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Kategorie: Blog

4. Mai 2020 COVID-19-Verordnung Justiz und Verfahrensrecht

Die Verordnung

Seit dem 20. April 2020 sind sowohl die Gerichts- als auch die Betreibungsferien zu Ende. Um die Funktionsfähigkeit der Justiz und des Betreibungswesens in der noch immer bestehenden ausserordentlichen Lage zu gewährleisten bzw. zu verbessern, hat der Bundesrat am 16. April 2020 eine neue Notverordnung verabschiedet, die Massnahmen in der Justiz und im Verfahrensrecht vorsieht.

Die Verordnung trat am 20. April 2020 in Kraft und gilt bis zum 30. September 2020, sofern sie nicht früher infolge Wegfalls der Notwendigkeit aufgehoben wird.

Präventionsmassnahmen bei Verhandlungen und Einvernahmen in Zivil-, Straf- und Verwaltungsverfahren

Als Grundsatz gilt für sämtliche Gerichte und andere Behörden in allen Zivil-, Straf- und Verwaltungsverfahren, dass laufende Verfahren nach Massgabe des anwendbaren Verfahrensrechts weitergeführt und daher insbesondere auch Verhandlungen und Einvernahmen durchgeführt werden sollen. Die Verordnung sieht vor, dass bei allen Verfahrenshandlungen die Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit betreffend Hygiene und soziale Distanz einzuhalten sind.

Die Regelung richtet sich ausser an Gerichte und Behörden auch an die Parteien und ihre Rechtsvertreter. Die BAG-Empfehlungen sind insbesondere bei der Auswahl der Räumlichkeiten, der Organisation der Verhandlungen und der Anzahl der anwesenden Personen zu berücksichtigen. Der Schutz von besonders gefährdeten Personen ist sicherzustellen.

Massnahmen in Zivilverfahren

a) Einsatz von Videokonferenzen

Ist die Durchführung einer Verhandlung unter Einhaltung der BAG-Empfehlungen im Einzelfall nicht möglich, so können Videokonferenzen eingesetzt werden. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Videokonferenz sind die folgenden:

  • Verhandlungen (auch Schlichtungsverhandlungen): Eine Verhandlung kann mittels Videokonferenz durchgeführt werden, wenn die Parteien damit einverstanden sind oder wichtige Gründe (z.B. Dringlichkeit) vorliegen. Das Gericht hat bei seinem Entscheid die technischen Möglichkeiten der Parteien zu berücksichtigen und ihnen das rechtliche Gehör zu gewähren.
  • Zeugeneinvernahmen und Erstattung von Gutachten: Für den Einsatz einer Videokonferenz wird hier kein Einverständnis der Parteien oder der einzuvernehmenden Person vorausgesetzt. Es ist jedoch eine Aufzeichnung von Ton und gegebenenfalls Bild notwendig, welche anschliessend zu den Akten zu legen ist.

Beim Einsatz von Video- und Telefonkonferenzen ist zudem sicherzustellen, dass:

  • die Übertragung von Ton und gegebenenfalls Bild zwischen sämtlichen beteiligten Personen zeitgleich erfolgt und
  • der Datenschutz und die Datensicherheit gewährleistet sind (insbesondere muss die Übertragung "end-to-end" verschlüsselt erfolgen).

In Abweichung vom Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens kann bei Videokonferenzen die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, mit Ausnahme der akkreditierten Medienschaffenden.

Auch in eherechtlichen Verfahren können persönliche Anhörungen mittels Video- oder Telefonkonferenz durchgeführt werden, wenn die Parteien einverstanden sind und keine wichtigen Gründe dagegen sprechen. Bei Dringlichkeit kann auch hier ausnahmsweise vom Einverständnis der Parteien abgesehen werden.

