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29. September 2021

Neue rechtliche Anforderungen für Unternehmen bei Verdacht auf Kinderarbeit

Betroffene Unternehmen von Corporate Social Responsibility Pflichten

Trotz Ablehnung der Konzernverantwortungsinitiative ("KVI") im November 2020 bleiben uns Corporate Social Responsibility ("CSR") Themen weiterhin erhalten. Das Parlament hat im Vorlauf zur KVI-Abstimmung einen indirekten Gegenvorschlag zur Ergänzung des Obligationenrechts ("OR") ausgearbeitet, welcher vereinzelte Aspekte der KVI ins geltende Recht übernimmt. Dies wird dazu führen, dass Unternehmen neue Sorgfalts- und Transparenzpflichten auferlegt werden. Die Referendumsfrist ist am 5. August 2021 ungenutzt abgelaufen. Am 14. Juli 2021 endete die Vernehmlassung der Ausführungsverordnung zum indirekten Gegenvorschlag. Die Auswertung der Vernehmlassung und somit die finale Version der Ausführungsverordnung sind noch ausstehend. Die neuen Normen werden am 1. Januar 2022 in Kraft treten. 

Eine Übersicht zu allen neuen CSR Pflichten sowie davon betroffenen Unternehmen finden Sie in unserem Blog vom 3. Juni 2021. Dieser Beitrag befasst sich spezifisch mit den Transparenz- und Sorgfaltspflichten von Unternehmen, bei denen ein begründeter Verdacht auf Kinderarbeit innerhalb der Lieferketten besteht.

Verdacht auf Kinderarbeit

Ein Unternehmen mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz, das Produkte oder Dienstleistungen anbietet, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, dass diese von Kindern hergestellt oder erbracht worden sind, kann unter die neuen Sorgfalts- und Transparenzpflichten fallen.

Der erste Entwurf der "Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz in den Bereichen Mineralien und Metalle aus Konfliktgebieten sowie Kinderarbeit" ("VSoTr") führt die Anpassungen im OR weiter aus. Verfolgt ein Unternehmen ein Geschäftsmodell, bei dem kein Verdacht auf Kinderarbeit besteht, fällt es nicht unter die neuen Transparenz- und Sorgfaltspflichten. Der initiale Entwurf der VSoTr ist Mitte April in die Vernehmlassung gegangen. Die Ergebnisse der Vernehmlassung sind mittlerweile publiziert, jedoch noch nicht ausgewertet.

Gemäss dem ersten Entwurf der VSoTr sollen folgende Definitionen gelten:

  • Lieferkette: Die Wertschöpfungskette eines Unternehmens, welche die eigene Geschäftstätigkeit und diejenigen aller Wirtschaftsbeteiligten und Akteure umfasst, die Produkte oder Dienstleistungen anbieten, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, dass sie mit dem Einsatz von Kinderarbeit hergestellt worden sind.
  • Begründeter Verdacht auf Kinderarbeit: Ein Verdacht muss auf konkreten unternehmensinternen oder -externen Hinweisen oder Anhaltspunkten beruhen.

Die Verordnung sieht folgende Ausnahmen von der Transparenz- und Sorgfaltspflicht vor:

  • Kleine und mittlere Unternehmen: Wenn ein Unternehmen zwei der folgenden Grössen in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren unterschreitet: Bilanzsumme von CHF 20 Mio., Umsatzerlös von CHF 40 Mio. oder 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt.
  • Länder mit geringem Risiko: Produkte oder Dienstleistungen werden aus Ländern mit geringem Risiko auf Kinderarbeit bezogen. Die VSoTr verweist auf den UNICEF Children's Right in the Workplace Index. Länder, die darin als "basic" eingestuft sind, gelten als Länder mit geringem Risiko.

Achtung: Die Vereinigten Staaten werden gemäss dem Children's Right in the Workplace Index als "enhanced" geführt.

