
Mittels Familiennachzug können Personen, die sich mit rechtmässigem Aufenthaltstitel in der Schweiz aufhalten, ihre im Ausland lebenden Familienangehörigen in die Schweiz holen. Während EU/EFTA-Staatsangehörige (mit einem gültigen Schweizer Aufenthaltstitel) dabei in den Genuss der diesbezüglichen sehr grosszügigen Regelung im Freizügigkeitsabkommen (FZA) kommen, gelten für Schweizer/-innen grundsätzlich strengere Voraussetzungen. Diese seit Jahrzehnten bestehende Ungleichbehandlung beim Familiennachzug solle nun aufgehoben und gleiche Bedingungen für diese beiden Personengruppen geschaffen werden. Die dazu ausgearbeitete Gesetzesänderung ist momentan im Parlament hängig. Ob sie in Kraft treten wird, ist jedoch weiterhin ungewiss.
Nachfolgend werden die derzeitige Rechtslage und die geplanten Änderungen vorgestellt.
Familiennachzug durch EU/EFTA-Bürger/-innen
Nachzugsberechtigte Familienangehörige
Für EU/EFTA-Staatsangehörige mit rechtmässigem Aufenthalt in der Schweiz regelt das FZA die Voraussetzungen für den Familiennachzug. Der Kreis der Familienangehörigen, die in Schweiz geholt werden dürfen (nachzugsberechtigte Familienangehörige) ist (sehr) weit gefasst und umfasst die folgenden Personen:
- Ehegatten und Verwandte in absteigender Linie (z.B. (Adoptiv-)Stiefkinder, Enkel), die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird. Als Unterhaltsleistung zählt jegliche Form der Unterstützung, die bereits im Zeitpunkt der Gesuchstellung vorliegen muss;
- Verwandte in aufsteigender Linie der nachziehenden Person und des Ehegatten, also die (Schwieger-)Eltern, (Ur-)Grosseltern, sofern eine Unterhaltsbedürftigkeit der Verwandten und eine tatsächliche Unterstützungsleistung mindestens bei Gesuchstellung nachgewiesen werden.
Das gilt nicht für EU/EFTA-Studierende in der Schweiz, da diese nur ihren Ehegatten und unterhaltsberechtigten Kinder nachziehen können; und
- Weitere Angehörige und Nahestehende, wie Konkubinatspartner, Onkel und Tanten, Geschwister, vorausgesetzt, dass Unterhaltsleistungen oder das gemeinsame Zusammenleben vor der Einreise in die Schweiz durch die nachziehende EU/EFTA-Person nachgewiesen werden können.
Die genannten Familienangehörige können unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres aktuellen Aufenthaltstitels nachgezogen werden. Das heisst, es kommt beim Nachzug nicht darauf an, von welchem Land der/die Familienangehörige stammt, wo sich diese Person befindet und sie im Besitz eines gültigen EU/EFTA-Aufenthaltstitels ist. Der Kreis der nachzugsberechtigten Familienangehörigen ist somit sehr weit gefasst.
Modalitäten des Nachzugs und der Bewilligungserteilung
Für den Nachzug muss zudem keine Frist beachtet werden. Daher kann die nachziehende Person ein Gesuch auf Familiennachzug auch erst nach einem 10-jährigen (oder noch längeren) Aufenthalt in der Schweiz stellen. Schliesslich wird auch nicht verlangt, dass die Familie in der Schweiz zusammenwohnt. Einzige Verpflichtung der EU/EFTA-Person ist, ihren nachgezogenen Familienangehörigen eine angemessene Wohnung zu gewährleisten. Die Angemessenheit der Wohnung richtet sich dabei nach den ortsüblichen Verhältnissen. In der Praxis gilt die Faustregel "Anzahl Zimmer = Anzahl Personen minus eins". Allerdings wird diese nicht strikt angewendet und es kann auch bereits ein Zimmer für drei Kinder genügen.
