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Das Schweizerische Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum ("IGE") ändert seine langjährige Praxis und verzichtet künftig auf die generelle geografische Einschränkung der Waren- und Dienstleistungsliste ("WDL") zur Eintragung von Marken mit einer geografischen Herkunftsangabe. Bis anhin hatte das IGE die Eintragung solcher Marken von der expliziten Einschränkung der geografischen Herkunft der beanspruchten Angebote abhängig gemacht. Ab 1. März 2022 gilt das generelle Erfordernis einer geografischen Einschränkung nur noch in wenigen, bestimmten Fällen.
Das bisher praktizierte Einschränkungserfordernis für Marken mit geografischen Herkunftsangaben stützte sich nicht direkt auf das Markenschutzgesetz ("MSchG"), sondern stellte die IGE eigene Interpretation der absoluten Ausschlussgründe dar, wonach eine Marke weder irreführend sein (Art. 2 lit. c MSchG) noch gegen geltendes Recht verstossen darf (lit. d).
Der Fokus des IGE liegt bei der Prüfung von notwendigen Einschränkungen regelmässig auf dem Irreführungsverbot: Dabei reichte bis anhin die Möglichkeit der korrekten Benutzung als solche bei Herkunftsangaben nicht aus, um als Marke zur Registrierung zugelassen zu werden (alte Richtlinien des IGE in Markensachen vom 1. Januar 2021, "RL 2021", Teil 5, Ziff. 8.6.1, S. 192). Das IGE liess Zeichen, die eine Herkunftsangabe enthalten oder aus einer solchen bestehen, nur dann zum Markenschutz zu, wenn "jegliche Irreführungsgefahr durch eine Einschränkung des Warenverzeichnisses ausgeschlossen werden" konnte (d.h. auch die bloss abstrakte Irreführungsgefahr; RL 2021, Teil 5, Ziff. 5.1, S. 164 f, Ziff. 8.6.1, S. 192, siehe zur Nichtanwendung der Zweifelsfallregelung und der strengen Prüfung der Richtigkeit von Herkunftshinweisen auch das Bundesgerichtsurteil 4A_361/2020 E. 2.3).
Um jegliche Irreführungsgefahr auszuschliessen, verlangte das IGE bisher die explizite Einschränkung der geografischen Herkunft im Markenregister sowohl für Waren als auch für Dienstleistungen. Dies hatte insbesondere Auswirkungen auf die Möglichkeiten, den rechtserhaltenden Gebrauch nachzuweisen: Nachweise für die Markenverwendung zur Kennzeichnung von Angeboten anderer geografischer Herkunft waren nicht geeignet, den rechtserhaltenden Gebrauch der Marke mit geografischer Herkunftsangabe zu belegen. Auch als Erstanmeldung für die Markenregistrierung im Ausland (z.B. bei neuen internationalen Markenkampagnen), hatte die Einschränkung der geografischen Herkunft Folgen: Sowohl für nationale Anmeldungen im Ausland gestützt auf eine Schweizer Prioritätsanmeldung als auch für internationale Registrierungen gestützt auf die Schweizer Eintragung der Basismarke, darf die WDL für die zu berücksichtigenden Nizza-Klassen nicht weitergehen, als bei der Erstanmeldung/Basismarke. Da die geografische Einschränkung den Schutzumfang der Marke reduzierte, durften die darauf basierenden ausländischen Anmeldungen nicht ohne diese Einschränkung erfolgen. Ausländische Markenämter kennen diese Praxis jedoch teilweise nicht bzw. folgen ihr nicht, weshalb die Markenanmelderin im Ausland Beanstandungen riskierte.
Ausnahmen vom Einschränkungserfordernis gewährte das IGE selten, nämlich nur sofern es beim betroffenen Angebot davon ausging, dass die Marke beim relevanten Durchschnittspublikum klar keine geografische Herkunftserwartung an das Produkt weckt. Dies war nur bei wenigen, spezifischen Waren und Dienstleistungen der Fall (siehe dazu RL 2021, Teil 5 Ziff. 8.4.7.1 ff. S. 183 ff.).
Ohne eine solche Einschränkung in der Anmeldung wurden Gesuche um Markeneintragungen (vorläufig) zurückgewiesen. Die Anmelderin konnte das Gesuch entsprechend einschränken oder riskierte die definitive Zurückweisung. Argumentationen gegen die Einschränkung hatten teilweise Erfolg. Dabei richtete sich die Argumentation häufig nicht gegen die Einschränkungspraxis an sich, sondern die Frage, ob das betroffene Zeichen überhaupt eine Erwartung an die geografische Herkunft wecke. Sofern diese Frage zu bejahen war und auch keine Verkehrsdurchsetzung des Zeichens gezeigt werden konnte, führte in den letzten Jahren kein Weg an der ausformulierten Einschränkung im Register vorbei. Trotzdem führt die abweichende Behandlung des IGE und der Gerichte teilweise zu Rechtsunsicherheiten, welche das IGE mit der Praxisänderung zu beseitigen versucht.