Sorgfaltspflichten

  • Lieferkettenpolitik

Pflichtige Unternehmen müssen die Sorgfaltspflicht in Form einer Lieferkettenpolitik (engl. Supply chain policy) sicherstellen. Diese Politik oder „Policy“ muss eingeführt werden, um schädliche Risiken ermitteln und bewerten zu können. Somit wird von Unternehmen verlangt, dass sie durch ihre Lieferkettenpolitik Lieferanten und Sublieferanten derart gut kennen und im Griff haben, dass Kinderarbeit sofort identifiziert und unterbunden werden kann.

(i) Instrumente zur Erkennung von Risiken

Ein Unternehmen muss darlegen, wie es Fälle von Kinderarbeit in seiner Lieferkette ermittelt, bewertet, beseitigt und verhindert. Dies kann durch Kontrollen vor Ort geschehen, den Beizug von Fachleuten und Literatur (z.B. öffentlich zugängliche Studien) oder durch das Einholen von Auskünften. Zur Auskunftserteilung sind Informationen von Behörden, internationalen Organisationen oder sozialen Organisationen zu beachten. Ein Gerücht allein genügt dabei noch nicht als Verdacht auf Kinderarbeit. Vielmehr müssen die Auskünfte plausible, nachvollziehbar und textlich nachgewiesen sein. Um frühzeitig Probleme zu umschiffen, sollten jedoch auch Gerüchte nicht einfach ignoriert, sondern auf deren Plausibilität geprüft werden, insbesondere wenn sich ein Gerücht hartnäckig hält. Um sich ein möglichst objektives Bild zu verschaffen, hilft die Konsultation von verschiedenen Informationsquellen. Des Weiteren sind i.S. eines Mindestmasses die ILO-Übereinkommen Nrn. 138 und 182 zu befolgen.

Die aktuelle die Lieferkettenpolitik muss öffentlich zugänglich sein (z.B. durch Veröffentlichung auf der Homepage). Insbesondere sind auch Lieferanten diesbezüglich zu informieren. Die Verordnung verlangt dafür, dass die Lieferkettenpolitik in den Verträgen mit den Lieferanten integriert wird, was zwangsläufig zu Vertragsanpassungen führen wird.

Weiter müssen Unternehmen sicherstellen, dass «Bedenken» zu Kinderarbeit in der Lieferkette von allen interessierten Parteien gemeldet werden können. Das kann beispielsweise durch eine öffentlich zugängliche Emailadresse oder Telefonhotline ermöglicht werden.

(ii) Rückverfolgbarkeit

Weiter muss die Rückverfolgbarkeit der Lieferkette möglich sein. Hierfür müssen Unternehmen eine (interne) Liste über alle Dienstleister in ihrer gesamten Lieferkette führen, sodass alle Lieferanten jederzeit identifizierbar sind. Die Auflistung muss die Beschreibung des Produkts oder Dienstleistung (inkl. Handelsnamen) sowie Name, Sitz Anschrift der Lieferantin und der Produktionsstätte oder des Dienstleisters und des ausländischen Staates beinhalten. Bei Gruppengesellschaften bietet es sich an, diese Liste gemeinsam zu führen, bspw. durch ein systemintern von allen Seiten zugängliches Dokument.

(iii) Bewertung von Risiken und angemessene Massnahmen

Die Ermittlung der Risiken erfolgt schliesslich aufgrund der festgelegten Lieferkettenpolitik sowie der eingeholten Informationen. Risiken sind zu nennen und zu bewerten. Dabei sind die Eintretenswahrscheinlichkeit und die schädlichen Auswirkungen zu berücksichtigen. Selbstverständlich können nie alle Risiken erfasst werden. Gemäss Gesetz soll ein risikobasierter Ansatz bei der Risikobewertung angewendet werden. Ein Unternehmen muss sich (nur) bemühen, d.h. darauf hinzuwirken, die Ermittlung und Bewertung der Risiken zu gewährleisten.

Bei der Ermittlung und Bewertung der Risiken kann sich ein Unternehmen am ILO-IOE Child Labour Guidance Tool for Business orientieren.  

