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Kategorien: Arbeitsrecht, Blog
Das neue Bundesgesetz über die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung führt insbesondere im Arbeitsrecht zu zahlreichen Neuerungen: Arbeitgeber werden in Zukunft bei kurzen Abwesenheiten von Arbeitnehmern zur notwendigen Betreuung von Angehörigen zur Lohnfortzahlung verpflichtet sein. Ausserdem werden Eltern von gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindern zukünftig einen Anspruch auf einen bezahlten Betreuungsurlaub von bis 14 Wochen haben. Die neuen Gesetzesbestimmungen treten gestaffelt per 1. Januar 2021 bzw. per 1. Juli 2021 in Kraft.
Arbeitnehmende mit Pflege- oder Betreuungspflichten haben bereits heute unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Befreiung von der Arbeitspflicht und u.U. auch auf Lohnfortzahlung, um während der Arbeitszeit ihren Pflichten gegenüber ihren Kindern, anderen Angehörigen und nahestehenden Personen nachzukommen. Die einschlägigen rechtlichen Bestimmungen finden sich in Art. 36 Abs. 3 Arbeitsgesetz (ArG), Art. 324a Obligationenrecht (OR) und Art. 329 Abs. 3 OR:
Gemäss Art. 36 Abs. 3 ArG haben Arbeitnehmende gegen Vorlage eines Arztzeugnisses einen Anspruch auf Befreiung von der Arbeitspflicht für die zur Betreuung kranker Kinder erforderliche Zeit im Umfang von bis zu drei Tagen pro Ereignis. Die Betreuung von anderen Angehörigen oder nahestehenden Personen wird nicht erwähnt. Auch ist die Lohnfortzahlung nicht im ArG geregelt.
Der Anspruch auf Lohnfortzahlung und u.U. auf eine längere Arbeitsbefreiung zur Betreuung und Pflege von Angehörigen ist in Art. 324a OR geregelt. Eine (unverschuldete) Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmenden besteht nicht nur bei einer Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer eigenen Krankheit oder eines eigenen Unfalls des Arbeitnehmenden. Eine solche Verhinderung kann auch bei der Erfüllung gesetzlicher Pflichten, z.B. bei der Betreuung und Pflege eigener Kinder, des/der Ehegatten/Ehegattin, der/des eingetragenen Partners/Partnerin durch den Arbeitnehmenden bestehen. Keine gesetzliche Betreuungspflicht liegt aber gegenüber Lebenspartnern/-partnerinnen oder Geschwistern vor. Ob die Betreuung und Pflege von solchen Personen, zu denen «nur» eine moralische Verpflichtung des Arbeitnehmenden zur Fürsorge besteht, ebenfalls einen Anspruch auf Arbeitsbefreiung und Lohnfortzahlung nach Art. 324a OR begründet, ist rechtlich nicht abschliessend geklärt.
Der Lohnfortzahlungsanspruch nach Art. 324a OR besteht jedenfalls nur solange keine Ersatzlösung für die Betreuung gefunden werden kann oder im Fall von Kindern, wenn die Betreuung durch die Eltern aus medizinischen Gründen als notwendig erachtet wird. Der Lohnfortzahlungsanspruch ist ausserdem zeitlich begrenzt und abhängig von den geleisteten Dienstjahren, wobei die einschlägigen Absenzen des Arbeitnehmenden, z.B. eigene Krankheit, Erkrankung eines Kindes etc., im betreffenden Dienstjahr zusammengezählt werden.
Für die übrigen Fälle, insbesondere zur Betreuung kranker Familienmitglieder, gegenüber denen keine gesetzliche Betreuungspflicht gilt (z.B. gegenüber Geschwistern) oder anderen nahestehenden Personen, z.B. Lebenspartnern/-partnerinnen, kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmenden gestützt auf Art. 329 Abs. 3 OR ausserordentliche Freizeit ("übliche freie Stunden und Tage") gewähren. Dies ist allerdings nur für Fälle von kurzfristiger Arbeitsbefreiung gedacht, wenn den Arbeitnehmenden das Ausweichen auf Zeiten ausserhalb der Arbeitszeiten bzw. die ordentliche Freizeit nicht möglich oder zumutbar ist. Art. 329 Abs. 3 OR sieht keine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers vor. Eine solche muss entweder vertraglich verabredet oder üblich sein (Art. 322 Abs. 2 OR). Für Arbeitnehmende im Monatslohn ist es üblich, dass für solche Abwesenheiten der Lohn bezahlt wird.