Sind die eben dargelegten Voraussetzungen aus dem FZA erfüllt, müssen die kantonalen Migrationsbehörden das Gesuch einer EU/EFTA-Person auf Familiennachzug bewilligen, ausser sie stellen einen Rechtsmissbrauch fest (zum Beispiel eine Scheinehe). Wird das Gesuch bewilligt, dürfen die Familienangehörigen in die Schweiz reisen und auch direkt anfangen hier zu arbeiten. Sie erhalten ausserdem den gleichen Aufenthaltstitel wie die nachziehende EU/EFTA-Person. Ihr Aufenthaltstitel ist aber an die nachziehende Person geknüpft. Verliert die nachziehende Person ihr Aufenthaltsrecht für die Schweiz oder trennen sich die Ehegatten, so bedeutet das normalerweise auch für die nachgezogene Person den Verlust der Aufenthaltsbewilligung (zumindest sofern sie nicht ein originäres Aufenthaltsrecht geltend machen kann).
Dank der Familiennachzugsregelung im FZA können EU/EFTA-Staatsangehörige ihr Familienleben ohne gesetzliche Hürden in der Schweiz weiterführen.
Familiennachzug durch Schweizer/-innen
Möchte hingegen ein/e Schweizer/in die im Ausland lebenden Familienangehörigen in die Schweiz holen, regelt das Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) den Nachzug. Es differenziert zwischen Familienangehörigen, die eine dauerhafte Aufenthaltsbewilligungen eines Staates, mit dem ein Freizügigkeitsabkommen geschlossen wurde, besitzen (Art. 42 Abs. 2 AIG; relevant ist hier insbesondere das FZA) und solchen aus Drittstaatsländern (Art. 42 Abs. 1 AIG). Für diese beiden Personengruppen ist der Familiennachzug unterschiedlich geregelt.
Familienangehörige mit dauerhaftem EU/EFTA-Aufenthaltsausweis
Sofern die nachzuziehenden Familienangehörigen im Besitz einer dauerhaften EU/EFTA-Aufenthaltsbewilligung sind, ist die Familiennachzugsregelung dem FZA angepasst und es können grundsätzlich die gleichen Personen nachgezogen werden. Die Staatsangehörigkeit der nachzuziehenden Person ist irrelevant. So kann z.B. eine Vietnamesin, die rechtmässig mit einer dauerhaften Aufenthaltsbewilligung in Deutschland lebt, von ihrem Schweizer Ehegatten in die Schweiz nachgezogen werden. Eine Einschränkung besteht jedoch in Bezug auf entferntere Verwandte oder den/die Konkubinatspartner/in; diesen ist der Familiennachzug verwehrt.
Auch hier ist dem Gesuch um Familiennachzug keine Frist gesetzt. Es wird zudem kein Zusammenwohnen in der Schweiz verlangt, sofern die Familienbeziehung trotzdem gelebt und den Familienangehörigen eine angemessene Wohnung zur Verfügung gestellt wird.
Familienangehörige ohne dauerhaften EU/EFTA-Aufenthaltsausweis
Ganz anders gestaltet sich der Familiennachzug, wenn die Familienangehörigen des/der Schweizers/in aus einem Drittstaat (nicht EU/EFTA-Land) kommen und auch keine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung für einen EU/EFTA-Staat haben. Hier ist der Kreis der nachzugsberechtigten Personen auf den Ehegatten und die ledigen Kinder unter 18 Jahre beschränkt.
Ausserdem sind Fristen für den Nachzug zu beachten. Das Gesuch um Familiennachzug muss innert fünf Jahren gestellt werden, bei Kindern über 12 Jahren sogar innert einem Jahr. Wenn der/die Schweizer/in bereits im Ausland mit der nachzuziehenden Person zusammengelebt hat, beginnt die Frist mit der Einreise in die Schweiz zu laufen. Lebten sie hingegen nicht zusammen, so begründet die Eheschliessung oder die Geburt bzw. Adoption den Beginn des Fristenlaufs. Wer zu lange zuwartet mit dem Gesuch, läuft Gefahr, die Frist zu verpassen. Für einen nachträglichen Familiennachzug müssen "wichtige familiäre Gründe" vorgebracht werden, wobei die Behörden eine restriktive Bewilligungspraxis haben. Es ist daher äusserst wichtig, die Fristen für den Familiennachzug zu kennen und einzuhalten.
