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4. Februar 2021

Grossbaustelle mit vielen Kränen vor dramatischem Wolkenhimmel

Nach mehrjähriger Gesetzgebungsarbeit ist am 1. Januar 2021 die Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) in Kraft getreten. Gleichzeitig hat die Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz (BPUK) die Totalrevision der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) erarbeitet und verabschiedet. Die neue IVöB wird in Kraft treten, sobald zwei Kantone beigetreten sind.

Bevor die wesentlichen Neuerungen der neuen Gesetzgebung kurz skizziert werden, ist festzuhalten, dass eines der Hauptziele, nämlich die Harmonisierung von Bundes- und Kantonsrecht, erreicht wurde, da die BöB und die IVöB inhaltlich fast identisch sind, und zwar nicht nur in materiell-rechtlicher Hinsicht, sondern auch in Bezug auf das Vergabe- und Beschwerdeverfahren.

Hier finden Sie eine Auswahl von Neuheiten, die für Unternehmen von besonderem Interesse sind:

1. Objektiver und subjektiver Geltungsbereich

Das alte Gesetz enthielt keine Regeln über den objektiven und subjektiven Geltungsbereich, so dass die Gerichte gezwungen waren, diesen zu bestimmen. Die neue Gesetzgebung enthält detaillierte und recht komplexe Bestimmungen zu diesem Thema, weshalb hier nur einige Highlights genannt werden können:

Zum einen wird die BöB auf öffentliche Aufträge im engeren Sinne (wie in Art. 8 Abs. 1 BöB definiert), aber auch auf die Übertragung von öffentlichen Aufgaben und die Erteilung von Konzessionen anwendbar sein (objektiver Anwendungsbereich). Die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Übertragungen öffentlicher Aufgaben und Konzessionen wirft zahlreiche und komplexe Abgrenzungsfragen auf, die hier nicht behandelt werden können. Ein paar Beispiele, die die Lehre oder die Rechtsprechung anführen, reichen aus. Als Übertragung öffentlicher Aufgaben gelten zum Beispiel Hauspflegedienste (Spitex) und Selbstbedienungs-Fahrradsysteme. Der Bundesrat nennt in seiner Botschaft insbesondere die Abgabe der Empfangsgebühren nach dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen. Hingegen werden die Übertragung der Verwaltung und des Betriebs von zwei Gemeindetheatern genauso wie Taxikonzessionen als Konzessionen betrachtet.

Zum anderen werden in der neuen Gesetzgebung nunmehr alle Auftraggeberinnen, die den Vorschriften des öffentlichen Beschaffungswesens unterstehen, aufgelistet (subjektiver Geltungsbereich). So nennt Art. 4 BöB neben den Verwaltungseinheiten der zentralen und der dezentralen Bundesverwaltung insbesondere die eidgenössischen richterlichen Behörden, die Bundesanwaltschaft, die Parlamentsdienste sowie bestimme öffentliche und private Unternehmen, die öffentliche Dienstleistungen erbringen.

Schliesslich ist noch anzumerken, dass der Ausschluss von Inhouse-, Quasi-Inhouse- und In-State-Aufträgen aus dem Geltungsbereich des öffentlichen Beschaffungsrechts nun kodifiziert ist.

2. Nachhaltige Entwicklung

Die traditionellen Ziele des öffentlichen Beschaffungsrechts, nämlich die wirtschaftliche Verwendung öffentlicher Gelder, Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung, Wettbewerb und Transparenz, sind natürlich weiterhin gültig. Nachhaltige Entwicklung ist neu auch eines der Ziele des BöB. Tatsächlich bezweckt das Gesetz insbesondere "den wirtschaftlichen und den volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen Einsatz der öffentlichen Mittel" (Art. 2 lit. a BöB), die es insbesondere ermöglichen, die "fair Trade"- oder regionalen Eigenschaften eines Produktes zu berücksichtigen. Dieses letzte Beispiel zeigt, dass diese Ausweitung der Gesetzesziele allenfalls zu protektionistischen Zwecken genutzt werden könnte.

3. Verstärkung der qualitativen Kriterien für die Auftragsvergabe

Demnach haben die Auftraggeberinnen den öffentlichen Auftrag nicht mehr demjenigen Anbieter, der das wirtschaftlich günstigste Angebot unterbreitet hat, zuzuschlagen, sondern dem Anbieter, der einfach das günstigste Angebot eingereicht hat. Dies führt zu einer Stärkung der qualitativen Kriterien beim Vergabeverfahren und umfasst auch die Berücksichtigung der oben genannten Kriterien der nachhaltigen Entwicklung.

