
Am 15. November 2019 fand die jährlich im Rahmen der Weiterbildungsreihe "Recht aktuell" von der juristischen Fakultät der Universität Basel veranstaltete Tagung zu den neuesten Entwicklungen im Zivilprozessrecht statt ("Basler ZPO-Tag"). Besondere Beachtung fand dabei die aktuelle bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Zivilprozess. Geklärt wurde unter anderem das Verhältnis von Teilklagen und negativen Feststellungswiderklagen.
Teilklagen und negative Feststellungswiderklagen – Begriffe
Teilklagen sind ein beliebtes prozessuales Instrument, welches vorwiegend eingesetzt wird, um Prozesschancen abzuschätzen und gleichzeitig das Kostenrisiko der klagenden Partei gering zu halten. Es wird zwischen echten und unechten Teilklagen unterschieden. Die echte Teilklage zeichnet sich dadurch aus, dass von einer einheitlichen Forderung lediglich ein Teil eingeklagt wird (es besteht z.B. eine Kaufpreisforderung von CHF 150'000, von der jedoch vorerst nur CHF 30'000 eingeklagt werden). Die unechte Teilklage ist demgegenüber dadurch gekennzeichnet, dass nur einzelne von mehreren Ansprüchen eingeklagt werden, welche auf einem einheitlichen Rechtsgrund basieren (z.B. wird vorerst nur ein Monatslohn eingeklagt, obwohl Anspruch auf drei Monatslöhne bestünde).
Die negative Feststellungswiderklage ist gewissermassen das Gegenstück hierzu. Mit ihr macht der Beklagte geltend, dass die vom Kläger mit seiner Hauptklage eingeklagte Forderung im gesamten (d.h. nicht bloss teilweise eingeklagten) Umfang nicht besteht.
Verfahrensrechtliche Ausgangslage
In verfahrensrechtlicher Hinsicht gilt es zu beachten, dass der Streitwert einer Klage bestimmt, in welcher Verfahrensart die Klage zu behandeln ist. Die Schweizerische Zivilprozessordnung ("ZPO") sieht dabei vor, dass insbesondere für vermögensrechtliche Klagen mit einem Streitwert bis und mit CHF 30'000 das sogenannte vereinfachte Verfahren zur Anwendung gelangt (Art. 243 Abs. 1 ZPO). Nur wenn der Streitwert diesen Betrag übersteigt, kommt das sogenannte ordentliche Verfahren zur Anwendung. Im Zusammenhang mit Widerklagen gilt es dabei zu beachten, dass gemäss Art. 224 Abs. 1 ZPO eine Widerklage nur dann möglich ist, wenn der mit der Widerklage geltend gemachte Anspruch nach der gleichen Verfahrensart wie die Hauptklage zu beurteilen ist.
Ist die negative Feststellungswiderklage über den vollen Betrag zulässig?
Aufgrund der oben zitierten Ausgangslage war lange umstritten, ob gegen eine Teilklage eine negative Feststellungswiderklage über den gesamten Betrag erhoben werden kann, auch wenn der Streitwert der Teilklage maximal CHF 30'000 beträgt, der Streitwert der negativen Feststellungsklage hingegen CHF 30'000 übersteigt. In diesem Fall wären die Teilklage und die negative Feststellungswiderklage nämlich in unterschiedlichen Verfahrensarten zu behandeln, was gemäss Wortlaut von Art. 224 Abs. 1 ZPO gegen die Zulässigkeit der negativen Feststellungswiderklage spräche.
Was sagt das Bundesgericht? Erster Entscheid im Jahr 2017
In einem ersten Grundsatzentscheid hielt das Bundesgericht 2017 fest, dass es zulässig sei, eine negative Feststellungswiderklage mit einem höheren Streitwert als CHF 30'000 gegen eine grundsätzlich im vereinfachten Verfahren zu behandelnde echte Teilklage zu erheben. Haupt- und Widerklage seien diesfalls beide im ordentlichen Verfahren zu beurteilen (BGE 143 III 506).
