
Der weltweite Einbruch der Wirtschaft aufgrund der COVID-19 Pandemie bedroht viele Unternehmen in ihrer Existenz. Das vom Bundesrat beschlossene Massnahmenpaket zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen sowie die Einführung von Kurzarbeit zur Überbrückung vorübergehender Beschäftigungslücken verschaffen den Unternehmen
eine Verschnaufpause. Mittel- oder längerfristig können jedoch erhebliche Umstrukturierungen nicht ausgeschlossen werden. Arbeitgeber werden dabei auch Massenentlassungen oder Betriebsschliessungen in Betracht ziehen müssen.
Begriff der Massenentlassung
Als Massenentlassung gilt eine gewisse – je nach Grösse der Belegschaft – Anzahl von Kündigungen, die vom Arbeitgeber in einem Betrieb innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen aus wirtschaftlichen Gründen ausgesprochen werden. Individuelle Entlassungen von Arbeitnehmern aus persönlichen Gründen (wie z.B. mangelhafte Leistung, unangemessenes Verhalten) werden nicht berücksichtigt.
Nach den gesetzlichen Schwellenwerten liegt eine Massenentlassung vor, wenn die Kündigungen betreffen:
- Mindestens 10 Arbeitnehmer in Betrieben, die gewöhnlich 21 bis zu 99 Arbeitnehmer beschäftigen;
- Mindestens 10% der Arbeitnehmer in Betrieben, die gewöhnlich 100 bis zu 299 Arbeitnehmer beschäftigen; sowie
- Mindestens 30 Arbeitnehmer in Betrieben, die gewöhnlich 300 oder mehr Arbeitnehmer beschäftigen.
Informations- und Konsultationspflichten des Arbeitgebers
Information
Wenn der Arbeitgeber eine Massenentlassung beabsichtigt, hat er hierüber die Belegschaft (oder, falls vorhanden, die betriebliche Arbeitnehmervertretung) schriftlich zu informieren und ihnen alle zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen. Die Informationspflicht umfasst dabei zwingend die folgenden Angaben:
- Gründe der Massenentlassung (oder Betriebsschliessung);
- Zahl der voraussichtlich betroffenen Arbeitnehmer;
- Zahl der gewöhnlich im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer; sowie
- Zeitraum, in welchem die Kündigungen ausgesprochen werden sollen.
Eine Kopie des Informationsschreibens muss dem zuständigen kantonalen Arbeitsamt zugestellt werden.
Konsultation
Im Anschluss an die Information hat der Arbeitgeber die Belegschaft zu konsultieren. Das Konsultationsverfahren bezweckt einen Austausch der Parteien über die beabsichtigte Massenentlassung und die Folgen für die Arbeitnehmer. Den Arbeitnehmern soll zumindest die Gelegenheit gegeben werden, Vorschläge zu unterbreiten, wie:
- Kündigungen vermieden;
- Die Zahl der Kündigungen reduziert; oder
- Die Folgen der Kündigungen gemildert werden können.
Den Arbeitgeber trifft keine Pflicht, die Vorschläge der Arbeitnehmer zu befolgen. Er hat sich jedoch mit deren Vorbringen ernsthaft auseinanderzusetzen und zumindest in groben Zügen zu begründen, weshalb Vorschläge der Arbeitnehmer nicht berücksichtigt werden.
Pflicht zur Verhandlung eines Sozialplanes?
Die Aufstellung eines Sozialplanes ist grundsätzlich bei einer Massenentlassung nicht zwingend. Eine Pflicht des Arbeitgebers zur Verhandlung eines Sozialplanes besteht nur, wenn in einem Betrieb mit üblicherweise mindestens 250 Arbeitnehmern innerhalb von 30 Tagen die Kündigung von mindestens 30 Arbeitnehmern aus wirtschaftlichen Gründen beabsichtigt wird.
Definitiver Entscheid und Aussprechen der Kündigungen
Die Dauer des Konsultationsverfahrens ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, jedoch muss den Arbeitnehmern genügend Zeit gegeben werden, die Informationen des Arbeitgebers zu verarbeiten und ihm konstruktive Vorschläge zu unterbreiten. In durchschnittlich komplexen Fällen wird eine Konsultationsfrist von ca. 14 Tagen als angemessen betrachtet.
Nach Abschluss der Konsultation hat der Arbeitgeber das kantonale Arbeitsamt über deren Ergebnisse und seinen definitiven Entscheid betreffend die Entlassungen schriftlich zu informieren. Den Arbeitnehmern (bzw. der betrieblichen Arbeitnehmervertretung) ist eine Kopie des Ergebnisschreibens zuzustellen.
Erst nach der schriftlichen Anzeige an das Arbeitsamt dürfen die individuellen Kündigungen ausgesprochen werden. Das Arbeitsverhältnis endet diesfalls mit dem Ablauf der vertraglichen Kündigungsfrist, jedoch in keinem Fall vor Ablauf einer Frist von 30 Tagen nach erfolgter Anzeige an das Arbeitsamt.
Risiken und Empfehlungen
Wenn der Arbeitgeber seine gesetzliche Konsultationspflicht verletzt, können die im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochenen Kündigungen von den betroffenen Arbeitnehmern als missbräuchlich angefochten werden. In diesem Fall kann der Arbeitgeber vom Richter zur Zahlung einer Strafe in Höhe von bis zu 2 Monatslöhnen verpflichtet werden.
Zudem werden die Kündigungsfristen gehemmt bis zu 30 Tage nach erfolgter schriftlicher Information des Arbeitsamtes über die Ergebnisse der Arbeitnehmerkonsultation (d.h. eine allenfalls nicht korrekt erfolgte Konsultation muss nachgeholt werden).
Besondere Vorsicht ist geboten, wenn aufgrund der COVID-19 Pandemie vor der Durchführung einer Massenentlassung Kurzarbeit eingeführt wurde. Bei Kündigungen dürfen nicht nur diejenigen Arbeitnehmer ausgewählt werden, welche von ihrem Recht zur Ablehnung von Kurzarbeit Gebrauch gemacht haben. Eine solche Selektion von Betroffenen wäre missbräuchlich. Zudem können Schadenersatzansprüche von Arbeitnehmern, welche der Einführung von Kurzarbeit zugestimmt hatten, nicht ausgeschlossen werden. Diese Arbeitnehmer könnten geltend machen, sie hätten die mit der Kurzarbeit verbundene Lohneinbusse (20% des auf die verkürzte Arbeitszeit entfallenden Lohnes) mit der berechtigten Erwartung in Kauf genommen, dass dadurch Arbeitsplätze gesichert würden. Im Falle einer Kündigung könnten diese Arbeitnehmer versuchen, die Lohneinbusse gegenüber dem Arbeitgeber geltend zu machen.
Das Arbeitsrechtsteam von VISCHER steht Ihnen für allfällige Fragen im Zusammenhang mit möglichen Massenentlassungen und Betriebsschliessungen jederzeit gerne zur Verfügung.
Autoren: Marc Ph. Prinz, Florian Schaub