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9. Februar 2021

Strassentafel mit Aufschrift Game changer ahead

FIDLEG / FINIG – Unsere Blogserie mit den wichtigsten Erkenntnissen für die Praxis (Post 11)

Das am 1. Januar 2020 in Kraft getretene Finanzdienstleistungsgesetz (FIDLEG) verpflichtet Finanzdienstleister, ihre Kunden basierend auf deren Wissens- und Erfahrungsstand verschiedenen Kundensegmenten zuzuordnen. Unter gewissen Voraussetzungen können Kunden ihr angestammtes Segment wechseln. Wer bestimmt, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind und was passiert, wenn sie nachträglich wegfallen?

Kundensegmentierung nach FIDLEG

Für die Kundensegmentierung unterscheidet das FIDLEG im Wesentlichen zwischen zwei Hauptkategorien von Kunden: den Privatkunden und den professionellen Kunden. Eine Untergruppe der professionellen Kunden bildet die Kategorie der institutionellen Kunden. Je nach Kundenkategorie ergeben sich für den Finanzdienstleister unterschiedliche Verhaltenspflichten, wobei das Schutzniveau bei den Privatkunden am höchsten ist (siehe auch Blogbeitrag Kundensegmentierung unter FIDLEG).

Opting-out

Vermögende Privatkunden können schriftlich erklären, dass sie als professionelle Kunden gelten wollen (sog. Opting-out). Dies macht insbesondere Sinn, wenn die vermögenden Privatkunden an Anlageprodukten interessiert sind, die Finanzdienstleister normalen Privatkunden aufgrund ihres Risikoprofils nicht anbieten dürfen. Ein Opting-out vom Privatkunden zum institutionellen Kunden (und ein umgekehrtes Opting-in vom institutionellen zum Privatkunden) ist jedoch nicht vorgesehen.

Durch den Wechsel in eine höhere Kundenkategorie wird das Schutzniveau für diese Kunden gesenkt. Der Finanzdienstleister hat die Privatkunden daher über die Folgen eines Opting-outs aufzuklären. Um einen Wechsel vorzunehmen, müssen die Privatkunden glaubhaft schriftlich erklären, dass sie aufgrund ihrer persönlichen Ausbildung und ihrer beruflichen Erfahrung oder aufgrund einer vergleichbaren Erfahrung im Finanzsektor über die Kenntnisse verfügen, die notwendig sind, um die Risiken der Anlagen zu verstehen, und dass sie über ein Vermögen von mindestens 500'000 Franken verfügen. Bei Personen mit einem Vermögen von mindestens 2 Millionen Franken muss kein Nachweis solcher Kenntnisse erfolgen (Art. 5 Abs. 2 lit. a und b FIDLEG). Privatkunden, deren Vermögen die entsprechenden Schwellenwerte nicht überschreitet, können kein Opting-out erklären.

Der Finanzdienstleister ist gemäss Art. 5 Abs. 7 FIDLEG verpflichtet, professionelle Kunden darauf aufmerksam zu machen, dass sie ein Opting-in vornehmen können, um als Privatkunden zu gelten. Umgekehrt sind Finanzdienstleister nicht verpflichtet, vermögende Privatkunden auf die Möglichkeit des Opting-out zum professionellen Kunden hinzuweisen. 

Erklärt ein Kunde ein Opting-out, gilt dies für sämtliche Geschäfte mit dem betroffenen Finanzdienstleister. 

Anrechenbares Vermögen

Die Finanzdienstleistungsverordnung (FIDLEV) führt in Art. 5 aus, welche Vermögenswerte im Rahmen eines Opting-outs angerechnet werden können. Darunter fallen Finanzanlagen, die direkt oder indirekt im Eigentum der Privatkunden stehen, namentlich Guthaben bei Banken und Wertpapierhäusern auf Sicht oder auf Zeit, Wertpapiere und Wertrechte, Derivate, Edelmetalle, Lebensversicherungen mit Rückkaufswert und Herausgabeansprüche aus Treuhandverhältnissen über solche Vermögenswerte. Solche Finanzanlagen sind an das Vermögen anrechenbar, wenn sie liquide sind, d.h. einfach in Geld umgewandelt werden können (sog. Bankable Assets). Explizit ausgeschlossen ist die Anrechnung von direkten Anlagen in Immobilien und Ansprüchen aus Sozialversicherungen sowie Guthaben der beruflichen Vorsorge. 

Muss der Finanzdienstleister die Angaben des Kunden prüfen?

