
Die Folgen der Corona-Pandemie sind für jeden Verwaltungsrat eine Herausforderung (dazu unser Blogbeitrag "Was muss ich als Verwaltungsrat in Zeiten des Coronavirus wissen?"). Für den Verwaltungsrat einer Schweizer Konzern-Tochtergesellschaft kann die Corona-Krise zu einer Fahrt zwischen Skylla und Charybdis werden, wenn sich die Interessen der Gesellschaft nicht mit jenen des Konzerns decken.
Hier finden Sie Antworten auf die sechs wichtigsten Fragen zur Verantwortung von Verwaltungsräten von Schweizer Konzern-Tochtergesellschaften:
Was ist das Konzern-Dilemma und welche Interessen hat der Verwaltungsrat einer Schweizer Konzern-Tochtergesellschaft zu vertreten?
Viele Gesellschaften in der Schweiz sind Teil einer Gruppe oder eines Konzerns. Als Tochtergesellschaften sind sie in ein grösseres Ganzes eingegliedert. Manchmal sind solche Gesellschaften stark von anderen (oft ausländischen) Gruppengesellschaften abhängig und könnten ohne Support des Konzerns kaum funktionieren.
Anders als viele ausländische Rechtsordnungen hat die Schweiz kein eigentliches Konzernrecht. Im Schweizer Recht gilt jede Gesellschaft als unabhängige Einheit. Entsprechend hat der Verwaltungsrat jeder Schweizer Konzerngesellschaft im jeweils besten Interesse dieser Konzerngesellschaft zu handeln, grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Interessen des Konzerns oder anderer Konzerngesellschaften. Das kann auch vertraglich grundsätzlich nicht geändert werden. Darum steckt ein Verwaltungsrat einer Schweizer Tochtergesellschaft latent immer in einem Dilemma. Das Dilemma ist besonders gross, wenn ein solcher Verwaltungsrat gleichzeitig eine leitende Funktion bei der Muttergesellschaft oder in einer anderen Gruppengesellschaft hat oder wenn ein zentral geführter Konzern starke Vorgaben macht.
Ausserhalb der (Corona-)Krise ist das Konzern-Dilemma für den Schweizer Verwaltungsrat meist unproblematisch, weil die Interessen des Konzerns und der Schweizer Gruppengesellschaft ähnlich gelagert sind und der Konzern die Gruppengesellschaften bei Bedarf finanziert.
Wie soll der Verwaltungsrat in der COVID-19-Krise mit dem Konzern-Dilemma umgehen?
Der Verwaltungsrat einer Schweizer Gesellschaft muss stets im besten Interesse der Gesellschaft handeln, deren Organ er ist. Das gilt auch in Konzernverhältnissen und ist von besonderer Bedeutung, wenn der Tochtergesellschaft eine Illiquidität oder Überschuldung droht. Immerhin darf der Verwaltungsrat der Tochtergesellschaft gemäss einem neuen Swissair-Entscheid des Bundesgerichts unter Umständen auch Konzerninteressen berücksichtigen, wenn dies für die Tochtergesellschaft insgesamt vorteilhaft ist.
Bei der Interessenabwägung macht der Verwaltungsrat eine Gratwanderung. Es empfiehlt sich für den Verwaltungsrat darum, sich in einer solchen Situation sorgfältig beraten zu lassen.
Heikel ist bei angespannter finanzieller Lage insbesondere die Gewährung von Darlehen an Mutter- oder Schwestergesellschaften im Konzern und die Teilnahme an einem Cash Pool (siehe unten).
Unter welchen Voraussetzungen darf eine Tochtergesellschaft anderen Konzerngesellschaften Darlehen gewähren und was gilt in der Corona-Krise?
Darlehen an Mutter- oder Schwestergesellschaften im Konzern (sogenannte Up- oder Crossstream-Darlehen) sind ohne weiteres zulässig, wenn sie zu Drittbedingungen (at arm's length) gewährt werden. Hält ein solches Darlehen dem Drittmannstest nicht stand, darf sein Umfang das freie Eigenkapital der Gesellschaft jedenfalls nicht übersteigen.
Ein Up- oder Crossstream-Darlehen hält dem Drittmannstest stand, wenn auch ein Dritter, wie zum Beispiel eine Bank, das Darlehen zu diesen Bedingungen gewähren würde. Neben der Besicherung des Darlehens und der Bonität der Darlehensnehmerin sind weitere Kriterien die Höhe der Darlehenssumme, die Laufzeit des Darlehens sowie dessen Kündbarkeit.
Aufgrund eines Hinweises in einem früheren Entscheid des Bundesgerichts aus dem Swissair-Umfeld schien es fraglich, ob im Konzernverhältnis unbesicherte Darlehen überhaupt zu Drittbedingungen gewährt werden können. Gemäss einem neuen Swissair-Entscheid können unter Umständen bei guter Bonität der Darlehensnehmerin auch unbesicherte Up- oder Crossstream-Darlehen dem Drittmannstest standhalten.
Insbesondere in der (Corona-)Krise ist die Lage genau zu beobachten. Verschlechtert sich die Bonität von Darlehensnehmern im Konzern, sollten neue Darlehen nur noch gewährt werden, wenn sie durch freies Eigenkapital gedeckt oder besichert sind. Bei bestehenden unbesicherten Darlehen sind allfällige Massnahmen wie Anpassung oder Kündigung gemäss den Bedingungen des Darlehensvertrags zu prüfen.
