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1. Juni 2022 Neues Aktienrecht: Kapitalverlust, Überschuldung und Zahlungs(un)fähigkeit (Nr. 4)

Das neue Aktienrecht, welches am 1. Januar 2023 in Kraft tritt, sieht zahlreiche Anpassungen und Neuerungen betreffend Kapitalverlust, Überschuldung und Zahlungs(un)fähigkeit vor. In diesem Beitrag unserer Blogserie zum neuen Aktienrecht beleuchten wir, was neu zu beachten sein wird.

Überwachung der Liquidität

Neben der Überwachung der bilanziellen Situation hinsichtlich eines möglichen Kapitalverlusts sieht das Gesetz neu auch ausdrücklich die Pflicht zur Überwachung der Zahlungsfähigkeit, d.h. der Liquidität der Gesellschaft vor. Droht die Gesellschaft zahlungsunfähig zu werden, so hat der Verwaltungsrat Massnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit zu ergreifen. Sofern erforderlich hat der Verwaltungsrat weitere Massnahmen zur Sanierung der Gesellschaft zu ergreifen oder der Generalversammlung solche zu beantragen, soweit sie in deren Zuständigkeit fallen. Nötigenfalls muss der Verwaltungsrat sogar ein Gesuch um Nachlassstundung einreichen. Sämtliche Schritte sind mit der gebotenen Eile vorzunehmen, damit die Zahlungsunfähigkeit soweit möglich verhindert werden kann (Art. 725 OR).

Die Überwachung der Liquidität hat laufend zu erfolgen. Dass dazu ein Liquiditätsplan erstellt werden muss, wurde entgegen dem Vorentwurf allerdings nicht Gesetz. Wie weit in die Zukunft die Liquidität überwacht bzw. eingeschätzt werden muss, sagt das Gesetz nicht. Im Vorentwurf wurde noch ein Zeitraum von sechs Monaten bzw. zwölf Monaten bei Gesellschaften, die von Gesetzes wegen zu einer ordentlichen Revision verpflichtet sind, genannt. Dieser Zeitraum dürfte dennoch als Richtschnur gelten.

Eingeschränkte Revision bei Kapitalverlust, sofern keine Revisionsstelle vorhanden

Weiterhin gilt, dass wenn die letzte Jahresrechnung zeigt, dass die Aktiven abzüglich der Verbindlichkeiten die Hälfte der Summe aus Aktienkapital, nicht an die Aktionäre zurückzahlbarer gesetzlicher Kapitalreserve und gesetzlicher Gewinnreserve nicht mehr decken (sog. Unterdeckung bzw. Kapitalverlust), der Verwaltungsrat Massnahmen zur Beseitigung des Kapitalverlusts zu ergreifen bzw. der Generalversammlung entsprechende Sanierungsmassnahmen zu beantragen hat, soweit sie in deren Zuständigkeit fallen (Art. 725a Abs. 1 OR).

Neu muss im Falle der Unterdeckung die letzte Jahresrechnung vor ihrer Genehmigung durch die Generalversammlung einer eingeschränkten Revision durch einen zugelassenen Revisor unterzogen werden, sofern die Gesellschaft keine Revisionsstelle hat. Damit soll sichergestellt werden, dass die wirtschaftliche Lage nicht schlechter ist, als sie vom Verwaltungsrat dargestellt wird. Der zugelassene Revisor ist vom Verwaltungsrat zu ernennen. Diese Revisionspflicht entfällt nur, wenn der Verwaltungsrat ein Gesuch um Nachlassstundung einreicht. Auch hier gilt, mit der gebotenen Eile zu handeln (Art. 725a Abs. 2 OR).

Besteht begründete Besorgnis, dass die Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht mehr durch die Aktiven gedeckt sind, d.h. eine Überschuldung vorliegen könnte, so hat der Verwaltungsrat wie bisher unverzüglich je einen Zwischenabschluss zu Fortführungswerten und Veräusserungswerten zu erstellen. Auf den Zwischenabschluss zu Veräusserungswerten kann neu jedoch verzichtet werden, wenn die Annahme der Fortführung gegeben ist und der Zwischenabschluss zu Fortführungswerten keine Überschuldung aufweist. Ist die Annahme der Fortführung nicht gegeben, so genügt ein Zwischenabschluss zu Veräusserungswerten (Art. 725b OR).

Der Verwaltungsrat hat die Zwischenabschlüsse durch die Revisionsstelle oder, wenn eine solche fehlt, durch einen zugelassenen Revisor prüfen zu lassen. Der zugelassene Revisor ist auch hier vom Verwaltungsrat zu ernennen.

