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Kategorien: Steuern, Blog
In der Praxis stellt sich manchmal die Frage, ob eine interkantonale Doppelbesteuerung akzeptiert werden muss oder wie dagegen vorgegangen werden kann. Das nachfolgende Urteil des Bundesgerichts stammt bereits aus dem letzten Jahr. Dennoch lohnt es sich, dieses genauer zu betrachten, da das Bundesgericht darin seine bisherige Praxis bei interkantonalen Doppelbesteuerungen zu Gunsten der Steuerpflichtigen geändert hat. Steuerpflichtige, welche von einer drohenden Doppelbesteuerung betroffen sind, können sich nun in vielen Fällen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen.
Bisher verwirkte ein Steuerpflichtiger selbst bei einer eingetretenen effektiven interkantonalen Doppelbesteuerung das Beschwerderecht bzw. das Recht zur Anfechtung der (rechtskräftigen) kantonalen Veranlagung des erstveranlagenden Kantons, wenn er seine Steuerpflicht im erstveranlagenden Kanton in Kenntnis des konkurrierenden Steueranspruchs des zweitveranlagenden Kantons vorbehaltslos anerkannt hat. Dies betraf zum Beispiel Unternehmen, welche ihren zivilrechtlichen Sitz und somit formell auch ihr Hauptsteuerdomizil von einem Kanton in einen anderen Kanton verlegt haben und danach die Veranlagung durch den Zuzugskanton in Rechtskraft erwachsen liessen, obwohl der Wegzugskanton gegenüber dem Unternehmen die Verlegung des Mittelpunkts der tatsächlichen Verwaltung und damit des Sitzes bereits vor der Veranlagung durch den Zuzugskanton in Frage gestellt hatte. Befand sich danach, nach vertieften Abklärungen durch den Wegzugskanton, der Sitz der tatsächlichen Verwaltung effektiv noch im Wegzugskanton, konnte dies zu einer effektiven Doppelbesteuerung des Unternehmens – einmal im Wegzugskanton und einmal im Zuzugskanton führen. Da das Unternehmen jedoch die Veranlagung durch den Zuzugskanton in Rechtskraft erwachsen liess bzw. diesen nicht über den konkurrierenden Anspruch des Wegzugskantons informierte, verwirkte es sein Beschwerderecht gegen diese effektive interkantonale Doppelbesteuerung (vgl. BGE 137 I 273, E.3.3.3). Das Bundesgericht hat in seinem Urteil vom 17. August 2023 (9C_710/2022) nun die bisherige Praxis zur Verwirkung deutlich eingeschränkt.
Das Urteil beruht auf folgendem Sachverhalt: Das Ehepaar A. wohnte seit 2010 mit beiden Töchtern in einem Eigenheim im Kanton St. Gallen. Der Ehemann war seit dem Jahr 2011 im Kanton Schwyz als selbständiger Arzt tätig. Bis zur Steuerperiode 2017 erfolgte die Veranlagung durch den Kanton St. Gallen. Im April 2018 meldete sich das Ehepaar im Kanton St. Gallen ab und gab als zivilrechtlichen Wohnsitz die Praxisadresse des Ehemanns im Kanton Schwyz an. Im Juli 2020 veranlagte die Steuerverwaltung des Kantons Schwyz das Ehepaar für das Steuerjahr 2018 am gemeldeten Wohnsitz des Ehepaares im Kanton Schwyz. Bereits im Januar 2020, also vor der definitiven Veranlagung durch die Steuerverwaltung des Kantons Schwyz, informierte die Steuerverwaltung des Kantons St. Gallen das Ehepaar A. darüber, dass betreffend das Jahr 2018 der steuerrechtliche Wohnsitz des Ehepaars abgeklärt werde. Gleichzeitig ersuchte die Steuerverwaltung um zusätzliche Auskünfte und Unterlagen. Am 24. August 2020 fand schliesslich eine Besprechung zwischen dem Ehepaar, dessen Vertreterin und dem zuständigen Steuerkommissär statt. Im September 2020 erliess die Steuerverwaltung des Kantons St. Gallen die definitive Veranlagungsverfügung und besteuerte das Ehepaar als im Kanton St. Gallen ansässig. Der Wohnsitzwechsel in den Kanton Schwyz konnte nicht nachgewiesen werden – es wurde lediglich die Adresse, aber nicht der Wohnort geändert. Es resultierte also eine effektive interkantonale Doppelbesteuerung: Das Ehepaar wurde einmal im Kanton St. Gallen und einmal im Kanton Schwyz als unbeschränkt steuerpflichtig besteuert. In der Folge legte das Ehepaar erfolglos verschiedene Rechtsmittel gegen die St. Galler Veranlagungsverfügung ein. Gleichzeitig stellte das Ehepaar A. im Kanton Schwyz ein Gesuch um Revision der Steuerveranlagung 2018. Die Steuerverwaltung im Kanton Schwyz trat nicht auf das Gesuch ein.