Dürfen COVID-19 Kredite für Zahlungen an Konzerngesellschaften verwendet werden?
Bei Liquiditätsschwierigkeiten aufgrund der Corona-Krise können Unternehmen unkompliziert COVID-19 Kredite beziehen (dazu unser Blogbeitrag "Hilfe naht!" – Die COVID-19-Überbrückungshilfe des Bundes). Die COVID-19 Kredite dienen dazu, Liquiditätsengpässe im operativen Geschäft in der Schweiz zu überbrücken.
Hat ein Unternehmen einen COVID-19 Kredit bezogen, sind jegliche Up- oder Crossstream-Zahlungen im Konzern heikel. Die Gewährung von Konzerndarlehen ist mit wenigen Ausnahmen unzulässig; gänzlich ausgeschlossen sind Darlehen an Gruppengesellschaften im Ausland. Entsprechend ist auch die Teilnahme an einem Cash Pool während der Laufzeit eines COVID-19 Kredits kaum mehr möglich. Leistungen einer Schweizer Tochtergesellschaft an andere Konzerngesellschaften, insbesondere im Ausland, sind also auf jeden Fall sorgfältig zu prüfen.
Was gilt bei Cash Pools in der COVID-19-Krise?
In einem typischen Cash Pool wird sämtlicher Cash im Konzern täglich an eine Gruppengesellschaft, den Cashpoolführer, überwiesen. Jede Gruppengesellschaft hat ein Konto beim Cashpoolführer (auf dem entweder ein Guthaben oder eine Schuld ist), das wie ein Kontokorrent täglich saldiert wird. Hat eine Tochtergesellschaft ein Guthaben beim Cashpoolführer im Konzern, ist das nichts anderes als ein Darlehen, das regelmässig (meist täglich) neu ausgerichtet wird. Es gelten darum für Cash Pools die gleichen Sorgfaltspflichten und Überlegungen wie für andere Darlehen. Wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind, ist die Teilnahme am Cash Pool ohne weiteres zulässig.
Weil das Darlehen beim Cash Pool ständig fluktuiert, muss auch (falls keine Sicherheit besteht) die Bonität des Cashpoolführers insbesondere während einer Krise wie der COVID-19-Krise laufend überwacht werden. Scheint die Rückzahlung gefährdet, sind Massnahmen zu ergreifen, wie insbesondere die Kündigung des Cash Pools. Immerhin ist gemäss Bundesgericht in einem solchen Fall eine Gesamtbetrachtung zulässig. Aufgrund der besonderen Umständen des Einzelfalls kann es gerechtfertigt sein, auf eine Kündigung zu verzichten. Das war bei der Swissair der Fall, weil sie als Tochtergesellschaft von zahlreichen Leistungen von anderen Gruppengesellschaften abhängig war, die bei einem Austritt aus dem Cash Pool ebenfalls weggefallen wären.
Kann sich der Verwaltungsrat in der Corona-Krise auf die Unterstützung der Muttergesellschaft verlassen?
Rechtlich ist eine Muttergesellschaft in einem Konzern ein normaler Aktionär ihrer Tochtergesellschaften. Abgesehen von der Pflicht, die ursprüngliche Kapitaleinlage zu leisten, hat der Aktionär einer Schweizer Gesellschaft keine Pflichten gegenüber der Gesellschaft, insbesondere hat er keinerlei Nachschusspflichten gegenüber der Gesellschaft. Im Schweizer Recht gibt es dazu keine besonderen Konzernregeln. Somit hat auch eine Konzernmuttergesellschaft keine Pflicht, ihre Tochtergesellschaften zu finanzieren.
In der Praxis besteht oft eine implizite "Konzerngarantie" zugunsten der Tochtergesellschaften. Rechtlich ist eine solche Zusage aber nicht durchsetzbar. Wenn sich der Verwaltungsrat einer Tochtergesellschaft auf den Konzern verlassen möchte, muss er rechtlich bindende Zusagen verlangen, z.B. eine Rangrücktrittsvereinbarung oder Finanzierungsverpflichtung. Überdies sollte die garantierende Konzerngesellschaft über genügend Bonität verfügen. Nur wenn die Tochtergesellschaft einen durchsetzbaren Anspruch hat, kann der Verwaltungsrat z.B. bei einer Überschuldung eine Konkursanmeldung vermeiden. Immerhin sind trotz Überschuldung keine Massnahmen erforderlich, wenn die Überschuldung durch die Corona-Krise bedingt ist und voraussichtlich Ende 2020 nicht mehr besteht (dazu unser Blogbeitrag "Hilfe naht – Die COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht").
Empfehlung
Die Abwägung der normalerweise konvergierenden, aber in der Corona-Krise oft zunehmend divergierenden Interessen innerhalb eines Konzerns, ist eine Gratwanderung für den Verwaltungsrat. Es empfiehlt sich für den Verwaltungsrat deswegen, sich in einer solchen Situation sorgfältig beraten zu lassen.
Bei weiteren Fragen ebenso wie für eine vertiefte Beratung stehen Ihnen Ihre normalen Ansprechpartner bei VISCHER und das Team Gesellschafts- und Handelsrecht sowie das Insolvenzrechtsteam von VISCHER gerne zur Verfügung.
Autoren: Benedict F. Christ, Flavio Langenegger