Schliesslich wird auch ein Zusammenleben in der Schweiz verlangt. Das Aufenthaltsrecht setzt eine tatsächlich gelebte familiäre Beziehung voraus. Nur in Ausnahmefällen, bei Vorliegen wichtiger Gründe, kann die zuständige Behörde getrennte Wohnungen bewilligen.
Bewilligung für die nachgezogenen Familienangehörigen
Wenn ein/e Schweizer/in die ausländischen Familienangehörige nachzieht, erhalten diese nicht die Schweizer Staatsbürgerschaft, sondern nur eine Aufenthaltsbewilligung (B). Diese wird auch immer wieder verlängert, solange die Familiengemeinschaft weiterbesteht. Nach fünf Jahren steht es der nachgezogenen Person sodann zu, eine Niederlassungsbewilligung (C) zu beantragen. Allerdings muss für deren Erhalt eine genügende Integration in die Schweiz nachgewiesen werden. Kinder unter 12 Jahren hingegen haben direkt und voraussetzungslos Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung (C). Hier ist das Alter im Zeitpunkt der Gesuchstellung massgebend.
Der Familiennachzug für Schweizer ist somit restriktiver ausgestaltet als im FZA.
Geplante Gesetzesänderung
Aus dem Gesagten ergibt sich klar eine Ungleichbehandlung beim Familiennachzug durch Schweizer/innen gegenüber EU/EFTA-Personen. Doch das soll sich ändern und gleiche Voraussetzungen für den Nachzug geschaffen werden.
Angleichung zum FZA
Schweizer/innen sollen die gleichen Freiheiten zukommen, wie EU/EFTA-Staatsangehörigen. Konkret würde das die Abschaffung von sämtlichen Fristen für die Stellung des Nachzugsgesuchs bedeuten. Auch das Erfordernis des Zusammenlebens würde wegfallen. Zwar müsste das Familienleben weiterhin tatsächlich gelebt werden, doch würde von Schweizer/innen nicht mehr verlangt, dies in einem Haushalt zu tun. Schliesslich soll auch nicht mehr zwischen Familienangehörigen mit dauerhaftem EU/EFTA-Aufenthaltsausweis und solchen ohne differenziert werden. Es soll gerade keine Rolle spielen, was für eine Staatsangehörigkeit die nachzuziehende Person besitzt und wo und mit welchem Titel sie sich vor dem Nachzug aufgehalten hat. Ausserdem soll der Kreis der nachzugsberechtigten Personen analog zum FZA geöffnet werden. Zukünftig sollen Schweizer/innen unter anderem auch die Stiefeltern und -kinder und Konkubinatspartner/innen über den Familiennachzug in die Schweiz holen können. Das Kindesalter soll auf 21 Jahre erhöht werden. Somit würde die beabsichtigte Gesetzesänderung eine Vereinheitlichung der Familiennachzugsvoraussetzungen mit dem FZA bewirken. Ausserdem könnte jeder, der in der Vergangenheit die Frist für den Nachzug verpasst hat, nun erneut ein Gesuch stellen.
Unterschiede zum FZA
Unberührt von der beabsichtigten Gesetzesänderung bleibt allerdings das Privileg aus dem AIG, für Kinder unter 12 Jahren direkt eine Niederlassungsbewilligung (C) zu beantragen. Das FZA sieht diese Möglichkeit für nachgezogene Kinder von EU/EFTA-Personen nicht vor.
Gleichzeitig sieht der Gesetzesentwurf jedoch auch wieder eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu EU/EFTA Personen vor. Danach könnte die Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung mit dem Abschluss einer Integrationsvereinbarung verbunden werden, wenn ein besonderer Integrationsbedarf besteht. Die Migrationsbehörde würde somit zukünftig unter Umständen vor Erteilung oder Verlängerung der Bewilligung prüfen, ob die Integrationskriterien von der nachgezogenen Person eingehalten werden. Unter geltendem Recht ist dies nur der Fall, wenn die nachgezogene Person eine Niederlassungsbewilligung beantragt.
Wie zu Beginn dargelegt, ist aber nach wie vor unklar ob und wann die beabsichtigte Gesetzesänderung in Kraft tritt.
Für Fragen und Unterstützung rund um den Familiennachzug steht Ihnen das Immigration-Team der VISCHER AG gerne zur Seite.
Autorinnen: Jeannine Dehmelt und Giulia Hiddink