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Kategorien: Informations- und Kommunikationsrecht, Medien und Unterhaltung
Am 25. März 2022 hat sich der Bundesrat entschieden, die aktuellen EU-Sanktionen gegen russische TV-Sender nicht zu übernehmen und hat damit den medienregulatorischen Giftschrank (noch) nicht geöffnet. Dieser Blog-Beitrag zeigt auf, inwieweit die bestehende Medien- und Fernmelderegulierung in der Schweiz eine Basis bieten würde, um die von der EU verhängten Sanktionen gegen russische Medienunternehmen umzusetzen. In Kürze:
Die Umsetzung der von der EU verhängten Sanktionen in der Schweiz würde einen schwerwiegenden Eingriff in die Medienfreiheit sowie die grundrechtlich geschützte freie Kommunikation darstellen. Ein solcher Eingriff bedarf einer klaren und ausdrücklichen formalgesetzlichen Grundlage[i]. Weiter müssen die Massnahmen durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt und verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 2 und 3 BV).
Dieser Beitrag beschränkt sich darauf, den regulatorischen Rahmen für eine solche Massnahme aufzuzeigen. Ob im konkreten Fall ein Verbot zur Verbreitung von Inhalten bestimmter Medienunternehmen durch öffentliche Interessen gerechtfertigt werden kann bzw. verhältnismässig wäre, erfordert insbesondere eine politische Abwägung, die nicht Gegenstand dieses Beitrages ist.
Die EU hat am 1. März 2022 folgenden Artikel 2f in die Verordnung (EU) Nr. 833/2014 aufgenommen:
Im Anhang XV sind folgende Medienunternehmen aufgeführt: RT — Russia Today English, RT — Russia Today UK, RT — Russia Today Germany, RT — Russia Today France, RT — Russia Today Spanish und Sputnik.
Die von der EU verhängte Sanktion beinhaltet im Kern zwei Elemente: 1. Die Sistierung der Rundfunklizenz und 2. Das Verbot, die Inhalte bestimmter Medienunternehmen zu verbreiten bzw. weiterzuverbreiten (auch als Internetdienstleister oder Social-Media Plattform).
Das aktuelle RTVG (SR 784.40) sieht keine generelle Lizenzpflicht für TV-Veranstalter vor. Wird einem TV-Veranstalter eine Konzession erteilt, so erfolgt dies lediglich im Rahmen eines Leistungsauftrags (z.B. die SRG oder regionale TV-Veranstalter). Die übrigen TV-Veranstalter, die ein schweizerisches Programm anbieten wollen, sind lediglich meldepflichtig (Art. 3 RTVG). Ihnen kann also keine Lizenz entzogen werden.
Was ein schweizerisches Programm ist, richtet sich gemäss Art. 2 lit. e RTVG nach dem Europäischen Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen (SR 0.784.405). Ein Rundfunkveranstalter gilt gemäss diesem Übereinkommen insbesondere dann als einer Vertragspartei (z.B. der Schweiz) zugeordnet, wenn dieser dort den tatsächlichen Sitz hat oder "ein wesentlicher Teil der im Fernsehbereich Beschäftigten in dieser Vertragspartei tätig ist". Aktuell sind weder Sputnik noch die RT-Programme als schweizerische Programme gemeldet und auch sonst bestehen keine offensichtlichen Anhaltspunkte, dass sie die entsprechende Qualifikation erfüllen würden.
Die (fehlende) Qualifikation als schweizerisches Programm ist insofern relevant, weil die TV-Veranstalter so nicht zur Einhaltung der "Mindestanforderungen an den Programminhalt" gemäss Art. 4 RTVG verpflichtet sind. Diese Mindestanforderungen sehen insbesondere vor, dass alle Sendungen der TV-Veranstalter die Menschenwürde achten müssen und nicht zu Rassenhass beitragen, die öffentliche Sittlichkeit gefährden oder Gewalt verherrlichen oder verharmlosen dürfen. Zudem müssen redaktionelle Sendungen mit Informationsgehalt "Tatsachen und Ereignisse sachgerecht darstellen, so dass sich das Publikum eine eigene Meinung bilden kann." Schliesslich dürfen Sendungen weder "die innere oder äussere Sicherheit des Bundes oder der Kantone, ihre verfassungsmässige Ordnung oder die Wahrnehmung völkerrechtlicher Verpflichtungen der Schweiz" gefährden.
