
Über den Aktionärbindungsvertrag können einzelne Aktionärsgruppen oder alle Aktionäre einer Gesellschaft ihre jeweiligen Interessen koordinieren. Ziel eines Aktionärbindungsvertrag ist es, das Abstimmungsverhalten über den gesamten Lebenszyklus eines Unternehmens in geregelten Bahnen zu führen, den Kreis der Aktionäre zu kontrollieren und Streitigkeiten zwischen den Aktionären zu minimieren.
In Start-ups kann ein Aktionärbindungsvertrag bereits ab Gründung sinnvoll sein, insbesondere falls mehrere Gründer unterschiedliche Mittel in das Start-up einbringen (z.B. nicht alle zeichnen Aktien gegen Geld). Spätestens bei seinem Eintritt in das Unternehmen wird ein professioneller Investor auf einen Aktionärbindungsvertrag bestehen, um sich besondere Vorzugsrechte als Gegenzug für ein grosses finanzielles Engagement gewähren zu lassen.
Hauptinhalte eines Aktionärbindungsvertrags
Der Umfang eines Aktionärbindungsvertrags kann zwischen den Aktionären individuell ausgestaltet werden. Standardmässig beinhaltet ein Aktionärbindungsvertrag eines Start-up die folgenden Regelungen:
Zusammensetzung des Verwaltungsrats
- Sollen bestimmte Personen oder Aktionärsgruppen regelmässig im Verwaltungsrat vertreten sein, ein Nominationsrecht in den Verwaltungsrat haben oder als Beobachter den Sitzungen des Verwaltungsrats beiwohnen dürfen?
Wichtige Beschlüsse auf Aktionärsebene und Verwaltungsratsebene
- Müssen neben den gesetzlich vorgesehenen qualifizierten Mehrheiten weitere Generalversammlungsbeschlüsse mit einem qualifizierten Mehr, z.B. mit einem bestimmten Quorum an Vorzugsaktien, gefasst werden?
- Müssen im Verwaltungsrat gewisse Beschlüsse mit einem qualifizierten Mehr, z.B. mit Zustimmung bestimmter Verwaltungsräte, gefasst werden?
Vorzugsrechte
- Erhalten Investoren bevorzugte Behandlung bei der Verteilung von Dividenden und/oder Verkaufserlösen?
Transferrestriktionen
- Unter welchen Voraussetzungen dürfen Aktionäre ihre Aktien an Dritte verkaufen?
- Haben Aktionäre Vorkaufsrechte, falls ein Aktionär seine Aktien an einen Dritten verkaufen möchte ("Right of First Refusal")?
- Dürfen Aktionäre ihre Aktien mitverkaufen, wenn ein Aktionär seine Aktien an einen Dritten verkaufen möchte ("Tag Along)?
- Dürfen Aktionäre gezwungen werden, ihre Aktien mitverkaufen zu müssen, wenn ein Aktionär an Dritte verkaufen möchte ("Drag Along")?
- Dürfen Aktionäre andere Aktionäre zu einem Kauf ("Put Option) oder Verkauf ("Call Option") von Aktien zwingen?
Einschränkungen für Gründer
- Konkurrenzverbote;
- Abwerbeverbote;
- "Good Leaver" / "Bad Leaver" Regeln (Regeln wonach Gründer zum Aktienverkauf oder Rückgabe von Optionen gezwungen werden, wenn sie innerhalb einer gewissen Zeit oder aufgrund bestimmter Umstände das Start-up verlassen);
- Haltefristen (Lock-up); or
- Übertragung von Immaterialgüterrechten der Gründer an das Start-up.
Verhältnis des Aktionärbindungsvertrags zu statutarischer Regelung
Gewisse Regeln eines Aktionärbindungsvertrags, meist in Bezug auf Vorzugsrechte von Investoren betreffend Dividenden und/oder Verkaufserlösen, können auch in die Statuten aufgenommen werden. Regelungen in einem Aktionärbindungsvertrag gelten lediglich auf der vertraglichen Ebene zwischen den Aktionären. Ist eine Regelung auch in den Statuten enthalten, erhält diese Regelung zusätzlich eine gesellschaftsrechtliche Komponente und das Start-up ist verpflichtet, allfälligen Vorzugsrechten zur Umsetzung zu verhelfen. Es können aber nicht alle vertraglich vereinbarten Rechte und Pflichten vollständig in die Statuten übernommen werden. Vorzugsrechte in den Statuten müssen immer auch "eintragungsfähig" sein, da ansonsten das Handelsregister die Eintragung verweigert. Auf der vertraglichen Ebene sind Aktionäre aufgrund der Vertragsfreiheit relativ frei, wie sie ihr Verhältnis regeln möchten.
Eine Problematik im Rahmen eines Aktionärbindungsvertrags über den gesamten Lebenszyklus eines Start-up liegt darin, dass frühe Aktionäre mit jeder weiteren Finanzierungsrunde in der Rangordnung immer weiter nach hinten rutschen, da neue Investoren jeweils vorrangige Vorzugsrechte wünschen. Für Gründer bedeutet dies über Zeit neben einem Kontrollverlust über Verwaltungsrat und Generalversammlung auch eine starke Verwässerung ihres Anteils am Liquidationserlös. Für Gründer wird es deswegen ab einem gewissen Punkt wichtig, neben Optionspaketen auch ihren Lohn angemessen zu verhandeln, um den Kontrollverlust und die Verwässerung anderweitig zu kompensieren.
Autorin: Pauline Pfirter
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