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In der Schweiz geniessen unabhängige Anwältinnen und Anwälte unter der schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) den Schutz des Anwaltsgeheimnisse und damit Mitwirkungsverweigerungsrechte hinsichtlich der Herausgabe von Unterlagen sowie der Aussage in Zivilverfahren (vgl. Art. 166 Abs. 1 lit. b ZPO). Juristen, die innerhalb eines Unternehmens tätig sind, waren bislang von diesem Privileg ausgenommen. Das bedeutet, dass ein Unternehmen die rechtliche Beratung durch interne Juristen im Falle eines Gerichtsverfahrens unter Umständen offenlegen muss.
Diese Ausgangslage unterscheidet sich von jener in diversen anderen Staaten, insbesondere den USA, Kanada und England. Während sich Unternehmen in diesen Ländern auf Mitwirkungsverweigerungsrechte berufen können, mussten Unternehmen in der Schweiz ihre internen rechtlichen Beratungen und Abklärungen in einem Gerichtsverfahren unter Umständen offenlegen. Dies führte insbesondere in grenzüberschreitenden Verfahren zu einer Ungleichbehandlung und einem Standortnachteil für die Schweiz und für schweizerische Unternehmen.
Um die Attraktivität des Standorts Schweiz im internationalen Vergleich zu erhöhen, führt die ZPO-Revision nun auch Mitwirkungsverweigerungsrechte für interne Juristen ein, welche im Rechtsdienst eines Unternehmens tätig sind.
Das neue Mitwirkungsverweigerungsrecht gilt für Unternehmen, die im Handelsregister eingetragen sind, unabhängig davon, ob in der Schweiz oder im Ausland. Voraussetzung ist ein "unternehmensinterner Rechtsdienst", wobei unklar ist, ob dieser als separate organisatorische Einheit organisiert sein muss. Ferner ist offen, wie dies in Konzernstrukturen mit einem zentralen Rechtsdienst oder bei Unternehmen mit eigenständigen Compliance-Abteilungen gehandhabt werden soll. Darüber hinaus muss der Rechtsdienst von einer Person mit einem schweizerischen oder ausländischen Anwaltspatent geleitet werden. Das Mitwirkungsverweigerungsrecht erstreckt sich nur auf Tätigkeiten, die als Teil der "beruflichen Tätigkeit eines Rechtsanwalts" zu betrachten sind. Diese Voraussetzung orientiert sich am Berufsgeheimnisschutz für Anwältinnen und Anwälte und umfasst anwaltstypische Tätigkeiten, wie die Vertretung vor Gerichten und Behörden, die Rechtsberatung, die Verhandlungen in Zusammenhang mit Rechtsgeschäften und das Verfassen rechtlicher Dokumente.
Das Bundesgericht schränkte jüngst (im Rahmen des Anwaltsgeheimnisses) den Begriff der anwaltstypischen Tätigkeiten ein. Nunmehr gelten beispielsweise Tätigkeiten im Rahmen einer internen Untersuchung nicht mehr zwingend als anwaltstypische Tätigkeit. Auch kaufmännisch-operative sowie akzessorische Tätigkeiten wie die Vermögens- und Immobilienverwaltung oder Tätigkeiten als Finanzintermediär, Verwaltungsrat oder Treuhänder werden nicht als anwaltstypisch angesehen. In Fällen, in denen sich anwaltstypische Dienstleistungen mit akzessorischen Tätigkeiten überschneiden, gilt das Anwaltsgeheimnis – und vermutlich auch das In-house Counsel Privilege – nicht uneingeschränkt. Hier besteht akuter Klärungsbedarf durch Lehre und Rechtsprechung.
Sind die Voraussetzungen für die Anwendung des Mitwirkungsverweigerungsrechts erfüllt, kann ein Unternehmen in einem Zivilverfahren die Herausgabe von Unterlagen verweigern (vgl. Art. 167a Abs. 1 ZPO). Darüber hinaus können die Mitarbeiter des Rechtsdiensts dieses Unternehmens als "Dritte" eine allfällige Zeugenaussage verweigern (vgl. Art. 167a Abs. 2 ZPO).
Obwohl das Mitwirkungsverweigerungsrecht grundsätzlich nur für Zivilverfahren in der Schweiz gilt, wird dies vermutlich die Stellung der schweizerischen Unternehmungen auch in ausländischen (Zivil-)Verfahren stärken.
Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass das Mitwirkungsverweigerungsrecht nur in Zivilverfahren, nicht jedoch in Straf- und Verwaltungsverfahren gilt, wie z.B. Verfahren vor der Wettbewerbskommission oder Aufsichtsbehörden wie der FINMA.
Es gibt diverse Punkte, die aktuell noch nicht abschliessend geklärt sind. Dazu zählen insbesondere die strukturellen Anforderungen an den "unternehmensinternen Rechtsdienst", namentlich die Frage, ob dieser eine separate Einheit innerhalb der Organisation des Unternehmens bilden muss, und ob eine allfällige Compliance-Abteilung ebenfalls erfasst ist. Zudem ist offen, in welchem Umfang das In-house Counsel Privilege in bei den häufigen Konstellationen, in denen sich anwaltstypische Tätigkeiten mit akzessorischen Tätigkeiten überschneiden, zur Anwendung kommt.
Es ist wünschenswert, dass diese Fragen in der Gerichtspraxis baldmöglichst geklärt werden. Bis dahin gilt es jedoch zu beachten, dass diejenige Partei, die sich auf ein Mitwirkungsverweigerungsrecht beruft, welches bestritten wird, kostenpflichtig werden kann (vgl. Art. 167 Abs. 4 ZPO).
Das Prozessteam von VISCHER steht Ihnen für Fragen zum Mitwirkungsverweigerungsrecht von Unternehmensjuristen, zur ZPO-Revision und zu prozessualen Fragen im Allgemeinen jederzeit gerne zur Verfügung.
Hier finden Sie die Übersicht zur ZPO-Blogreihe.
Autorin: Janine Häsler
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