Sofern die Veranstalter einem anderen Vertragsstaat der Europäischen Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen (SR 0.784.405) zuzuordnen wären, so müsste dieser Vertragsstaat sicherstellen, dass die im Übereinkommen definierten Mindestanforderungen (Art. 7) eingehalten werden. Dazu gehört insbesondere auch die Anforderung, dass "Nachrichtensendungen die Tatsachen und Ereignisse sachgerecht darstellen und die freie Meinungsbildung fördern". Erst wenn die Schweiz den entsprechenden Staat über die Verfehlungen unterrichtet hat und dieser Staat untätig bleibt, kann die Schweiz eigene Massnahmen gegen die TV-Veranstalter ergreifen.
Kann der TV-Veranstalter keinem Vertragsstaat zugeordnet werden (Russland ist z.B. kein Vertragsstaat), so ist der Veranstalter der direkten Jurisdiktion in der Schweiz entzogen. Allerdings kann das BAKOM gemäss Art. 52 RTVG Kabelnetzbetreiber in der Schweiz anweisen, ein ausländisches Programm nicht mehr zu verbreiten, insbesondere wenn das Programm die für die Schweiz verbindlichen internationalen Vorschriften über Programmgestaltung, Werbung oder Sponsoring dauernd und schwerwiegend verletzt. Der von der EU geäusserte Vorwurf an die RT-Programme und Sputnik, "kontinuierliche und konzentrierte Propagandaaktionen [zu betreiben], die sich gegen die Zivilgesellschaft der Union und ihrer Nachbarländer richten und die Fakten drastisch verzerren und manipulieren" lässt sich unter diese Definition subsumieren (vgl. Verordnung (EU) 2022/350 des Rates vom 1. März 2022, Erwägung 7). Auch der Bundesrat sieht diese Medienunternehmen als "Werkzeuge der gezielten Propaganda und Desinformation durch die Russische Föderation" (vgl. Medienmitteilung vom 25. März 2022).
Art. 52 RTVG bietet somit eine ausreichende gesetzliche Grundlage, um das Verbreiten des TV-Signals von bestimmten russischen Medienunternehmen zu verbieten. Dazu ist kein Rückgriff auf das Embargogesetz ("EmbG"; SR 946.231) erforderlich. Die Marktführer Swisscom, Salt und UPC Sunrise haben die sanktionierten Veranstalter aber ohnehin bereits aus dem Programm genommen (vgl. Medienberichte betreffend Swisscom und Sunrise UPC bzw. Salt). Ein Verbot hätte daher keine grosse praktische Wirkung mehr. Die Symbolkraft eines solchen Entscheids wäre allerdings nicht zu unterschätzen.
Das zweite Element der EU-Sanktion (Verbot zur Verbreitung der Inhalte über das Internet) wäre unter der aktuellen Medienregulierung in der Schweiz deutlich schwieriger umzusetzen. Dabei gibt es drei verschiedene Unterarten zu unterscheiden: a) das Unterbinden von Inhalten durch die Fernmeldedienstanbieter, b) das Sperren/Widerrufen von Domain-Namen durch die Registerbetreiberin und c) das Verhindern des Teilens von Inhalten über Social-Media Plattformen.
a) Verbot für Fernmeldedienstanbieter zur Verbreitung (Netzsperre)
Wer fernmeldetechnisch Informationen für Dritte überträgt, gilt in der Schweiz als Fernmeldedienstanbieter und untersteht der Fernmelderegulierung, insbesondere dem Fernmeldegesetz (SR 784.10). Dazu gehören auch Anbieterinnen von Internetzugängen (Internet Service Provider, kurz: "ISP"). Diese sind gemäss dem erst 2021 eingeführten Art. 12e FMG verpflichtet, Informationen zu übertragen, "ohne dabei zwischen Sendern, Empfängern, Inhalten, Diensten, Diensteklassen, Protokollen, Anwendungen, Programmen oder Endgeräten technisch oder wirtschaftlich zu unterscheiden."(sog. "Netzneutralität"). Die Sperrung von einzelnen Internetseiten würde somit gegen das Prinzip der Netzneutralität verstossen. Das FMG lässt aber eine Hintertür offen. So ist die Missachtung der Netzneutralität zulässig, wenn der ISP eine "gesetzliche Vorschrift oder einen Gerichtsentscheid" befolgt (12e Abs. 3 lit. a FMG) oder sonst andere (primär technische) Gründe bestehen, wie z.B. die Integrität und Sicherheit des Netzes.
