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2. Dezember 2024 Revision der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO): Die Novenschranke nach revidiertem Schweizer Zivilprozessrecht – eine praxisnahe Erläuterung

Zum 1. Januar 2025 wird die Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO) revidiert. Teil davon ist auch eine Revision des Novenrechts. Diese Änderung betrifft die sogenannte Novenschranke, also die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt neue Tatsachen und Beweise im laufenden Prozess frei eingebracht werden dürfen. Die Novenschranke sorgt dafür, dass der Prozess geordnet und effizient verläuft, indem sie festlegt, bis wann alle relevanten Informationen vorgelegt werden müssen. Nachfolgend werden die wichtigsten Änderungen summarisch dargestellt:

1. Ausganglage

Die Novenschranke schützt die Parteien und das Gericht davor, im Laufe des Verfahrens ständig mit neuen Beweisen oder Behauptungen überrascht zu werden. In der Praxis ist es für den Prozessablauf von Bedeutung, ab wann neue Tatsachen oder Beweismittel (sogenannte "Noven") nicht mehr uneingeschränkt berücksichtigt werden dürfen. Bisher war dies in Art. 229 aZPO geregelt. Mit der bevorstehenden Reform werden diese Regeln umgestaltet. Ziel des Gesetzgebers war es, die Handhabung des Novenrechts klarer und praxistauglicher auszugestalten.

In den parlamentarischen Beratungen war die Anpassung des Zeitpunkts der Novenschranke und des Eintritts des sogenannten Aktenschlusses ein umstrittenes Thema.

2. Novenrecht vor Aktenschluss

Der Aktenschluss ist ein zentraler Punkt im Verfahrensablauf. Er tritt ein, sobald sich die Parteien zweimal unbeschränkt zur Streitsache äussern konnten. War dies vor der Hauptverhandlung nicht der Fall, so verlangte das Bundesgericht nach bisherigem Recht, dass neue Tatsachen und Beweismittel gleich zu Beginn der Gerichtsverhandlung, in einer separaten mündlichen Stellungnahme vor den eigentlichen Parteivorträgen vorgebracht werden mussten. Das war in der Praxis schwierig umsetzbar und führte oft zu Abgrenzungsproblemen zu den eigentlichen Parteivorträgen, mit dem Ergebnis, dass teilweise sehr harsche Gerichtsentscheide zum Verpassen des richtigen Zeitpunkts für das Vorbringen neuer Tatsachen und Beweismittel ergingen.

Nach der neuen Regelung gilt: Vor Eintritt des Aktenschlusses können die Parteien im Rahmen ihres ersten Parteivortrags in der Hauptverhandlung uneingeschränkt Noven einbringen. Diese Neuerung beseitigt die bisherige Unsicherheit hinsichtlich der Frage, wann und wie neue Behauptungen und Beweismittel im Rahmen der Gerichtsverhandlung noch uneingeschränkt vorgebracht werden dürfen. Das Erfordernis eines separaten, vorgezogenen Tatsachenvortrags vor den eigentlichen Parteivorträgen wird damit gestrichen, wodurch der Prozess für alle Beteiligten klarer wird.

3. Novenrecht nach Aktenschluss

Nach Eintritt des Aktenschlusses greift die Novenschranke, und neue Tatsachen und Beweismittel können nur noch sehr beschränkt vorgebracht werden. Dies ist dann möglich, wenn sich das Novum entweder erst nach Aktenschluss ereignet hat (echtes Novum) oder vor Aktenschluss trotz zumutbarer Sorgfalt nicht vorgebracht werden konnte (unechtes Novum). Wie solche Noven nach Aktenschluss eingebracht werden dürfen, wird mit der neuen Regelung in Art. 229 Abs. 2 und Abs. 2bis nZPO flexibler gestaltet. Nach dem alten Recht mussten echte und unechte Noven nach Aktenschluss "ohne Verzug" vorgebracht werden. Nach der neuen Regelung müssen sie entweder innert einer vom Gericht angesetzten Frist vorgebracht werden oder, falls keine Fristansetzung erfolgt, spätestens im ersten Parteivortrag in der Hauptverhandlung.

Art. 229 Abs. 2bis nZPO regelt nun ausdrücklich, dass selbst nach den ersten Parteivorträgen in der Hauptverhandlung unter bestimmten Voraussetzungen noch (echte und unechte) Noven berücksichtigt werden können. Vorausgesetzt wird, dass diese nach ihrer Entstehung bzw. Entdeckung in der nächsten Verhandlung oder innerhalb einer vom Gericht bestimmten Frist vorgebracht werden.

Für die Praxis bedeutet die neue Regelung mehr Klarheit und Rechtssicherheit. Noven, die beispielsweise durch einen neuen Umstand entstehen oder trotz Einhaltung der gebotenen Sorgfalt nicht früher vorgebracht werden konnten, müssen spätestens in der nächsten Verhandlung in den Prozess eingeführt werden. Durch diese Änderung entfällt die Notwendigkeit einer strikten und schwer handhabbaren "Ohne-Verzug"-Regelung, die zuvor in der Rechtsprechung oftmals zu Unsicherheiten geführt hatte.

4. Ausblick

Die Novenregelung des revidierten Zivilprozessrechts bringt Vorteile für die Praxis und führt dazu, dass der Prozessablauf klarer gestaltet wird. Besonders die Abkehr von der "Ohne-Verzug"-Regel, dürfte für mehr Rechtssicherheit sorgen bieten und den Verfahrensablauf planbarer machen.

Auch nach der Revision sind indessen nicht alle Fragen geklärt. So könnte die gerichtliche Handhabung der neuen Novenregelung in der Praxis variieren, besonders hinsichtlich der Interpretation der neuen Fristen. Auch bleibt offen, wie Gerichte bei Verzicht auf die Hauptverhandlung verfahren werden, falls die Parteien dennoch Noven einbringen möchten.

Das Prozessteam von VISCHER steht Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung, um Sie in Konfliktsituationen rechtlich zu beraten und Ihre Interessen bestmöglich zu vertreten. Dazu gehört auch der professionelle Umgang mit den neuen ZPO-Regelungen zum Aktenschluss und zur Novenschranke.

Hier finden Sie die Übersicht zur ZPO-Blogreihe.

Autor: Quirin Meier

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