VISCHER ist eine Schweizer Anwaltskanzlei, die sich der rechtlichen Lösung von Geschäfts-, Steuer- und Regulierungsfragen widmet.
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5. Dezember 2016
Mit der Reihe "Digital Business Law Bites" geben wir einen kleinen Einblick in die Fülle unserer Erfahrungen und Klientenprojekte rund um digitale Geschäftsprozesse.
Im Bereich der «Sharing Economy» ist seit 2013 europaweit ein starkes Wachstum zu beobachten. Allerdings verwischt das Phänomen der «Sharing Economy» bislang klare Linien zwischen Konsument und Anbieter, Beschäftigten und Selbstständigen oder gewerbsmässiger und nicht gewerbsmässiger Erbringung von Dienstleistungen. Braucht es hier «mehr» Regulierung? Oder genügt «Selbstregulierung»? Was haben Investoren zu beachten?
Entgegen dem Anschein handelt es sich nicht um eine Entwicklung, die primär von uneigennützigem Teilen geprägt ist. Die meisten Formen der «Sharing Economy» sind gewinnorientiert. Das Besondere ist vielmehr, dass über das überall verfügbare Breitbandinternet auf dem Smartphone Anbieter und Nachfrager bequem und mit grosser Geschwindigkeit zusammengeführt werden können. Es wird daher auch von «Access» – oder «Collaborative Economy» gesprochen. Charakteristisch für die Online-Plattformen der «Sharing Economy» ist, dass über diese Plattformen vorgenommene Transaktionen im Allgemeinen nicht mit einer Eigentumsübertragung verbunden sind, sondern die meist vorübergehende Nutzung einer Sache zum Gegenstand haben. Zudem wird eine Plattform für Anbieter umso attraktiver, je mehr potenzielle Nachfrager diese Plattform nutzen. Umgekehrt gilt dies genauso. Diese sogenannten indirekten Netzwerkeffekte führen dazu, dass Plattformmärkte oft von wenigen Betreibern dominiert sind.
Mit dem Markteintritt von Airbnb, Uber und anderen Anbietern wurden zum Teil hochregulierte Branchen durcheinandergewirbelt. Flexibilität und niedrige Transaktionskosten sind die offensichtlichen Wettbewerbsvorteile der in der «Sharing Economy» aktiven Unternehmen. Durch eine effizientere Nutzung von Ressourcen sinkt auch die Umweltbelastung. Konsumenten kommen in den Genuss eines grösseren und oft auch kostengünstigeren Angebots, als wenn nur traditionelle Anbieter in Betracht gezogen werden. Angesichts der Einfachheit des Konzepts und der offensichtlichen Vorteile werden Investitionen in die «Sharing Economy» für Unternehmen jeder Grösse attraktiv. Und auch aus der Sicht der unter Druck geratenen Unternehmen dürfte lediglich der Ruf nach mehr Regulierung alleine langfristig nicht Erfolg versprechend sein.
Nichtsdestotrotz ist es dringend ratsam, bereits im Vorfeld von Investitionen an mögliche regulatorische Entwicklungen zu denken.
In der Schweiz sind zwar bis anhin keine nennenswerten Regulierungsbestrebungen auszumachen. Hochrangige Behördenvertreter äussern die Ansicht, dass – auch wegen der erhöhten Transparenz und Sozialkontrolle im Internet mittels Bewertungssystemen, Erfahrungsberichten oder Vergleichsportalen – Selbstregulierung ausreiche: Wer sich nicht korrekt verhalte, überlebe nicht lange, denn: Reputation sei Kern des Geschäftsmodells. Bestehende Regulierungen reichen aus – im Einzelfall entscheiden die Gerichte.
Trotzdem dürften sich mit zunehmendem Erfolg der «Sharing Economy» die kritischen Fragen beispielsweise zu Hygiene, Sicherheit, Steuern, Sozialabgaben, Versicherungen, Geldwäscherei etc. mehren. Bei aller – durchaus gerechtfertigten – Skepsis gegenüber voreiligen regulatorischen Eingriffen dürfte in der Folge auch der Druck auf die Behörden mit der Forderung nach «gleich langen Spiessen» steigen. Bereits jetzt ist der Bundesrat dazu aufgefordert worden, in einem Bericht eine ökonomische und rechtliche Analyse zu erstellen und allfälligen Handlungsbedarf zu eruieren. Auch sind die Wettbewerbsbehörden schon mit Klagen über mögliche Wettbewerbsverzerrungen seitens der traditionellen Anbieter konfrontiert. Aus volkswirtschaftlicher Perspektive ist schliesslich anzumerken, dass sich Rechtsunsicherheit als Innovations- und Wachstumsbremse auswirken könnte.
