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Kategorien: Arbeitsrecht, Blog
Eine allgemeines Impfobligatorium gegen COVID-19 wird es in der Schweiz nicht geben. Die selbständige Impfanordnung durch Arbeitgeberinnen ist nur in besonderen Fällen zulässig.
Zweifellos stellt eine Impfung die effektivste Massnahme dar, um eine Ansteckung mit COVID-19 nachhaltig zu verhindern. Aufgrund der zunehmenden Verfügbarkeit von Impfstoffen wird es in absehbarer Zeit auch in der Schweiz möglich sein, grossflächig zu impfen.
Gleichzeitig besteht aber in einem grossen Teil der Bevölkerung eine gewisse Impfskepsis. Erst kürzlich machten Mitarbeitende in Altersheimen und Gesundheitsbetrieben Schlagzeilen, die sich reihenweise gegen die angebotene Impfung sträubten.
Für Arbeitgeberinnen stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen es möglich ist, eine Impfung ihrer Mitarbeitenden verbindlich anzuordnen. Denn die Arbeitgeberin muss im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht alle zumutbaren, angemessenen Massnahmen ergreifen, um ihre Mitarbeitenden vor einer Ansteckung am Arbeitsplatz zu schützen. Auch Kunden, Patienten und sonstige involvierte Personen müssen geschützt werden. Schliesslich ist ebenfalls das wirtschaftliche Interesse an der Sicherstellung und Förderung der Geschäftstätigkeit zu berücksichtigen.
Die Arbeitgeberin kann ihren Mitarbeitenden über die Ausführung der Arbeit und das Verhalten im Betrieb Weisungen erteilen (Art. 321d OR). Dieses Weisungsrecht stellt eine mögliche Grundlage für die verbindliche Anordnung einer Impfung von Mitarbeitenden dar.
Das Weisungsrecht der Arbeitgeberin gilt jedoch nicht absolut, sondern muss in den Schranken zwingender rechtlicher und vertraglicher Vorschriften ausgeübt werden. Insbesondere muss die Verhältnismässigkeit der Anordnungen gegeben sein, zu deren Beurteilung alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und die involvierten Interessen gegen einander abgewogen werden.
Eine Impfung beeinträchtigt primär die körperliche Integrität und damit die Persönlichkeitsrechte einer Person, indem mit einer Nadel die Haut durchstochen und der Impfstoff injiziert wird.
Die resultierende Gesundheitsbeeinträchtigung beschränkt sich gemäss Bundesamt für Gesundheit in den allermeisten Fällen auf relativ milde Nebenwirkungen. So beklagte eine knappe Mehrheit der Probanden Müdigkeit und Kopfschmerzen. Eine klare Minderheit berichtete über Schüttelfrost, schmerzende Muskeln oder Fieber. In ganz seltenen Fällen kann es zu ernsthaften allergischen Reaktionen kommen. Trotz der relativ geringen Risiken wiegt der Eingriff in die körperliche Integrität schwer.
Fälle mit freiwilliger Zustimmung von Mitarbeitenden zur COVID-19-Impfung, sei es im Arbeitsvertrag oder auf Nachfrage, stellen nach der hier vertretenen Ansicht keine übermässige Selbstbindung dar und sind deshalb zulässig. Möchten sich Mitarbeitende jedoch nicht impfen lassen, ist die Verhältnismässigkeit der Anordnung durch die Arbeitgeberin für ihre Verbindlichkeit entscheidend.
Eine unfreiwillige Impfanordnung durch die Arbeitgeberin ist nach den Umständen des Einzelfalls auf ihre Verhältnismässigkeit zu prüfen.
Zunächst muss die Impfung im Einzelfall erforderlich sein, um Ansteckungen im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit zu verhindern und das primäre Ziel des Gesundheitsschutzes der involvierten Personen zu erreichen. Falls effektive und zumutbare mildere Massnahmen zur Verfügung stehen, um dieses Ziel zu erreichen, ist die Verhältnismässigkeit nicht gegeben. So z.B. wenn Home-Office problemlos möglich ist oder die Arbeit in Einzelbüros verrichtet wird. Ein zwei Meter Abstand im Grossraumbüro oder das Tragen von Gesichtsmasken dürfte keine genügende mildere Massnahme darstellen, da damit eine Ansteckung nicht zuverlässig verhindert werden kann. Auch mildere Massnahmen müssen natürlich ihrerseits zumutbar sein, weshalb sehr aufwändige Lösungen wie Ganzkörperschutzanzüge mit Atemschutzgeräten etc. in der Regel wohl ausser Betracht fallen.
