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Kategorie: Blog

30. April 2025 Die Schweizer Antwort auf Art. 248 der Russischen Arbitrazh Verfahrensordnung

Als Reaktion auf Russlands Aggression gegen die Ukraine verhängten die Europäische Union ("EU") und andere westliche Staaten, darunter auch die Schweiz, zahlreiche
Wirtschaftssanktionen gegen Russland, insbesondere in den Bereichen Finanzen, Energie, Handel und Industrie sowie in anderen Sektoren, mit den Zielen, Russlands Fähigkeit zur Fortsetzung des Krieges zu schwächen und eine einheitliche Haltung gegen Verletzungen des Völkerrechts zu signalisieren.

Russland hat verschiedene Gegenmassnahmen gegen westliche Unternehmen ergriffen. Eine dieser Massnahmen ist Artikel 248 der russischen Arbitrazh-Verfahrensordnung, welche den russischen Handelsgerichten (Arbitrazh) die ausschliessliche Zuständigkeit erteilt für Streitigkeiten betreffend sanktionierte russische Personen und für Streitigkeiten, welche von ausländischen Staaten, von Staatenbünden oder von Gewerkschaften verhängte Sanktionen betreffen.

Seit 2020 ermöglicht es das russische Recht den russischen Gerichten, Schiedsvereinbarungen und vertragliche Gerichtsstandsklauseln (unabhängig vom auf die Gerichtsstands- oder Schiedsklausel anwendbaren Recht) zu ignorieren, mit dem Argument, dass sanktionierte russische Parteien vor ausländischen (Schieds-) Gerichten kein faires Verfahren erhalten können.

Darüber hinaus können russische Handelsgerichte gemäss Artikel 248 Absatz 2 der Arbitrazh-Verfahrensordnung gegen nicht-russische Parteien sogenannte "anti-suit injunctions", d.h. Prozessverbote aussprechen, also Verfügungen, die es den betroffenen Parteien verbieten, Gerichtsverfahren ausserhalb Russlands einzuleiten oder zu betreiben, und bei Nichteinhaltung hohe Geldstrafen zu verhängen.

Infolgedessen haben viele russische Unternehmen, gegen die Sanktionen verhängt wurden, Verfahren vor russischen Gerichten eingeleitet, statt sich an vertraglich vereinbarte Gerichtsstände oder Schiedsklauseln zu halten. Dies hat namentlich EU-Unternehmen in ein rechtliches Dilemma gebracht: Entweder sie unterwerfen sich der (kaum unparteiischen) russischen Rechtsprechung und riskieren, (z.B. mit der freiwilligen Erfüllung eines Urteils) gegen die EU-Sanktionen zu verstossen, oder sie leiten rechtliche Schritte in Europa ein und müssen mit Sanktionen Russlands rechnen.

Seit 2022 hat sich die Schweiz mittels Revision der Verordnung über Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine ("UKRO") den EU-Sanktionen angeschlossen. Seither stehen Schweizer Unternehmen vor ähnlichen Problemen wie die europäischen.

Antworten der EU und der Schweiz auf Art. 248 der Arbitrazh-Verfahrensordnung

Am 16. Dezember 2024 verabschiedete die Europäische Union ihr 15. Sanktionspaket gegen Russland und verbot den europäischen Gerichten ausdrücklich, Entscheidungen auf der Grundlage von Artikel 248 der russischen Arbitrazh-Verfahrensordnung zu vollstrecken, da die Anerkennung und Vollstreckung solcher Entscheidungen das Sanktionsregime untergraben würde.

Die Schweiz hat am 12. Februar 2025 ebenfalls zusätzliche Massnahmen getroffen und die UKRO durch Einfügung eines neuen Art. 29d UKRO abgeändert, der besagt:

1 Verfügungen, Anordnungen, Beschlüsse, Urteile oder andere gerichtliche Entscheidungen gemäss oder in Verbindung mit Artikel 248 der Schiedsgerichtsordnung der Russischen
Föderation oder gleichwertigen russischen Rechtsvorschriften werden nicht anerkannt, umgesetzt oder durchgesetzt.

2 Rechtshilfeersuchen in Strafsachen im Zusammenhang mit einem mutmasslichen Verstoss gegen Verfügungen, Anordnungen, Beschlüsse, Urteile oder andere gerichtliche Entscheidungen nach Absatz 1 werden nicht vollzogen.