Rangrücktritte; Frist für Benachrichtigung des Konkursgerichts

Ist die Gesellschaft gemäss den beiden Zwischenabschlüssen überschuldet, so hat der Verwaltungsrat das Gericht zu benachrichtigen, das den Konkurs eröffnet.

Wie bisher kann die Benachrichtigung des Gerichts jedoch unterbleiben, wenn Gesellschaftsgläubiger im Ausmass der Überschuldung im Rang hinter alle anderen Gläubiger zurücktreten und ihre Forderungen stunden, sofern der Rangrücktritt den geschuldeten Betrag und die Zinsforderungen während der Dauer der Überschuldung umfasst (Art. 725b Abs. 4 Ziff. 1 OR).

Neu wird mit Bezug auf den Konkursfall ausdrücklich festgehalten, dass Forderungen von Gesellschaftsgläubigern, die im Rang hinter alle anderen Gläubiger zurückgetreten sind, in die Berechnung des Schadens der Gesellschaft nicht einzubeziehen sind (Art. 757 Abs. 4 OR). Mit dieser neuen Bestimmung möchte man die Rechtsprechung des Bundesgerichts korrigieren, wonach der Verwaltungsrat für diese rangrücktrittsbelasteten Forderungen hafte, sollte die Gesellschaft letztlich doch in Konkurs geraten. Allerdings wird diese Rechtsprechung des Bundesgerichts in der Lehre und Praxis unterschiedlich verstanden. Es ist jedoch unbestritten, dass Rangrücktritte bei der Berechnung einer allfälligen Überschuldung zu berücksichtigen sind, aber je nach den Umständen den finanziellen Niedergang der Gesellschaft nicht aufhalten können, weil sie keine echte Sanierungsmassnahme darstellen. In einem solchen Fall muss das Konkursgericht schliesslich dennoch benachrichtigt werden. Es ist daher fraglich, wieweit die neue Gesetzesbestimmung in der Praxis zu Änderungen führen wird.

Neu kann die Benachrichtigung des Gerichts auch unterbleiben, solange begründete Aussicht besteht, dass die Überschuldung innert angemessener Frist, spätestens aber 90 Tage nach Vorliegen der geprüften Zwischenabschlüsse, behoben werden kann, und dass die Forderungen der Gläubiger nicht zusätzlich gefährdet werden (Art. 725b Abs. 4 Ziff. 2 OR). Diese Klarstellung ist zu begrüssen, da sich in der Praxis die Frage der Dringlichkeit der Benachrichtigung des Gerichts regelmässig stellt.

Haftung des Verwaltungsrats; Generalversammlung kann Klageerhebung durch Gesellschaft beschliessen

Die Missachtung der Handlungspflichten durch den Verwaltungsrat betreffend drohender Zahlungsunfähigkeit bzw. Kapitalverlust kann dessen Verantwortlichkeit begründen (Art. 754 und Art. 756 f. OR). Weiterhin gilt, dass ausserhalb eines Konkurses neben der Gesellschaft (d.h. durch Beschluss des Verwaltungsrats) auch die einzelnen Aktionäre berechtigt sind, den der Gesellschaft verursachten Schaden einzuklagen, wobei der Anspruch des Aktionärs auf Leistung an die Gesellschaft geht. Der Gesamtverwaltungsrat dürfte allerdings nicht sonderlich motiviert sein, namens der Gesellschaft gegen sich selbst bzw. seine Mitglieder Klage zu erheben, es sei denn, die Vorwürfe richten sich nur gegen einzelne seiner Mitglieder. Neu kann die Generalversammlung daher beschliessen, dass die Gesellschaft die Klage erheben muss, und kann dazu den Verwaltungsrat oder einen Vertreter mit der Prozessführung betrauen (Art. 756 Abs. 1 und 2 OR).

Revisionsstelle kann nur noch aus wichtigen Gründen abberufen werden

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass zur Stärkung der Stellung der Revisionsstelle deren Abberufung unter dem neuen Aktienrecht nur noch aus wichtigen Gründen möglich ist (Art. 730a Abs. 4 OR). Im Anhang zur Jahresrechnung sind die Gründe, die zur Abberufung geführt haben, anzugeben (Art. 959c Abs. 2 Ziff. 14 OR).

Gerne steht Ihnen Ihr VISCHER-Team bei Fragen zur Verfügung.

Weitere Artikel der Serie:

Autoren: Peter Kühn, Thomas Steiner-Krizaj, Lukas Züst

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