Der Bundesrat stellte im August 2018 eine zunehmende Bedeutung der betreuenden erwerbstätigen Angehörigen für ihre kranken Familienmitglieder fest. Gründe hierfür sind ein zunehmender Bedarf an Betreuung und Pflege, der nicht allein durch das Gesundheitswesen gedeckt werden kann, neue Formen des familiären Zusammenlebens sowie die stetig steigende Erwerbsquote bei Frauen. Diese Gründe führten zur Vorlage des neuen Bundesgesetzes, dessen Ziele die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung sowie die Schaffung von Rechtssicherheit sind.
Bezahlter Urlaub zur Betreuung von Angehörigen Arbeitnehmende haben nach den neuen Gesetzesbestimmungen (im OR und ArG) nicht nur einen Anspruch auf Arbeitsbefreiung und Lohnfortzahlung bei kurzen Arbeitsabwesenheiten für die notwendige Betreuung von Kindern, sondern neu auch für die Betreuung von Familienmitgliedern oder des Lebenspartners/der Lebenspartnerin. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein? Als Familienmitglieder gelten Verwandte in auf- und absteigender Linie, d.h. hauptsächlich die Eltern und Kinder, sowie Geschwister. Dazu kommen die Ehegatten, Schwiegereltern sowie Lebenspartner, die mit dem Arbeitnehmenden seit mindestens fünf Jahren einen gemeinsamen Haushalt führen.
Weiter muss eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Angehörigen vorliegen. Dieser Begriff ist weit gefasst und liegt nicht nur bei einer Krankheit oder einem Unfall, sondern auch beispielsweise bei einer Behinderung vor.
Sodann muss die Betreuung durch den Arbeitnehmenden notwendig sein. Die Notwendigkeit hängt u.a. von der Verfügbarkeit anderer Personen ab, die in zumutbarer Weise intervenieren könnten. Auch der Betreuungsbedarf ist ein Kriterium. Bei kleineren Kindern dürfte die Betreuung beispielweise eher notwendig sein.
Im neuen Gesetzestext wird die Vorlage eines Arztzeugnisses zwar nicht mehr ausdrücklich erwähnt. Dennoch bleiben Arbeitnehmende für die anspruchsbegründenden Tatsachen, insbesondere die gesundheitliche Beeinträchtigung der Angehörigen, beweispflichtig. In der Regel dürfte dieser Beweis deshalb weiterhin hauptsächlich durch Vorlage eines Arztzeugnisses erbracht werden. Wie lange dauert der Betreuungsurlaub? Der Urlaub ist auf die erforderliche Dauer begrenzt, beträgt aber höchstens drei Tage pro Ereignis. Der Urlaubsanspruch gilt also einmalig pro einzelne, spezifische Beeinträchtigung auch wenn diese länger andauert oder wiederholt auftritt.
Zudem gilt eine jährliche Obergrenze von insgesamt höchstens zehn Tagen pro Dienstjahr. Das heisst, ein Arbeitnehmender kann in einem Dienstjahr mehrere Angehörige betreuen, solange die Voraussetzungen erfüllt und die Abwesenheiten insgesamt nicht mehr als zehn Tage betragen.
Zu beachten ist, dass die Obergrenze von zehn Tagen nicht für die Betreuung von gesundheitlich beeinträchtigten Kindern gilt.
Inkrafttreten Die neuen Bestimmungen zum dreitägigen Betreuungsurlaub treten am 1. Januar 2021 in Kraft.
Betreuungsurlaub und Betreuungsentschädigung Berufstätige Eltern befinden sich in einer sehr schwierigen Situation, wenn ein Kind durch Krankheit oder Unfall in seiner Gesundheit stark oder längerfristig beeinträchtigt ist. Mit dem Betreuungsurlaub und Anspruch auf eine Betreuungsentschädigung sollen diese Arbeitnehmenden entlastet und besser geschützt werden.
In Zukunft wird erwerbstätigen Eltern neu ein 14-wöchiger Urlaub für die Betreuung eines wegen Krankheit oder Unfall gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindes gewährt. Der Erwerbsausfall wird über die Erwerbsersatzordnung (EO) entschädigt (die "Betreuungsentschädigung").