3 Strafen oder andere Sanktionen nach dem russischen Strafgesetzbuch im Zusammenhang mit einem mutmasslichen Verstoss gegen Verfügungen, Anordnungen, Beschlüsse, Urteile oder andere gerichtliche Entscheidungen nach Absatz 1 werden nicht anerkannt und vollstreckt.

Die neue Bestimmung zielt somit unter anderem darauf ab, Schweizer Unternehmen vor der Vollstreckung russischer Urteile zu schützen, die gemäss Art. 248 der russischen Arbitrazh-Verfahrensordnung erlassen wurden.

Verbleibende Risiken und Herausforderungen

Trotz dieser Massnahmen bestehen nach wie vor erhebliche Risiken, insbesondere in Bezug auf die mögliche Beschlagnahme von Vermögenswerten in Russland und in Drittländern, die mit Russland Abkommen über die rechtliche Zusammenarbeit geschlossen haben ("Partnerländer"): Russland hat insbesondere mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, aber auch mit anderen Staaten, die derzeit nicht auf der russischen Liste der "unfreundlichen" Staaten stehen, wie China, Indien, Iran, Irak, Ägypten, Serbien und Argentinien Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckbarkeit ausländischer Urteile geschlossen. In Russland oder in einem Partnerland befindliche Vermögenswerte, die einer Partei gehören, die in einen Rechtsstreit verwickelt ist mit einer Person, die sich auf Art. 248 der russischen Arbitrazh-Verfahrensordnung beruft, können beschlagnahmt werden, entweder im Rahmen vorsorglicher Massnahmen oder zur Vollstreckung eines rechtskräftigen Urteils. Wenn eine Partei russische Prozessverbote nicht einhält, können die daraus resultierenden Sanktionen ebenfalls vollstreckt werden, und dementsprechend können Vermögenswerte sowohl in Russland als auch in den Partnerländern beschlagnahmt werden.

Die einfachste Lösung zur Vermeidung solcher Beschlagnahmen läge darin, keinerlei Vermögenswerte in Russland oder in dessen Partnerländern zu besitzen bzw. diese zu entfernen oder zu entäussern. Angesichts der Verflechtung der globalen Märkte könnte eine solche (Selbst-) Beschränkung jedoch eine erhebliche finanzielle Belastung darstellen, die die Folgen der Vollstreckung eines russischen Urteils gar überwiegen könnte.

Darüber hinaus ergeben sich Komplikationen, wenn ein gemäss vertraglicher Schiedsvereinbarung instituiertes Schiedsgericht in Russland seinen Sitz hat. Je nach Schiedsinstitution und Zusammensetzung des Schiedsgerichts besteht das Risiko, dass Sanktionen der EU und der Schweiz nicht anerkannt werden. Infolgedessen könnte ein Schiedsspruch von EU- oder Schweizer Unternehmen verlangen, Leistungen zu erbringen, die gegen diese Sanktionen verstossen. Anders als russische Gerichtsurteile sind Schiedssprüche gemäss dem Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1958 ("New Yorker Übereinkommen") vollstreckbar. In der Tat verpflichtet das New Yorker Übereinkommen die Vertragsstaaten, ausländische Schiedssprüche anzuerkennen und zu vollstrecken. Die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs kann immerhin dann ausnahmsweise verweigert werden, wenn der Schiedsspruch dem Ordre public des vollstreckenden Mitgliedstaats widerspricht.

Schlussfolgerung

Auch wenn die Massnahmen der EU und der Schweiz dazu beitragen, die Auswirkungen russischer Gegenmassnahmen abzumildern, bestehen weiterhin Rechtsunsicherheiten, insbesondere in Bezug auf die mögliche Beschlagnahme von Vermögenswerten und die Vollstreckung von Schiedssprüchen. Diesbezüglich sollten Schweizer Unternehmen bei der Gestaltung von Verträgen oder der Strukturierung von Unternehmen entsprechende Vorkehrungen treffen.

Für laufend aktualisierte Informationen zu den Sanktionen der Schweiz gegen Russland empfehlen wir Ihnen die Internetseiten "Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine" und die "FAQ (nur auf Deutsch, Französisch und Italienisch verfügbar)" des Staatssekretariats für Wirtschaft ("SECO"), der Zentralstelle des Bundes für alle wichtigen Fragen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik in der Schweiz.

Das VISCHER Litigation and Arbitration Team unterstützt Sie gerne bei allen Fragen, die Sie in diesem Zusammenhang haben. Bitte zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren.

Autoren: Lorenz Ehrler, Louise de Gottrau

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