Eine Hilfestellung bei der Antizipation künftiger Regulierungstrends bietet oft ein Blick auf unsere Nachbarn, dies umso mehr in einem stark internationalisierten Bereich wie der digitalen Wirtschaft und angesichts des nur beschränkten unternehmerischen Interesses am schweizerischen Markt alleine. In einigen EU-Mitgliedsstaaten ist es bereits – neben Ergänzungen von branchenspezifischen Regelungen – im Fall von «Uber Pop» zu Totalverboten gekommen. Um eine mit einem regulatorischen Flickenteppich lokaler Regelungen verbundene Rechtsunsicherheit zu vermeiden und solche Totalverbote möglichst auf ein Minimum zu beschränken, hat sich die EU-Kommission dem Thema der «kollaborativen Wirtschaft» im Rahmen der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt angenommen. Am 2. Juni 2016 hat die EU-Kommission entsprechende Leitlinien zur Regulierungspraxis veröffentlicht, welche Behörden und Marktteilnehmern Orientierungshilfen bieten sollen. Zentrale und branchenübergreifende Empfehlungen dieser Leitlinien betreffen unter anderem die folgenden Themen:
MarktzugangDie Regulierung des Marktzugangs – beispielsweise in Form von Bewilligungsvorschriften – hat die spezifischen Besonderheiten der «Sharing Economy» zu berücksichtigen und insbesondere die folgenden Unterscheidungen zu treffen: Handelt es sich um eine Plattform, die die entsprechende Dienstleistung selbst anbietet oder tritt sie lediglich als Vermittlerin auf? Und: Handelt es sich um einen Privaten, der nur gelegentlich bestimmte Dienstleistungen erbringt oder um einen gewerblichen Anbieter? Um die jeweiligen Gruppen zu unterscheiden, hat sich innerhalb der EU der Einsatz von – gegebenenfalls auch branchenspezifischen – «Schwellenwerten» als sogenannte «best practice» etabliert. Diese berücksichtigen das erzielte Einkommen wie auch die Dauer der Dienstleistungserbringung. Insbesondere bei lediglich vermittelnden Plattformen und privaten Gelegenheitsanbietern soll auf Marktzugangshürden möglichst verzichtet werden.
KonsumentenschutzAus regulatorischer Sicht besteht die Herausforderung darin, dass die Regeln zum Schutz der Konsumenten nicht von privaten und gelegentlichen Dienstleistungserbringern, sondern lediglich von gewerblichen Anbietern zu beachten sind. Genau diese Trennlinie ist aber bei «Sharing Economy»-Plattformen schwer zu ziehen. Um Privatpersonen nicht mit unverhältnismässigen Informationspflichten und anderen administrativen Bürden zu belasten und somit die Attraktivität der Plattform nicht zu gefährden, empfiehlt die EU-Kommission für die Abgrenzung der beiden Gruppen Kriterien wie Häufigkeit der Dienstleistung oder Umsatzhöhe zu berücksichtigen. Zudem regt sie den Gebrauch von Gütesiegeln an.
Arbeitnehmerschutz und ScheinselbstständigkeitMit der Qualifikation als Arbeitnehmer ist die Beachtung zahlreicher zwingender Gesundheits- und Sozialvorschriften verbunden. Soweit an die auch für die Schweiz relevante und im Rahmen der Personenfreizügigkeit entwickelte EU-Definition des Arbeitnehmerbegriffs angeknüpft wird, gibt die Kommission Orientierungshilfen für deren Auslegung im Kontext der «Sharing Economy». Demnach ist unter anderem zur Beurteilung der charakteristischen Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers wesentlich, ob anhand des Vertrags mit der Online-Plattform der Dienstleistungserbringer frei wählen kann oder nicht, welche Dienstleistung er erbringt und auf welche Weise. Nicht entscheidend ist hingegen, ob eine kontinuierliche Leitung oder Beaufsichtigung ausgeübt wird. Tätigkeiten von wirtschaftlich untergeordneter Bedeutung sollen aber nicht dem Arbeitnehmerschutz unterstellt werden.
BesteuerungAuch Dienstleistungserbringer in der «Sharing Economy» unterstehen der Steuerpflicht. In Betracht kommen die Einkommens- und Gewinnsteuer natürlicher bzw. juristischer Personen sowie die Mehrwertsteuer und Tourismusabgaben. Als «best practice» in den EU-Staaten hat sich die Zusammenarbeit zwischen Plattformbetreibern und Steuerbehörden zur Erfassung der wirtschaftlichen Tätigkeit erwiesen, wobei gleichzeitig auf die Einhaltung von Datenschutzbestimmungen zu achten ist.
Insgesamt kann die vorläufige Schlussfolgerung gezogen werden, dass bislang auf europäischer wie auch auf schweizerischer Ebene ein Trend nicht zu mehr, sondern zu besserer und auf die besonderen Bedürfnisse der «Sharing Economy» angepasstere Regulierung auszumachen ist. Auch die Abschaffung von nicht mehr zeitgemässem Regulierungsballast für traditionelle Anbieter wird empfohlen.
Bestehende und künftige Marktteilnehmer tun gut daran, sich frühzeitig mit allfälligen branchenspezifischen Bestimmungen, allgemeinen Regelungen und Regulierungstrends vertraut zu machen und aktiv den Kontakt zu den Behörden zu suchen. Eine Garantie, dass das eigene Geschäftsmodell mittel- und langfristig in einer regulierungsfreien Grauzone bleibt, gibt es nicht.
Autorin: Barbara Schroeder de Castro Lopes
Kategorien: Digital Business Law Bites, Blog