Wer hat Anspruch auf Betreuungsurlaub? Der Anspruch auf Betreuungsurlaub nach OR besteht nur dann, wenn dieser auch über die EO entschädigt wird, d.h. wenn der Arbeitnehmende einen Anspruch auf Betreuungsentschädigung nach EO hat.
Anspruchsberechtigt sind Eltern eines minderjährigen Kindes, das schwer gesundheitlich beeinträchtigt ist. Es wird an das Kindsverhältnis nach Art. 252 ZGB angeknüpft.
Die schwere gesundheitliche Einschränkung ist gesetzlich definiert und liegt vor, wenn (i) eine einschneidende Veränderung des körperlichen oder psychischen Zustands des Kindes eingetreten ist; (ii) der Verlauf oder der Ausgang dieser Veränderung schwer vorhersehbar ist oder mit einer bleibenden oder zunehmenden Beeinträchtigung oder dem Tod zu rechnen ist; und (iii) ein erhöhter Bedarf an Betreuung durch die Eltern besteht.
Es wird weiter vorausgesetzt, dass mindestens ein Elternteil entweder als Arbeitnehmer oder als Selbständigerwerbender erwerbstätig ist und die Erwerbstätigkeit unterbrechen muss. Die Notwendigkeit der Begleitung, Betreuung und Pflege ist durch ein Arztzeugnis zu bestätigen.
Davon abzugrenzen sind mittelschwere gesundheitliche Beeinträchtigungen, die zwar Spitalaufenthalte oder regelmässige Arztbesuche erforderlich machen und den Alltag erschweren, bei denen aber mit einem positiven Ausgang zu rechnen oder die gesundheitliche Beeinträchtigung kontrollierbar ist (Knochenbrüche, Diabetes, Lungenentzündung).
Anders als beim Erwerbsersatz während des Mutter- und Vaterschaftsurlaubs wird für die Betreuungsentschädigung keine Vorversicherungs- und Mindesterwerbsdauer vorausgesetzt.
Dauer des Betreuungsurlaubs und der Betreuungsentschädigung Der Anspruch auf Betreuungsentschädigung und -urlaub entsteht pro Krankheits- oder Unfallereignis. Der Betreuungsurlaub beträgt maximal 14 Wochen und kann innerhalb einer Rahmenfrist von 18 Monaten bezogen werden. Die Rahmenfrist beginnt mit dem Tag, für den das erste Taggeld des Arbeitnehmenden bezogen wird. Der Betreuungsurlaub kann tageweise oder am Stück bezogen werden.
Sind beide Eltern erwerbstätig, so hat jeder Elternteil Anspruch auf einen Betreuungsurlaub von höchstens sieben Wochen. Sie können aber auch eine abweichende Aufteilung des Urlaubs vereinbaren. Der Arbeitgeber muss die Änderung der Aufteilung nicht genehmigen, ist aber über die Modalitäten des Urlaubsbezugs zu informieren.
Wie hoch ist die finanzielle Entschädigung? Die Betreuungsentschädigung erfolgt in Form von Taggeldern der EO. Der 14-wöchige Betreuungsurlaub entspricht 98 Kalendertagen, weshalb anspruchsberechtigte Personen einen Anspruch auf Ausrichtung von maximal 98 Taggeldern haben. Das Taggeld entspricht 80% des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, das vor dem Beginn des Betreuungsurlaubs erzielt worden ist und ist auf CHF 196 pro Tag begrenzt.
Zeitlicher Kündigungsschutz und Ferienanspruch Nach Ablauf der Probezeit gilt während des Betreuungsurlaubs ein zeitlicher Kündigungsschutz. Die entsprechende Sperrfrist dauert so lange wie der Anspruch auf Betreuungsurlaub besteht, maximal aber sechs Monate ab dem Tag, für welchen der erste Taggeldanspruch entsteht. Eine Kündigung während der Sperrfrist ist nichtig.
Ausserdem darf der Ferienanspruch eines Arbeitnehmenden durch die Inanspruchnahme eines Betreuungsurlaubs nicht gekürzt werden.
Inkrafttreten Die neuen Bestimmungen zum 14-wöchigen Betreuungsurlaub zur Betreuung von gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindern treten erst am 1. Juli 2021 in Kraft. Damit sollen die Ausgleichskassen genug Zeit haben, um die neue Leistung einzuführen.
Autorin: Anela Lucic
Advokatin
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