Biosimilars in der Union die gleichen Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden wie für ihre Mitbewerber in Drittlandmärkten, in denen der Schutz nicht existiert oder abgelaufen ist" (Verordnung EU 2019/933, Erwägungsgrund 29). Ob dieses Ziel auch tatsächlich erreicht wird, soll gemäss der Verordnung EU 2019/933 spätestens fünf Jahre nach Einführung erstmals (und danach periodisch) überprüft werden.
Nach dem geltenden Patentgesetz (PatG) der Schweiz gewährt ein ESZ die gleichen Rechte wie das Grundpatent und unterliegt den gleichen Beschränkungen (Art. 140d Abs. 2 PatG). Ein ESZ schützt somit grundsätzlich alle Arten der gewerbmässigen Benutzung des geschützten Erzeugnisses (bzw. Arzneimittels), einschliesslich des Herstellens, Lagerns, Anbietens, Inverkehrbringens sowie der Ein-, Aus- und Durchfuhr (Art. 8 Abs. 2 PatG). Ausnahmen von der Schutzwirkung bestehen nur für die in Art. 9 und 9a PatG genannten Handlungen. Diese umfassen aber weder die Herstellung von Generika/Biosimilars zum Zwecke der Ausfuhr noch die Bevorratung von Generika/Biosimilars zum Zwecke des Markteintritts in der Schweiz sofort nach Ablauf des ESZ. Mit anderen Worten: Nach geltendem Recht steht den schweizerischen Herstellern von Generika/Biosimilars kein SPC Manufacturing Waiver zur Verfügung. Bis auf Weiteres ist deshalb davon auszugehen, dass auch eine blosse Bedarfsanfrage, mit der sich ein Marktteilnehmer bei potenziellen Kunden erkundigt, ob sie Bedarf für das ESZ-geschützte Erzeugnis hätten, während der Laufzeit des ESZ dem Patent- bzw. ESZ-Inhaber vorbehalten bleibt, selbst wenn die Lieferung des Erzeugnisses erst für die Zeit nach Ablauf des Schutzrechts in Aussicht gestellt wird (dazu BPatGer, Urteil S2014_003 vom 31. März 2014, E. 4.; Urteil S2019_006 vom 21. März 2019, E. 7).
Initiiert durch die parlamentarische Anfrage "SPC-Waiver: Auch die Schweiz braucht eine Lösung zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Generika herstellenden Pharmaindustrie" vom 12. Juni 2019 (Sommersession 2019, Geschäft Nr. 19.5334; NR Regazzi) äusserte sich der Bundesrat am 17. Juli 2019 erstmals zum Thema der Einführung eines SPC Manufacturing Waiver in der Schweiz. Der Bundesrat stellte in Aussicht, die "Vor- und Nachteile der Einführung eines Manufacturing Waivers für die Schweiz [zu] analysieren und danach über das weitere Vorgehen [zu] befinden". Als zuständige Behörde ist das Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) und insbesondere das diesem organisatorisch zugehörige Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (IGE) mit der Thematik befasst.
Bei seiner Prüfung der Einführung eines SPC Manufacturing Waivers wird der Bundesrat zu berücksichtigen haben, dass die Vorschriften des schweizerischen Patentgesetzes über die ESZ im Rahmen des sogenannten autonomen Nachvollzuges des europäischen Rechts erlassen wurden (dazu Botschaft PatG 706 ff.; BGer 4A_415/2018, Urteil vom 7. Dezember 2018, E. 2.2.2.1; BGE 144 III 285 E. 2.2.2). Der Bundesrat wird prinzipiell bestrebt sein, die schweizerischen Regelungen zu ESZ dem europäischen Recht anzugleichen.
Angesichts der sehr kontroversen Diskussionen in der EU, die der Einführung des SPC Manufacturing Waivers vorangingen, könnte der Bundesrat geneigt sein, die ersten Erfahrungen mit dem SPC Manufacturing Waiver in der EU abzuwarten und gestützt darauf über den möglichen Nachvollzug zu entscheiden. Auch das parlamentarische Prozedere für die zur Einführung des SPC Manufacturing Waivers erforderlichen Gesetzesänderung wird seine Zeit in Anspruch nehmen. Die Einführung eines SPC Manufacturing Waivers in der Schweiz steht demnach nicht geradewegs bevor.
Autor: Stefan Kohler
Rechtsanwalt
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