Eine solche gesetzliche Vorschrift existiert bis anhin im Bereich des Online-Geldspiels. Gemäss Art. 86 ff. des Geldspielgesetzes (BGS; SR 935.51) führen die Eidgenössische Spielbankenkommission (ESBK) und die GESPA eine Sperrliste von Online-Geldspielen, die in der Schweiz nicht bewilligt sind. ISP haben den Zugang zu diesen Spielangeboten zu sperren, wenn diese auf einer der Sperrlisten sind (Art. 86 Abs. 4 BGS). Im Bereich der harten Pornografie und Kinderpornografie verpflichtet zudem Art. 46a Abs. 2 FMG die ISP, entsprechende Inhalte zu sperren, wenn das Bundesamt für Polizei sie darauf hinweist.
Im Bereich des Urheberrechts wurden Netzsperren zwar oft ins Spiel gebracht, aber schlussendlich sowohl durch den Gesetzgeber wie durch die Gerichte immer wieder verworfen (so auch in der letzten URG-Revision oder im Rahmen von BGE 145 III 72).[ii]
Die Anordnung einer solchen Netzsperre müsste also zwingend und ausschliesslich auf dem Embargogesetz (oder direkt auf Art. 184 Abs. 3 der Bundesverfassung) basieren. Mit der erst kürzlich erfolgten Einführung von Art. 12e FMG sowie dem Verzicht auf Netzsperren im Bereich des Urheberrechts hat der Gesetzgeber aber verdeutlicht, dass Netzsperren nicht leichthin verordnet werden sollten. Ob das Embargogesetz oder Art. 184 Abs. 3 BV (alleine) hierfür eine ausreichende und insbesondere eine genügend bestimmte Gesetzesgrundlage bieten, ist deshalb zumindest fraglich. Das EmbG gibt dem Bundesrat in Art. 2 eine sehr generell formulierte Kompetenz, Zwangsmassnahmen zu erlassen, "um Sanktionen durchzusetzen, die von der Organisation der Vereinten Nationen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa oder von den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz beschlossen worden sind und die der Einhaltung des Völkerrechts, namentlich der Respektierung der Menschenrechte, dienen." (Art. 1 Abs. 1 EmbG). Diese Zwangsmassnahmen können insbesondere "Verbote, Bewilligungs- und Meldepflichten sowie andere Einschränkungen von Rechten umfassen" (Art. 1 Abs. 2 EmbG). Gemäss Art. 184 Abs. 3 BV ist der Bundesrat ermächtigt, direkt Verfügungen zu erlassen, wenn dies zur Wahrung der Interessen des Landes notwendig ist.
Strafrechtlich sanktioniert ist das Verbreiten von Propaganda im Übrigen erst dann, wenn diese Propaganda auf den gewaltsamen Umsturz der verfassungsmässigen Ordnung der Eidgenossenschaft oder eines Kantons gerichtet ist (Art. 275bis StGB), oder im Rahmen des Aufrufs zu Hass gegen eine bestimmte Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung (Art 261bis StGB).
b) Blockierung, Sperrung oder Widerruf von Domain-Namen
Die Zuteilung, Nutzung, Sperrung und den Widerruf von Domain-Namen liegt in der Kompetenz des Bundes, sofern es sich (i) um die länderspezifische Top-Level-Domain ".ch" oder andere Internet-Domains, die "alphanumerisch die Schweiz bezeichnen", z.B. ".swiss" handelt oder (ii) um eine generische Domain mit einem Bezug zur Schweiz (Art. 28b FMG). Die Sperrung bzw. der Widerruf von zugeteilten Domain-Namen kommt also im Vornherein nur mit Bezug auf Domain-Namen in Frage, welche durch den Bund bzw. die vom Bund beauftragte "Registerbetreiberin" verwaltet werden (für .ch-Domains aktuell SWITCH). Für die Zuteilung oder die Sperrung von anderen länderspezifischen Top-Level-Domain (z.B. ".com") ist der Bund nicht zuständig.