Für Verfahren des Kindes- und Erwachsenenschutzes statuiert die Verordnung ebenfalls besondere Massnahmen.

b) Verzicht auf Verhandlung

Das Gericht kann auf die Durchführung einer Verhandlung verzichten und das Verfahren ausnahmsweise schriftlich durchführen, wenn:

  • im Einzelfall weder eine normale mündliche Verhandlung noch eine Verhandlung mittels Video- oder Telefonkonferenz möglich und zumutbar ist,
  • die Angelegenheit dringlich ist
  • und keine wichtigen Gründe dagegen sprechen. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn an einem Verfahren Laien ohne Rechtsvertretung beteiligt sind oder die gerichtliche Fragepflicht eine mündliche Verhandlung erforderlich macht.

Vor dem Entscheid über den Verzicht auf die Durchführung der Verhandlung hat das Gericht den Parteien grundsätzlich Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Massnahmen in Betreibungsverfahren

a) Zustellung ohne Empfangsbestätigung

Vom 19. März 2020 bis zum 4. April 2020 galt in Betreibungsverfahren ein Rechtsstillstand, an welchen sich die Betreibungsferien bis zum 19. April 2020 angeschlossen haben. Damit ist ab dem 20. April 2020 mit einer grossen Anzahl von Zustellungen zu rechnen, sodass es zu Verzögerungen kommen kann. Um die Zustellung zu erleichtern, sieht die Verordnung vor, dass Betreibungsurkunden (z.B. Zahlungsbefehle) sowie Mitteilungen, Verfügungen und Entscheide der Betreibungs- und Konkursämter ohne Empfangsbestätigung zugestellt werden dürfen, sofern ein Zustellnachweis erfolgt (was insbesondere auf die Sendungsart "A-Post Plus" zutrifft). Diese Erleichterung gilt jedoch nicht für gerichtliche Entscheide in Betreibungs- und Konkurssachen.

Voraussetzungen für die erleichterte Zustellung sind, dass:

  • ein erster ordentlicher Zustellversuch mit Empfangsbestätigung gescheitert ist oder im Einzelfall erstellt ist, dass ein ordentlicher Zustellversuch von vornherein unmöglich oder aussichtslos ist und
  • der Empfänger spätestens am Vortag der erleichterten Zustellung durch telefonische Mitteilung über die Zustellung informiert wurde oder damit gerechnet werden darf, dass er eine (schriftliche oder elektronische) Mitteilung über die Zustellung am Vortag erhalten hat.

b) Wiederherstellung von versäumten Fristen

Gemäss geltendem Recht kann um Wiederherstellung einer betreibungsrechtlichen Verwirkungs- bzw. Eingabefrist ersucht werden, wenn man durch ein unverschuldetes Hindernis davon abgehalten worden ist, innert Frist zu handeln. Vom Wegfall des Hindernisses an ist in der gleichen Frist wie der versäumten ein begründetes Gesuch einzureichen und die versäumte Rechtshandlung bei der zuständigen Behörde nachzuholen.

Soweit es um die Wiederherstellung von Fristen geht, die durch Zustellungen ohne Empfangsbestätigung ausgelöst wurden, ist neu das Betreibungs- und Konkursamt zuständig und nicht mehr die Aufsichtsbehörde oder die in der Sache zuständige richterliche Behörde.

c) Versteigerung über Online-Plattformen

Mit der neuen Verordnung ist für Verwertungen von beweglichen Vermögensstücken neben der öffentlichen Versteigerung und dem Freihandverkauf auch eine Versteigerung über eine öffentlich zugängliche Online-Plattform (wie z.B. ricardo.ch oder ebay.ch) vorgesehen. Grundsätzlich entscheidet der Betreibungsbeamte, ob und über welche Online-Plattform die Versteigerung durchgeführt wird. Der Betreibungsbeamte regelt die Modalitäten der Versteigerung und hat dabei die Interessen der Parteien bestmöglich zu berücksichtigen (das bedeutet, dass in der Regel ein möglichst hoher Verwertungserlös resultieren sollte). Die Beteiligten werden vorgängig über die Online-Versteigerung (schriftlich oder per E-Mail) informiert.

Für weitere Fragen zur COVID-19-Verordnung Justiz und Verfahrensrecht steht Ihnen unser Prozessführungsteam gerne zur Verfügung.

Autorin: Julia Crifasi-Käser

Autorin