In einem nächsten Schritt sind die betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin gegen die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeitenden abzuwägen. Da es sich um einen schweren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeitenden handelt, kann ein solcher nur durch ihrerseits schwerwiegende private oder öffentliche Interessen gerechtfertigt werden. Solche werden im Normalfall nicht gegeben sein, weshalb eine Impfanordnung unverhältnismässig und damit nicht zulässig wäre.
Nur besondere Situationen vermögen eine Impfanordnung durch die Arbeitgeberin zu rechtfertigen. Zu denken ist zunächst an Betriebe, in die für COVID-19 besonders anfällige Personen involviert sind (z.B. Altersheim, Spital, Arztpraxis, Behindertenheim). Dort dürfte nach der hier vertretenen Ansicht eine Impfanordnung regelmässig zulässig sein. Dies insbesondere, wo es sich um systemrelevante Betriebe handelt, an deren Funktionsfähigkeit ein gewichtiges öffentliches Interesse besteht. Als Gegenargument könnte allerdings zumindest bei Betrieben mit einigermassen gleichbleibender Klientel (z.B. Altersheim) vorgebracht werden, dass mit zunehmender Verfügbarkeit von Impfstoffen als mildere Massnahme eine Impfung der anfälligen Personen selbst möglich wäre. Relevant ist immer auch das konkrete Infektionsrisiko. So dürfte in Funktionen mit viel Kontakt zu (potentiell) infizierten Personen eine Impfpflicht (auch zum unfreiwilligen Selbstschutz) eher zulässig sein. Der blosse Kontakt mit vielen Personen (z.B. an der Migros-Kasse) allein genügt dafür aber nicht.
Momentan wird diskutiert, ob in der Schweiz gestützt auf das Epidemiengesetz eine Impfplicht für gewisse exponierte Berufsgruppen (z.B. für Gesundheits- und Pflegeberufe) eingeführt werden soll. Auch ein solches öffentlich-rechtliches Impfobligatorium könnte zwar angefochten und auf seine Verhältnismässigkeit überprüft werden. Arbeitgeberinnen könnten sich aber für Ihre eigenen Massnahmen und Sanktionen auf diese Rechtsgrundlage berufen.
Denkbar sind auch Konstellationen, in denen in Zukunft zur Ausübung der Arbeit eine allfällige ausländische Impfpflicht wahrgenommen werden müsste. So dürfte eine Impfanordnung z.B. für Kabinenpersonal von Fluglinien zulässig sein, falls ein angeflogenes Land eine COVID-19 Impfung für die Einreise voraussetzt.
Klar ist, dass die Mitarbeitenden auch bei rechtmässiger Anordnung der COVID-19-Impfung nicht physisch dazu gezwungen werden können. Es stellt sich aber die Frage, ob und wie eine Verweigerung sanktioniert werden kann.
Mitarbeitende müssen verhältnismässige Weisungen ihrer Arbeitgeber einhalten. Im Widerhandlungsfall könnten verhältnismässige Disziplinarmassnahmen von einer Verwarnung bis hin zur Kündigung ausgesprochen werden. Auch ein Ausschluss von der Arbeit unter Einstellung der Lohnzahlung wäre unter Umständen denkbar.
Hier gilt es allerdings zu bedenken, dass in den meisten Fällen die Zulässigkeit einer Impfanordnung durch die Arbeitgeberin mit einem erheblichen Prozessrisiko behaftet sein dürfte. Bei Unzulässigkeit der Impfanordnung drohen Ansprüche der Mitarbeitenden (z.B. auf Lohn, Schadenersatz oder Genugtuung). Eine aufgrund der Nichtbefolgung einer unzulässigen Impfanordnung ausgesprochene Kündigung wäre als missbräuchlich zu qualifizieren.
Eine unfreiwillige Impfanordnung durch die Arbeitgeberin muss nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Abgesehen von Sonderfällen mit besonderen Interessen daran, dürfte eine solche Anordnung in der Regel unverhältnismässig sein und müsste entsprechend von den Mitarbeitenden nicht befolgt werden. Allfällige Sanktionen werden dann schnell zum Bumerang.
Bei Fragen zum Thema steht Ihnen unser Arbeitsrechtsteam jederzeit gerne zur Verfügung.
Autoren: Marc Ph. Prinz, Gian Geel
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