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Kategorie: Blog

3. Mai 2018 Revision der ZPO – Überblick über die Vernehmlassungsvorlage

Seit Inkrafttreten der eidgenössischen Zivilprozessordnung ("ZPO") am 1. Januar 2011 wurden verschiedene parlamentarische Vorstösse zur Änderung des neuen Gesetzes eingereicht. Der Bundesrat wurde zudem beauftragt, die ZPO insgesamt auf ihre Praxistauglichkeit zu prüfen. Am
2. März 2018 hat der Bundesrat eine Vernehmlassungsvorlage präsentiert, welche verschiedene punktuelle Änderungen vorsieht. Der folgende Beitrag soll einen Überblick über die wichtigsten der vorgeschlagenen Änderungen geben.

Kollektiver Rechtsschutz
Der Bundesrat will Instrumente schaffen, mit welchen es einer Vielzahl von Personen, die gleich oder gleichartig geschädigt wurden, ermöglicht werden soll, ihre Ansprüche zusammen geltend zu machen. Damit soll dem Problem begegnet werden, dass Geschädigte in solchen Konstellationen – insbesondere bei relative geringen Ansprüchen der einzelnen Betroffenen – oft auf ein Gerichtsverfahren verzichten, weil sie ihren Schaden individuell einklagen müssen und dabei ein überproportionales Kostenrisiko zu tragen haben.

 

Die Vernehmlassungvorlage sieht zwei Instrumente für die kollektive Durchsetzung von Massenschäden vor: die Verbandsklage und den Gruppenvergleich. Mit der Verbandsklage sollen neu auch reparatorische Ansprüche anstatt wie bisher nur Persönlichkeitsverletzungen geltend gemacht werden können. Mit dem Gruppenvergleich soll es Unternehmen ermöglicht werden, zentral über einen Verband oder einen Verein eine vergleichsweise Entschädigung mit Wirkung für eine Vielzahl von Geschädigten zu vereinbaren. Die Wirkung des Vergleichs soll alle vom Schaden Betroffenen erfassen, soweit diese nicht den Austritt aus dem Vergleich erklären.

Kostenvorschüsse
Die Kostenvorschusspflicht soll milder ausgestaltet werden. Die Gerichte sollen künftig von der klagenden Partei nur noch einen Vorschuss in Höhe von höchstens der Hälfte der mutmasslichen Gerichtskosten verlangen dürfen. Das Kostenrisiko und die Vorschusspflicht stellen tatsächlich für viele Kläger eine (zu) hohe Hürde für die Geltendmachung von Ansprüchen dar (auch wenn die Aussichten des Obsiegens gut sind). Der Vorschlag des Bundesrats betrifft allerdings nur die Vorschusspflicht und löst das Problem des Kostenrisikos somit nicht.

Mitwirkungsverweigerungsrecht für Unternehmensjuristen
Der Vorentwurf sieht neu ein Mitwirkungsverweigerungsrecht für Unternehmensjuristen im Zivilprozess vor. Voraussetzung dafür ist, dass die betreffende Tätigkeit anwaltsspezifisch ist. Zudem muss der Leiter des Rechtsdienstes über ein Anwaltspatent verfügen.

Mit der jetzigen Rechtslage erleiden Schweizer Unternehmen in ausländischen Gerichtsverfahren prozessuale Nachteile, weil in der Schweiz kein Zeugnis- und Editionsverweigerungsrecht für Mitglieder von unternehmensinterenen Rechtsdiensten besteht. So werden Schweizer Unternehmen, u.a. in den USA, zur Herausgabe von Korrespondenz und Dokumenten ihres internen Rechtsdienstes verpflichtet, während ein amerikanisches Unternehmen in der gleichen Situation sich auf die Vertraulichkeit dieser Dokumente berufen könnte. Diese prozessualen Nachteile sollen mit der Schaffung der vorgeschlagenen Regelung künftig vermieden werden.

Privatgutachten
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Privat- und Parteigutachten keine Beweismittel, weil ihnen keine Urkundenqualität zukomme.

Dieser unbefriedigenden Situation will der Bundesrat Abhilfe schaffen, indem im Gesetz festgehalten wird, dass Partei- oder Privatgutachten Urkundenqualität zukommt. Damit wären sie neu Beweismittel.

Fakultatives Schlichtungsverfahren bei handelsgerichtlicher Zuständigkeit und verjährungsunterbrechende Wirkung
Bei handelsrechtlichen Streitigkeiten oder Streitigkeiten nach Art. 5 ZPO ist kein Schlichtungsverfahren durchzuführen, sondern direkt das Handelsgericht bzw. das kantonal zuständige Gericht anzurufen. Es besteht auch nicht die Möglichkeit, freiwillig ein Schlichtungsverfahren anzustrengen. Dementsprechend ist es bei solchen Streitigkeiten nicht möglich, die Verjährung mit der Einreichung eines Schlichtungsgesuchs zu unterbrechen. Hat der Schuldner keinen Betreibungsort in der Schweiz, so kann die Verjährung einzig mit Klageeinleitung (samt umfassender Begründung) unterbrochen werden.