Bis Ende 2016 galt das Erfordernis nur für Waren, d.h. die Nizza-Klassen 1-34. Bei Anmeldungen für diese Klassen musste grundsätzlich jeweils am Ende der Liste pro Klasse eine Einschränkung wie folgt erfolgen: "alle vorgenannten Waren schweizerischer Herkunft", bzw. eine entsprechende Formulierung im Falle einer ausländischen Herkunftsangabe. Bei Dienstleistungen verlangte das IGE lediglich die Einhaltung der Anforderungen an die geografische Herkunft von Dienstleistungen (alter Art. 49 MSchg bis 31. Dezember 2016). Bei einer in der Schweiz ansässigen Anmelderin ging es davon aus, dass die Anforderungen erfüllt seien. Deshalb mussten die Hinterlegerinnen keine explizite Beschränkung in der Dienstleistungsliste aufnehmen.
Mit der sogenannten Swissness-Revision, verschärfte sich die Eintragungspraxis des IGE: Ab 1. Januar 2017 verlangte das IGE auch für Dienstleistungsklassen (d.h. die Nizza-Klassen 35-45) die explizite Einschränkung im Verzeichnis auf eine länder- oder regionenspezifische Herkunft, wiederum als eigene Interpretation der gesetzlichen Anforderungen. Für Marken mit Schweizer Herkunftsangaben hiess die Einschränkung für Dienstleistungen standardmässig "alle vorgenannten Dienstleistungen schweizerischer Herkunft".
Zwischenzeitlich – und ohne Änderung der gesetzlichen Grundlagen – hat das IGE seine Praxis zum Einschränkungserfordernis bereits weiter angepasst. Unter anderem erlaubt es seit Dezember 2020 Einschränkungen lediglich auf die Herkunft von Rohstoffen oder auf einen Produktionsschritt (gestützt auf Art. 47 Abs. 3ter MSchG), z.B. "alle vorgenannten Waren, deren Design vollumfänglich in der Schweiz stattgefunden hat" zu beziehen. Voraussetzung dafür ist, dass die Herkunftsangabe sich auf einen Produktionsschritt bezieht und zusätzlich im Register folgende Einschränkung erfolgt: "Der Zeichenbestandteil "[Herkunftsangabe]" wird hinsichtlich Farbe, Schriftgrösse und grafischer Gestaltung nicht hervorgehoben". Nicht möglich ist eine solche Eintragung in Kombination mit dem Schweizerkreuz oder anderen Elementen, die auf eine geografische Herkunft des Angebotes insgesamt hinweisen (RL 2021, Teil 5, Ziff. 8.6.5.2).
Für Dienstleistungen hat das IGE noch im März 2021 (Newsletter IGE 2021/04 Marken vom 23. April 2021) die Einschränkungspraxis (scheinbar) gelockert: Sofern die hinterlegende Privatperson ihren Wohnsitz in der Schweiz hatte oder bei einer juristischen Person sowohl der Sitz der Hinterlegerin in der Schweiz lag als auch die Mehrzahl der im Handelsregister eingetragenen Zeichnungsberechtigten den Wohnsitz in der Schweiz hatte, verzichtete das IGE auf eine explizite Einschränkung der Dienstleistungsherkunft. Das IGE bezog sich dabei auf den (2017 eingeführten) Art. 49 MSchG, der allerdings das Wohnsitzerfordernis für Zeichnungsberechtigte nicht explizit erwähnt. Damit wurde zwar punktuell die im Zuge der Swissness-Revision verschärfte Praxis wieder etwas gelockert, wirklich nachvollziehbar war die unterschiedliche Handhabung von Waren und Dienstleistungen im Register nicht.