Gemäss der Verordnung über Internet-Domains ("VID"; SR 784.104.2) ist die Registerbetreiberin ermächtigt, Domainnamen temporär zu blockieren oder umzuleiten, wenn der begründete Verdacht besteht, dass dieser genutzt wird, um entweder mit unrechtmässigen Methoden an sensible Daten zu gelangen oder damit Schadsoftware verbreitet oder genutzt wird (Art. 15 f. VID). Eine Blockierung infolge rechtswidrigen Inhalts lässt sich hingegen basierend auf Art. 15 f. VID nicht rechtfertigen.
Die Registerbetreiberin kann aber auch zugeteilte Domain-Namen widerrufen. Ein Widerruf kommt insbesondere dann in Frage, wenn der Halter des Domain-Namen gegen die VID verstösst (Art. 30 VID). Er ist aber auch möglich, wenn "eine Schweizer Verwaltungs- oder Strafverfolgungsbehörde dies im Rahmen ihrer Zuständigkeit anordnet" (Art. 30 Abs. 2 lit. g VID). Diese können von der Registerbetreiberin auch verlangen, dass Domain-Namen im Sinne einer vorläufigen Anordnung technisch oder administrativ gesperrt werden (Art. 30 Abs. 3 lit. a und b VID).
Eine Anordnung des Bundesrats basierend auf Art. 2 des Embargogesetzes wäre nach Auffassung des Autors eine zuständige Anordnung einer Schweizer Verwaltungsbehörde. Folglich besteht ein rechtlicher Rahmen, um basierend auf dem Embargogesetz bestimmte Domain-Namen zu sperren – jedoch nur solche, die unter der Verwaltung des Bundes stehen, nicht aber solche anderer Top-Level-Domains (z.B. ".com", ".de", etc.). Die inhaltliche Prüfung der Massnahme (insb. Art. 36 BV), müsste im Rahmen des Embargogesetzes erfolgen.
c) Verbot zur Verbreitung via Online-Sharing-Plattformen
Die Schweiz hat bis anhin Online-Sharing-Plattformen nicht spezialgesetzlich geregelt. Insbesondere fehlt eine Verpflichtung der Betreiber, über ihre Plattformen zugänglich gemachte Inhalte zu prüfen oder gar präventiv zu blockieren. Eine analoge Regelung, wie sie aktuell in der EU mit dem Digital Services Act angestrebt wird, gibt es in der Schweiz nicht. Das BAKOM kam in seinem Bericht über Intermediäre und Kommunikationsplattformen vom 17. November 2021 allerdings zum Schluss, dass das Problem der Disinformation und der Hassrede auf Online-Sharing-Plattformen gravierend sei. Es sei allerdings zunächst "eine breite Diskussion zur Frage der gesellschaftlichen Einbindung und Governance von Intermediären in der Schweiz, aber auch gerade im internationalen Kontext notwendig", bevor der Gesetzgeber hier aktiv wird (S. 84).
Für ein Verbot von bestimmten Kanälen auf Social-Media-Plattformen besteht in der aktuellen Rechtsordnung in der Schweiz somit keine rechtliche Grundlage. Selbstverständlich bleibt es den Betreibern von Online-Sharing-Plattformen frei, gewisse Kanäle zu sperren. So hat z.B. Youtube die Kanäle von Russia Today und Sputnik in Europa bereits gesperrt.
Die aktuelle Medien- und Fernmelderegulierung bietet in beschränktem Umfang eine Rechtsgrundlage, um Kriegspropaganda einzuschränken:
[i] Vgl. Art. 36 BV; Ins Peter, BGER 169/2015 – MEDIENFREIHEIT, Anwaltsrevue 2016 S. 79 ff., 81; Thouvenin Florent/Stiller Burkhard/Hettich Peter/Bocek Thomas/Reutimann Kento, Keine Netzsperren im Urheberrecht, sic! 2017 S. 701 ff; S. 713. [ii] Gemäss Thouvenin/Stiller/Hettich/Bocek/Reutimann sind Netzsperren "insgesamt als unzumutbar und unverhältnismässig" (Thouvenin Florent/Stiller Burkhard/Hettich Peter/Bocek Thomas/Reutimann Kento, Keine Netzsperren im Urheberrecht, sic! 2017 S. 721).
Autor: Elias Mühlemann
Rechtsanwalt
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