4. Berücksichtigung verschiedener Preisniveaus

Zukünftig müssen die Auftraggeberinnen die unterschiedlichen Preisniveaus in den Ländern, in welchen die Leistung erbracht wird, berücksichtigen, um zu vermeiden, dass Schweizer Unternehmen gegenüber ausländischen Anbietern, die ihre Leistungen kostengünstiger erbringen können, diskriminiert werden.

5. Prinzip des Erfüllungsortes

Das neue BöB sieht vor, dass Anbieterinnen verpflichtet sind, Arbeitsschutzbestimmungen und Arbeitsbedingungen am Ort der Leistung einzuhalten (Prinzip des Erfüllungsortes). Dies ist einer der wenigen Punkte, in denen eine Harmonisierung nicht erreicht werden konnte. Der Grund dafür sind die Anforderungen des Bundesgesetzes über den Binnenmarkt. Auf kantonaler Ebene gilt daher weiterhin das Herkunftsortprinzip, d.h. der Grundsatz, dass Anbieter die massgeblichen Bestimmungen am Ort ihres Sitzes oder ihrer Niederlassung in der Schweiz einhalten müssen.

6. Elektronische Auktionen

Das neue BöB sieht vor, dass in Zukunft elektronische Auktionen für die Beschaffung standardisierter Leistungen durchgeführt werden können. Die Auswahl des Anbieters muss auf der Grundlage quantifizierbarer Kriterien wie Preis oder Menge erfolgen.

7. Dialog

Als Reaktion auf heftige Kritik aus der Praxis, die sich über die Starrheit des öffentlichen Vergabeverfahrens beklagten, führt Art. 24 BöB die Möglichkeit ein, dass die Auftraggeberin im Rahmen eines offenen oder selektiven Verfahrens, welches sich auf komplexe Aufträge, intellektuelle Dienstleistungen oder innovative Leistungen bezieht, einen Dialog mit den Anbietern eröffnet, um den Leistungsgegenstand zu konkretisieren sowie die Lösungswege oder Vorgehensweisen zu ermitteln und festzulegen. Es ist zu beachten, dass der "Dialog" keine Preisverhandlungen zulässt.

8. Rahmenverträge

Eine weitere erwähnenswerte Neuerung ist die Möglichkeit für die Auftraggeberin, Rahmenverträge auszuschreiben, d. h. Verträge, deren Zweck es ist, die Bedingungen (insbesondere die Preise) für eine unbegrenzte Anzahl von Aufträgen im Laufe eines bestimmten Zeitraums von höchstens fünf Jahren festzulegen.

9. Rechtsschutz

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die "pièce de résistance" des öffentlichen Beschaffungsrechts durch die neue Gesetzgebung nicht gelöst wurde: es handelt sich um das alte Problem der Vertragsunterzeichnung zwischen der Auftraggeberin und dem berücksichtigten Anbieter vor Ablauf der Rechtsmittelfrist. Es stimmt, dass die neuen Regeln einen "Stillstand" vorsehen, d.h. ein Verbot für die Auftraggeberin, den Vertrag zu unterzeichnen, bevor die Frist für die Beschwerde gegen den Zuschlag abgelaufen ist. Die neuen Regeln legen hingegen nicht fest, welche Rechtsfolgen ein Verstoss gegen den Stillstand mit sich zieht. Dies ist sehr bedauerlich, da die Folge ist, dass die mit diesem Thema verbundene Unsicherheit bestehen bleibt und ein während des Stillstands unterzeichneter Vertrag in vielen Fällen nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.

Für das BöB ist hinzuzufügen, dass es bei Aufträgen, die nicht den einschlägigen Staatsverträgen unterstehen, keine Stillhaltefrist gibt. Das bedeutet, dass der Vertrag zwischen der Auftraggeberin und dem berücksichtigten Anbieter unterzeichnet werden kann, sobald der Zuschlag erfolgt ist. Dies mag überraschend erscheinen, ist aber die Konsequenz der Entscheidung des Bundesgesetzgebers, die Anbieterin im Rahmen einer Anfechtung von Aufträgen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs darauf zu beschränken, die Feststellung zu beantragen, dass der Zuschlag gegen Bundesrecht verstösst (statt der Zuschlagsaufhebung).

Autor: Lorenz Ehrler

Kategorien: Gesellschafts - und Handelsrecht, Public Sector und Regulatory, Blog

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