Gemäss bisheriger Rechtsprechung verwirkt ein Steuerpflichtige das Beschwerderecht bzw. das Recht zur Anfechtung der (rechtskräftigen) kantonalen Veranlagung, wenn er seine Steuerpflicht in einem Kanton in Kenntnis eines konkurrierenden Steueranspruchs eines anderen Kantons vorbehaltslos anerkennt. Eine vorbehaltlose Anerkennung liegt insbesondere vor, wenn der Steuerpflichtige sich ausdrücklich oder stillschweigend der Veranlagung unterwirft (vorbehaltlose Abgabe einer Steuererklärung), die geforderten Steuerbeträge vorbehaltslos bezahlt und auf Einsprachen bzw. weitere Rechtsmittel verzichtet.
Das Bundesgericht hatte in einem Leiturteil aus dem Jahr 2020 klargestellt, dass eine Verwirkung des Beschwerderechts gemäss dem Doppelbesteuerungsverbot als verfassungsmässiges Recht nur mit Zurückhaltung angenommen werden sollte, nämlich dann, wenn sich das Verhalten der Steuerpflichtigen als geradezu rechtsmissbräuchlich bzw. treuwidrig darstellt (BGE 147 I 325 E.4.2.1).
Das Bundesgericht kommt neu zum Schluss, dass die Verwirkung des Beschwerderechts nicht mehr als verhältnismässige Maßnahme angesehen werden kann, um treuwidrigem Verhalten einer steuerpflichtigen Person im interkantonalen Verhältnis zu begegnen. Die bisherige Praxis zur Verwirkung wird damit aufgegeben bwz. eingeschränkt (E.2.5).
Die Beseitigung der verfassungswidrigen interkantonalen Doppelbesteuerung wird nun nur noch dann verweigert, wenn sich das Verhalten einer doppelt besteuerten Person als qualifiziert missbräuchlich erweist und der betroffene Kanton zugleich ausnahmsweise ein legitimes Interesse daran hat, bezogene Steuern einzubehalten, obschon er nach interkantonalem Doppelbesteuerungsrecht oder sogar bereits nach harmonisiertem Steuerrecht keinen Steueranspruch hat (E.4.4.2). Treuwidriges Verhalten der steuerpflichtigen Person führt nur, aber immerhin, zur Auferlegung der entstehenden Kosten (E.5.3).
Leider enthält das Urteil keine konkreten Hinweise darauf, wann ein legitimes Interesse des zweitveranlagenden Kantons gegeben ist, welcher eine interkantonale Doppelbesteuerung rechtfertigen würde. Inwieweit ein Kanton überhaupt ein legitimes Interesse geltend machen kann, wird sich in Zukunft somit zeigen müssen.
Um einer möglichen interkantonalen Doppelbesteuerung vorzubeugen, sollten Steuerpflichtige den steuerrechtlichen Wohnsitz bzw. den Sitz der Gesellschaft regelmässig mit der tatsächlichen Situation abgleichen. Insbesondere Gesellschaften mit wenig Mitarbeitenden und einem geringen Bedarf an Bürofläche, wie z.B. Holding-, Lizenz- und Patentverwertungsgesellschaften, sollten darauf achten, dass der steuerrechtliche Sitz mit jenem Ort übereinstimmt, an dem die operativen Entscheidungen getroffen werden und die Geschäftsleitung konzentriert ist (illustrativ dazu 9C_675/2021, wo bei einer Patent- bzw. Lizenzverwertungsgesellschaft mit wenig operativer Tätigkeit der Ort der Geschäftsleitung herangezogen wurde). Werden Briefkastenfirmen benutzt, Steuerbehörden belügt oder Dokumente gefälscht, tritt zwar eventuell keine Doppelbesteuerung ein, aber es droht ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung (vgl. Steuerhinterziehung bei Sitzgesellschaften? - VISCHER).
Ist eine effektive Doppelbesteuerung jedoch bereits eingetreten, haben nun Steuerpflichtige aufgrund der Praxisänderung des Bundesgerichts deutlich verbesserte Chancen, eine drohende oder bereits eingetretene interkantonale Doppelbesteuerung zu vermeiden oder zu beseitigen. Die Voraussetzung hierfür ist, dass sie rechtzeitig die notwendigen Rechtsmittel ergreifen.
Das Steuerteam von VISCHER hilft Ihnen bei der Abklärung des Orts des Hauptsteuerdomizils sowie bei der Ergreifung der notwendigen Rechtsmittel gegen eine ungerechtfertigte Doppelbesteuerung.
Autoren: Adrian Briner, Henri Sturzenegger
dipl. Wirtschaftsprüfer, dipl. Steuerexperte
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