
Was müssen Arbeitgeber wissen?
Zahlreiche Gewerkschaften und Frauenverbände haben dazu aufgerufen, am 14. Juni 2019 die Arbeit niederzulegen und für die Rechte der Frauen, insbesondere für mehr Lohngleichheit, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und gegen Sexismus zu demonstrieren.
1. Wie ist die Rechtslage?
Nach der Praxis des Bundesgerichts müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Streik rechtmässig ist:
- Der Streik muss von einer Arbeitnehmerorganisation getragen werden, die mit der Arbeitgeberseite Verhandlungen über Arbeitsbedingungen führt. Ein einzelner Arbeitnehmer darf nicht streiken.
- Der Streik muss Ziele verfolgen, welche innerhalb eines Gesamtarbeitsvertrages regelbar sind und folglich mit Arbeitsbeziehungen in Verbindung stehen (z.B. höhere Gehälter oder eine Änderung des Rentenalters).
- Es dürfen keine besonderen Verpflichtungen entgegenstehen, den Arbeitsfrieden zu wahren oder Schlichtungsverhandlungen zu führen (z.B. durch Gesetz oder eine im Gesamtarbeitsvertrag begründete Friedenspflicht).
- Der Streik muss zudem verhältnismässig sein und darf nur als ultima ratio in Frage kommen.
Nicht rechtmässig sind somit rein politisch motivierte Streiks, die keinen konkreten Bezug zu einem Arbeitsverhältnis bzw. bestimmten Arbeitgeberinnen aufweisen oder sogenannte 'wilde Streiks', die nicht von einer Gewerkschaft getragen werden. Als unzulässig gelten ferner reine Sympathiestreiks bei Arbeitskämpfen in anderen Betrieben oder Streiks zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen.
2. Ist der Frauenstreik rechtlich zulässig?
Bei der Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des Frauenstreiks stellt sich zunächst die Frage, ob der Streik von einer Arbeitnehmerorganisation getragen wird. Dies scheint auf den ersten Blick der Fall zu sein, da zahlreiche Arbeitnehmerverbände (darunter SGB, Unia, Syna, VPOD) zum Streik aufgerufen haben. Die formulierten Forderungen (z.B. mehr Lohngleichheit, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gegen Sexismus) etc. sind diffus, beinhalten bei wohlwollender Betrachtung indes (auch) Forderungen zu verbesserten Arbeitsbedingungen für Frauen.
Allerdings ist der Frauenstreik aus arbeitsrechtlicher Sicht schon deshalb problematisch, weil sich der Aufruf an einen breiten Kreis von Frauen richtet, ungeachtet dessen, wer ihre Arbeitgeberin ist oder welcher Branche sie angehören oder gar, ob sie überhaupt arbeitstätig sind. Das grundliegende Problem des bevorstehenden Frauenstreiks besteht darin, dass er nicht darauf abzielt, konkrete Regelungen in Gesamtarbeitsverträgen abzuschliessen und sich folglich auch nicht an spezifische Arbeitgeberorganisationen oder Arbeitgeberinnen richtet. Vielmehr werden allgemein politische Forderungen formuliert, die sich an die Allgemeinheit der Arbeitgeberinnen richten.
Schliesslich ist das Prinzip der Verhältnismässigkeit ("ultima ratio") klar verletzt.
Bei rein rechtlicher Betrachtung ist der Frauenstreik daher als rechtlich nicht zulässiger Streik zu qualifizieren.
3. Was heisst das für mich als Arbeitgeberin?
Bei Arbeitgeberinnen besteht momentan viel Verunsicherung darüber, wie der Frauenstreik adressiert werden soll. Gerade in Zeiten erhöhter Sensibilität gegenüber Gender-Diversity und Gender-Equality Fragen ist das heikel. Aus rein rechtlicher Sicht ist das Folgende zu beachten:
Im Vorfeld:
In erster Linie sollten sich Arbeitgeberinnen fragen, inwieweit bei den Mitarbeitern überhaupt das Bedürfnis besteht, am Frauenstreik teilzunehmen und ob man grundsätzlich bereit ist, streikwilligen Mitarbeitern entgegenzukommen. Dabei sollten die Mitarbeiter darauf hingewiesen werden, dass es sich beim Frauenstreik um einen rechtlich unzulässigen Streik handelt und die Arbeitgeberinnen daher grundsätzlich zu einem Entgegenkommen nicht verpflichtet sind. Gleichwohl empfehlen wir, soweit betrieblich möglich, Streikwilligen Ferien, Überstundenkompensationen oder Gleitzeitausgleiche unbürokratisch zu bewilligen.
Bei einer unbewilligten Teilnahme am Frauenstreik:
Da es sich beim Frauenstreik nicht um einen zulässigen Streik im Rechtsinne handelt, kann die Arbeitgeberin ihren Mitarbeitern grundsätzlich untersagen, der Arbeit teilweise oder vollständig fernzubleiben. Bei Nichterscheinen zur Arbeit, liegt eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten vor. Dasselbe gilt auch für unverhältnismässig lange Pausen. Als Folge drohen den betreffenden Mitarbeitern dieselben Konsequenzen, wie wenn sie unentschuldigt der Arbeit fernblieben. Konkret kann dies bedeuten:
- Kein Anspruch auf Lohn
Entscheiden sich Mitarbeiter gegen den Willen der Arbeitgeberin für die Teilnahme am Frauenstreik, liegt eine unberechtigte Arbeitsverweigerung vor. Als Folge davon ist während der Dauer der Teilnahme am Streik kein Lohn geschuldet, da das Arbeitsverhältnis in dieser Zeit suspendiert ist (Art. 82 OR). Es gilt der Grundsatz: "Ohne Arbeit kein Lohn". - Verwarnungen oder Ordnungsstrafen
Beim Frauenstreik handelt es sich um einen Streik, der zeitlich auf maximal einen Tag beschränkt ist und so organisiert ist, dass die Mitarbeiter auch nur während (verlängerten) Pausen daran teilnehmen können. Ein unerlaubtes Fernbleiben von der Arbeit stellt daher in diesen Fällen (z.B. bei verspäteter Rückkehr aus der Pause) grundsätzlich keine schwerwiegende Vertragsverletzung dar. Als mildeste Sanktion kann die Arbeitgeberin Verwarnungen oder vertraglich vorgesehene Ordnungsstrafen aussprechen. - Kündigung
Wiegt die unbefugte Teilnahme am Frauenstreik für eine Arbeitgeberin so schwer, dass sie für ihn eine unzumutbare Vertragsverletzung darstellt, kann eine Kündigung ausgesprochen werden. Je nach dem konkreten Einzelfall, z.B. wenn ein Mitarbeiter bereits mehrfach unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben ist und deswegen verwarnt wurde, kommt unter Umständen eine fristlose Kündigung in Frage.
Für Arbeitgeberinnen empfehlen wir, das Thema bei entsprechenden Anfragen von Mitarbeitern aufzunehmen und die Position des Betriebs klar zu kommunizieren. Damit können unrechtmässige Teilnahmen am Streik durch Mitarbeiter vorgebeugt werden.
Unser Team Arbeitsrecht beantwortet gerne allfällige Fragen.
Autoren: Marc Ph. Prinz, Anela Lucic