Sind Risiken erkannt, müssen "angemessene", d.h. zumutbare und risikobasierte, Massnahmen getroffen werden. Massnahmen sind laufend zu überwachen und allenfalls situativ anzupassen. Die Ergebnisse der Massnahmen muss das Unternehmen schliesslich nach aussen kommunizieren.

  • Risikomanagementplan

Mit einem Risikomanagementplan sollen Unternehmen auf die ermittelten und bewerteten Risiken reagieren. Durch den Risikomanagementplan sind die festgestellten Risiken zu mildern resp. deren Verwirklichung zu verhindern. Der schriftlich verfasste Plan soll dafür eine Strategie und die zu verfolgenden Ziele festhalten. Der Plan muss u.a. die zur Risikoanalyse verwendeten Methoden und die Risikobewertung wiedergeben, sowie Ansätze für die Risikominimierung beinhalten. Aus den aktuellen Gesetzesmaterialen ist derzeit nicht ersichtlich, wie detailliert der Risikomanagementplan sein soll. Ein Unternehmen, dass ausschliesslich in Bereichen tätig ist, die immer wieder mit Kinderarbeit kämpfen (z.B. Textilindustrie) sollte dabei einen detaillierten Risikomanagementplan führen als ein Unternehmen, das aufgrund von Gerüchten in einzelnen Bereichen mit möglicher Kinderarbeit konfrontiert wird.

Transparenzpflichten

In pflichtigen Unternehmen hat der Verwaltungsrat jährlich Bericht über die Einhaltung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette zu erstatten. Innerhalb von sechs Monaten nach Ende des Geschäftsjahrs hat der Verwaltungsrat diesen Bericht in einer Amtssprache oder in Englisch zu verfassen. Der Bericht muss während zehn Jahren öffentlich zugänglich bleiben. Ausgenommen von der Berichterstattung sind Unternehmen, die Produkte von anderen Unternehmen vertreiben, die selbst einen Bericht verfasst haben. Voraussichtlich wird der erste Bericht für das Geschäftsjahr 2023 zu verfassen sein.

Fazit

Unternehmen, bei denen ein Verdacht auf Kinderarbeit innerhalb der Lieferkette besteht, sollten folgende Abklärungen tätigen:

  1. Ist die Gesellschaft in einem Wirtschaftsbereich tätig, in welchem Kinderarbeit allgemein ein Problem darstellt?
  2. Wurde die erste Frage mit "Ja" beantwortet: Bezieht die Gesellschaft ihre Waren oder Dienstleistungen aus Ländern, die gemäss dem UNICEF Children's Right in the Workplace Index als "enhanced" oder gar "heightened" eingestuft werden?
  3. Wurde auch die zweite Frage mit "Ja" beantwortet: Gibt es konkrete unternehmensinterne oder –externe Verdachtsfälle auf Kinderarbeit innerhalb der Lieferkette?

Beantwortet ein Verwaltungsrat die Fragen 1 - 3 mit "Ja", unterliegt das Unternehmen den Transparenz- und Sorgfaltspflichten und hat entsprechend seine Lieferkette zu kontrollieren und darüber zu berichten. Im Rahmen dieser Massnahmen müssen die Lieferantenverträge geprüft und allenfalls angepasst werden, wenn diese noch keine Auditmöglichkeiten bei Lieferanten und Sublieferanten enthalten.

Werden Frage 2 oder 3 dagegen mit "Nein" beantwortet, besteht keine Handlungspflicht für dieses Unternehmen. Der Verwaltungsrat sollte dies protokollarisch festhalten. Und auch wenn aktuell keine Handlungspflicht besteht, sollte der Verwaltungsrat dennoch mindestens einmal jährlich oder sofort ab Bestehen eines begründeten Verdachts auf Kinderarbeit die Fragen 1 – 3 wieder neu beantworten, um frühzeitig auf eine Veränderung der Verhältnisse reagieren zu können. 

Autorin: Pauline Pfirter

Co-Autorin: Luljeta Morina

Kategorien: Gesellschafts - und Handelsrecht, Blog

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