Dem soll durch die Schaffung eines fakultativen Schlichtungsverfahrens für Streitigkeiten nach Art. 5 und Art. 6 ZPO entgegnet werden. Dadurch soll es auch bei solchen Streitigkeiten möglich sein, die Verjährung mit einem Schlichtungsgesuch zu unterbrechen. Diese Neuerung wäre zu begrüssen.

Zuständigkeit des Handelsgerichts
Die Voraussetzungen für die Zuständigkeit des Handelsgerichts haben in der Praxis verschiedene Fragen und Unklarheiten aufgeworfen. Zur Präzisierung schlägt der Bundesrat daher drei Änderungen vor.

Zum einen will er die Voraussetzung, wonach die Parteien im schweizerischen Handelsregister oder in einem vergleichbaren Register eingetragen sein müssen, dahingehend präzisieren, dass sie als Rechtseinheiten im Handelsregister eingetragen sein müssen.

Zum anderen soll das Wahlrecht des nicht im Handelsregister eingetragenen Klägers dahingehend eingeschränkt werden, dass das Handelsgericht für die folgenden Streitigkeiten nicht angerufen werden kann:

  • arbeitsrechtliche Streitigkeiten sowie Streitigkeiten nach dem Arbeitsvermittlungsgesetz;
  • miet- oder pachtrechtliche Streitigkeiten soweit sie Wohn- und Geschäftsräume betreffen; und
  • Streitigkeiten aus landwirtschaftlicher Pacht.

Der Vorentwurf sieht schliesslich vor, dass das Handelsgericht auch bei einer einfachen passiven Streitgenossenschaft nicht angerufen werden können soll, wenn die Voraussetzungen für die sachliche Zuständigkeit nicht für alle Streitgenossen erfüllt sind.

Prozessüberweisung
Der Bundesrat schlägt eine Regelung für die Prozessüberweisung bei Unzuständigkeit eines Gerichts vor. Bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft des Nichteintretensentscheids soll die klagende Partei die Möglichkeit haben, die Prozessüberweisung an ein anderes Gericht zu verlangen. Das unzuständige Gericht soll zur Überweisung verpflichtet sein, soweit das bezeichnete Gericht nicht offensichtlich unzuständig ist. Dadurch wird die Rechtshängigkeit erhalten.

Einfache Streitgenossenschaft
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist die gleiche sachliche Zuständigkeit eine stillschweigende Voraussetzung der einfachen Streitgenossenschaft. Diese Rechtsprechung soll nun kodifiziert werden.

Nach dem Vorentwurf soll zudem die aktive einfache Streitgenossenschaft auch zulässig sein, wenn die Klagen unterschiedlichen Verfahrensarten unterstehen würden, soweit dies einzig durch den Streitwert bedingt ist.

Streitverkündungsklage
Das Instrument der Streitverkündungsklage wird in der Praxis kaum genutzt. Deshalb will der Bundesrat sie attraktiver ausgestalten. Zum einen soll es künftig möglich sein, eine Streitverkündungsklage als unbezifferte Forderungsklage einzureichen, wenn es sich um eine Regressklage handelt, welche vom Ausgang des Hauptverfahrens abhängt.

Zum anderen sollen auch Streitverkündungsklagen, welche dem vereinfachten Verfahren unterstehen, künftig zulässig sein, soweit diese Verfahrensart ausschliesslich auf dem Streitwert (bis zu CHF 30'000) beruht.

Widerklage auch bei fehlender gleicher Verfahrensart
Künftig soll es möglich sein, eine Widerklage zu erheben, auch wenn auf diese nicht die gleiche Verfahrensart anwendbar ist wie auf die Hauptklage. Die Voraussetzung der gleichen Verfahrensart wird gestrichen. Neu soll aber stets ein sachlicher Zusammenhang zwischen Haupt- und Widerklage erforderlich sein. Dies war bisher nur notwendig, wenn für die Widerklage im Falle einer separaten Klage ein andere örtliche Zuständigkeit gegeben ist.

Vollstreckungsmassnahmen
Entscheide, welche nur mit Beschwerde anfechtbar sind, sind sofort vollstreckbar. Die unterliegende Partei kann zwar bei der Rechtmittelinstanz die aufschiebende Wirkung beantragen, allerdings kann sich, bis darüber entschieden wird, eine zeitliche Lücke ergeben. Nach dem Vorschlag des Bundesrates soll die unterliegende Partei von der einstweiligen Vollstreckung dadurch geschützt werden, dass bereits das entscheidende Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung bis zum Entscheid der Rechtsmittelinstanz bzw. Ablauf der Rechtmittelfrist anordnen kann.

Superprovisorische Massnahmen
Wird die superprovisorische Anordnung von vorsorglichen Massnahmen vom Gericht abgelehnt, so soll der Gesuchsteller beantragen können, dass der Entscheid erst nach Erledigung der Beschwerde der Gegenpartei zugestellt wird. Damit soll sichergestellt werden, dass die Gegenpartei während des laufenden Beschwerdeverfahrens nicht bereits die Massnahme vereiteln kann.

Autorin: Barbara Badertscher