Das IGE orientiert sich bei seiner nun angekündigten Praxisänderung nach eigenen Angaben insbesondere an der Praxis ausländischer Markenämter (Newsletter IGE Nr. 5/2021 und 2021/09-1). Als neue Regel gilt: "Im Zeitpunkt der Markeneintragung wird eine Herkunftsangabe nicht als irreführend bewertet, solange ihr korrekter Gebrauch möglich ist". Die Praxislockerung beruht auf dem Ansatz, dass eine Marke im Zeitpunkt ihrer Eintragung im Register nicht als irreführend gilt, solange ihr korrekter Gebrauch möglich ist (Abkehr von der bisher relevanten abstrakten Irreführungsgefahr, vgl. auch Erläuterungen zu den neuen Richtlinien). Konkret gibt das IGE das generelle Eintragungserfordernis einer geografischen Einschränkung der Waren- und Dienstleistungsliste bei Vorliegen einer Herkunftsangabe auf. Dies führt zu einer starken Vereinfachung der Prüfungspraxis, was wiederum den Gesuchstellern zugutekommt, da damit die Prüfung der Anmeldungen (noch) rascher zum Abschluss gelangt.
Das IGE stellt mit seiner Praxislockerung die materiellen Kriterien zum Ermitteln einer Herkunftsangabe (vgl. dazu insbesondere Art. 47 ff. MSchG) nicht in Frage. Sie verlieren aber in der Markenprüfung durch den Verzicht auf die Einschränkung an praktischer Bedeutung (vgl. Erläuterungen des zu den neuen Richtlinien). Fraglich ist, ob mit der bisherigen Einschränkungspraxis eine abschreckende Wirkung erzielt wurde, gegenüber Anbietern und Angeboten, welche die Herkunftserwartung nicht erfüllen.
Das IGE hat angepasste Richtlinien zu dieser Praxisänderung nach einer öffentlichen Vernehmlassung (Newsletter IGE Nr. 5/2021 und 2021/09-1) nun finalisiert. Damit tritt die Praxisänderung per 1. März 2022 in Kraft.
Von der neuen Praxis profitieren neue Markenanmeldungen nach dem 24. Februar 2022 und hängige Gesuche, die bis dahin wurden. Dies ist vor allem attraktiv bei der Nutzung der Marke zur Ausdehnung ins Ausland.
Bereits eingetragene Schweizer Marken mit Herkunftsangaben sind nicht betroffen, d.h. bereits eingetragene Einschränkungen verbleiben im Register.
Auch nach dem Inkrafttreten profitieren nicht alle Gesuche von der neuen Praxis. Das IGE wird in gewissen Fällen weiterhin eine explizite Einschränkung verlangen, da bei diesen Zeichen die geografische Herkunftsbezeichnung besonderen gesetzlichen Schutz erfährt. Eine strengere Eintragungspraxis lässt sich in den folgenden sechs Spezialfällen daher rechtfertigen (vgl. zu den Kategorien Newsletter IGE Nr. 5/2021 und 2021/09-1):
Ohne eine explizite Einschränkung in der WDL wird das IGE künftig die Eintragung für die genannten sechs Kategorien wegen Verstosses gegen geltendes Recht (Art. 2 lit. d i.V.m. Art. 30 Abs. 2 MSchG) zurückweisen. Eine Befreiungsmöglichkeit mit dem Argument der Verkehrsdurchsetzung ist für die genannten sechs Kategorien (bereits heute) ausgeschlossen.
Zu beachten bleibt, dass Herkunftsangaben in Alleinstellung bzw. mit weiteren nicht unterscheidungskräftigen Elementen weiterhin als Gemeingut gelten und grundsätzlich nicht eintragungsfähig bleiben (Art. 2 Abs. lit. a MSchG).
Auch ändert die Praxisänderung zur Eintragung einer Marke durch das IGE nichts daran, dass Herkunftsangaben nicht irreführend verwendet werden dürfen. Sofern ein Zeichen bei den (fiktiven) Durchschnittsabnehmern eine geografische Herkunftserwartung weckt (bzw. wecken kann), darf es nur für Angebote als Marke oder in der Werbung verwendet werden, wenn es die entsprechenden Anforderungen an diese Herkunft erfüllt. Das Schweizer Recht enthält seit 2017 detaillierte Kriterien für Herkunftsangaben auf Produkte und Dienstleistungen, Aussagen in der Werbung etc. (vgl. dazu insbesondere Art. 47 ff. MSchG). Ob der Gebrauch irreführend ist oder nicht, hängt von den Umständen im Einzelfall ab. Das IGE hat keine Kenntnis vom tatsächlichen Gebrauch, wenn es um die Frage der Eintragung geht. Daher beschränken sich Zurückweisungen eines Zeichens während angeblicher Irreführungsgefahr auf offensichtliche Fälle. Es wird Sache der Gerichte sein, den Gebrauch unzutreffender bzw. irreführender Herkunftsangaben zu sanktionieren (Art. 47 Abs. 3 lit. a und c MSchG; vgl. auch Richtlinien vom 1. März 2022, Teil 5, Ziff. 8.6.1, S. 189).
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Autorin: Delia Fehr-Bosshard