Was sagt das Bundesgericht? Neuer Entscheid aus dem Jahr 2019
In einem zweiten Entscheid vom Juli dieses Jahres hatte das Bundesgericht das Verhältnis zwischen unechten Teilklagen und negativen Feststellungswiderklagen zu beurteilen (Bundesgerichtsentscheid 4A_29/2019 vom 10. Juli 2019; der Entscheid ist zur Publikation vorgesehen).
Die Klägerin hatte die Bezahlung von CHF 14'981.25 zuzüglich Zins verlangt, wobei sie sich ausdrücklich vorbehielt, weitere Beträge einzuklagen. Zur Begründung führte sie aus, dass es sich um eine Teilklage aus der Gesamtforderung für Überzeitentschädigung der Jahre 2014, 2015 und 2016 im Betrag von insgesamt CHF 51'850.00 handle. Von dieser Gesamtforderung machte die Klägerin einstweilen die Überzeitentschädigung aus dem Jahre 2016 geltend.
Die Beklagte erhob darauf Widerklage und beantragte die Feststellung, dass sie der Klägerin keine Entschädigung aus Überzeit schulde. Die vorinstanzlichen Zürcher Gerichte erachteten die negative Feststellungswiderklage als unzulässig, weil die Klägerin mit ihrer Klage einen Anspruch geltend mache, der innerhalb des Gesamtanspruchs individualisiert werden könne. Damit liege eine unechte Teilklage vor, weshalb die negative Feststellungswiderklage nur zulässig sei, wenn sie den Streitwert von CHF 30'000 nicht überschreite.
Das Bundesgericht hob die Entscheidung der Zürcher Gerichte mit Verweis auf BGE 143 III 506 wieder auf. Das Interesse an einer negativen Feststellungswiderklage des Beklagten liege auf der Hand, wenn beispielsweise der Kläger aus einem ganzheitlichen Anspruch (beispielsweise einer Kaufpreisforderung) einen lediglich betragsmässig begrenzten Teil einklage. Die Ausnahme vom Grundsatz, dass für die Widerklage die gleiche Verfahrensart gemäss Art. 224 Abs. 1 ZPO gegeben sein müsse, gelte aber allgemein immer dann, wenn die Teilklage eine Ungewissheit zur Folge habe, die es rechtfertige, die Feststellung des Nichtbestands einer Forderung oder eines Rechtsverhältnisses zu verlangen. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall erfüllt: Die Klägerin hatte in ihrer Klageschrift behauptet, es stehe ihr eine Gesamtforderung aus Überzeitentschädigungen aus den Jahren 2014, 2015 und 2016 im Umfang von CHF 51'850.00 zu. Sie hatte jedoch unter ausdrücklichem Nachklagevorbehalt lediglich die Überzeitentschädigung für das Jahr 2016 im Umfang von CHF 14'981.25 eingeklagt. In dieser Situation müsse es der Beklagten möglich sein, mittels negativer Feststellungswiderklage auch die Überzeitentschädigung aus den Jahren 2014 und 2015 im selben Verfahren beurteilen zu lassen.
Was für Schlüsse lassen sich aus der Rechtsprechung ziehen?
Das Bundesgericht bestätigt und erweitert seine von verschiedener Seite kritisierte Rechtsprechung, wonach bei (nunmehr sämtlichen) Teilklagen eine negative Feststellungswiderklage zulässig sei, auch wenn diese grundsätzlich nach einer anderen Verfahrensart zu beurteilen wäre. Das Bundesgericht gewichtet das Interesse an Sicherheit der beklagten Partei höher als das Interesse der klagenden Partei, mit einer Teilklage im vereinfachten Verfahren einen Pilotprozess mit kleinem Kostenrisiko zu führen, um die Chancen der Durchsetzung der gesamten Forderung beurteilen zu können. Entsprechend muss in Zukunft stets berücksichtigt werden, dass auch bei einer Teilklage mit einem Streitwert unter CHF 30'000 – unabhängig davon, ob es sich um eine echte oder um eine unechte Teilklage handelt – unter Umständen das ordentliche statt das vereinfachte Verfahren drohen kann. Das Prozesskostenrisiko für die teilklagende Partei erhöht sich dadurch erheblich, auch wenn der Kostenvorschuss für die Feststellungswiderklage von der beklagten Partei geleistet werden muss.
Autoren: Aline Mata, Florian Jenal, Florian Fuhrimann