Die Berechnung des anrechenbaren Vermögens ist grundsätzlich Sache des Kunden. Der Kunde sollte in der Regel am besten über seine finanziellen Vermögenswerte Bescheid wissen und in der Lage sein zu beurteilen, welche seiner Vermögenswerte liquide sind und welcher Preis für die Vermögenswerte erzielt werden könnte. Den Finanzdienstleister trifft grundsätzlich keine Pflicht zur Überprüfung der Richtigkeit der Kundenangaben. Der Kunde muss lediglich glaubhaft erklären, dass er die Voraussetzungen für die Qualifikation als vermögender Privatkunde erfüllt. Unter dem alten Kollektivanlagengesetz (KAG) war noch von einem Nachweis die Rede. Wenn der Finanzdienstleister jedoch weiss oder es sich ihm aufdrängt, dass die Angaben des Kunden nicht stimmen, muss er weitergehende Abklärungen tätigen. Bestehen keine ernsthaften Zweifel an den Angaben des Kunden kann sich der Finanzdienstleister mit einer Plausibilitätsprüfung begnügen. 

Vorgehen bei einer Änderung der Vermögensverhältnisse

Wenn sich der Finanzdienstleister im Zeitpunkt der Kundensegmentierung auf die Angaben des Kunden verlassen durfte, gilt dies auch für die Zeit danach. Es entsteht keine Pflicht des Finanzdienstleisters zur Abklärung allfälliger Änderung der persönlichen Verhältnisse des Kunden oder zur laufenden Überprüfung der Richtigkeit der Kundenzuteilung. Der Finanzdienstleister hat den Kunden beim Opting-out vielmehr darauf hinzuweisen, dass er bei einer Änderung seiner persönlichen Verhältnisse zur Meldung an den Finanzdienstleister verpflichtet ist. Es liegt daher am Kunden, den Finanzdienstleister über allfällige Änderungen zu informieren. Ergeben sich jedoch im Verlaufe der Geschäftsbeziehungen Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der Kundeneinstufung aufkommen lassen, muss der Finanzdienstleister die Kundenzuteilung entsprechend überprüfen. 

Solche Anhaltspunkte können sich bei Vermögensverwaltungs- und Anlageberatungsverhältnissen im Rahmen der zivilrechtlichen Erkundigungspflicht ergeben. In Übereinstimmung mit der Praxis der FINMA und den selbstregulatorischen Standesregeln sind Vermögensverwalter verpflichtet, sich regelmässig über die Verhältnisse des Kunden zu informieren. Über die Häufigkeit dieser Erkundigungen besteht keine Einigkeit. Unseres Erachtens ist jedenfalls eine spontane Erkundigungspflicht des Finanzdienstleisters abzulehnen.

Aus den im FIDLEG vorgesehenen Pflichten im Rahmen der Angemessenheits- und Eignungsprüfung lässt sich für Vermögensverwaltungs- und Anlageberatungsverhältnisse von Privatkunden mit Opting-out ebenfalls keine Erkundigungspflicht ableiten, da bei professionellen Kunden – zu denen die Privatkunden mit Opting-out zählen – gemäss Art. 13 Abs. 3 FIDLEG davon ausgegangen werden kann, dass diese über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen und die mit der Finanzdienstleistung einhergehenden Anlagerisiken finanziell tragbar sind. Daher ist bei professionellen Kunden im Rahmen der Angemessenheits- und Eignungsprüfung nur dann eine weitergehende Prüfpflicht zu bejahen, wenn entsprechende Anhaltspunkte bestehen.  

Hat der Finanzdienstleister mit einem Kunden nur punktuelle Vertragsbeziehungen empfiehlt es sich, bei einer neuen Kontaktaufnahme jeweils eine neue Einordnung vorzunehmen. Dies ist z.B. denkbar, wenn ein Kunde den Finanzdienstleister mit mehrjährigen Unterbrüchen kontaktiert, um einzelne Geschäfte abzuschliessen, nicht aber bei Dauerverhältnissen, wie der Vermögensverwaltung.

Was, wenn die Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind?

Informiert der Kunde den Finanzdienstleister über allfällige Änderungen oder ergibt sich im Laufe einer Überprüfung, dass die Voraussetzungen der Zuteilung zum höheren Kundensegment nicht mehr erfüllt sind, muss der Finanzdienstleister den Kunden darüber aufklären. 

Der Finanzdienstleister ist verpflichtet, den Kunden während des gesamten Dienstleistungsverhältnisses nach den gesetzlichen Voraussetzungen einem Kundensegment zuzuordnen. Stellt der Finanzdienstleister daher Abweichungen von den bisherigen Vermögensverhältnissen des Kunden fest, oder wird er vom Kunden über derartige Abweichungen informiert, muss er erneut abklären, ob der Kunde nach wie vor als professioneller Kunde gelten kann und falls dies verneint wird, eine Neueinteilung vornehmen. Gilt der Kunde aufgrund der veränderten Vermögensverhältnisse neu nur noch als Privatkunde, hat der Finanzdienstleister in Bezug auf diese Geschäftsbeziehung entsprechend die erhöhten Informations- und Schutzpflichten des FIDLEG zu beachten.

Für weitere Fragen steht Ihnen unser Banken- und Finanzmarktrechtsteam gerne zur Verfügung.

Autoren: Jana Essebier, Stefan Grieder, Ria Gurtner

Kategorien: Banken- und Finanzmarktrecht, Blog

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