
In den meisten Fällen ist eine Befreiung der Sozialversicherungspflicht für ausländische Arbeitnehmende während der vorübergehenden Dauer einer Entsendung möglich. Es wird empfohlen, die rechtlichen Grundlagen der Sozialversicherungskoordination zwischen der Schweiz und des betroffenen Entsendungsstaates detailliert zu prüfen, um die Einhaltung der Vorschriften sicherzustellen und Beitragslücken der Arbeitnehmenden während deren Tätigkeit im Ausland zu vermeiden.
Was bedeutet Entsendung?
Entsendung bedeutet, dass ein ausländischer Arbeitnehmer von seinem ausländischen Arbeitgeber für eine bestimmte Dauer, d.h. vorübergehend, in ein anderes Land zur Verrichtung seiner Arbeit entsandt wird. Dies ist z.B. der Fall, wenn der Arbeitnehmer in einer Niederlassung oder einem Betrieb in der Schweiz arbeitet, der zur Unternehmensgruppe des Arbeitgebers gehört (vgl. Art. 1 Bst. b Entsendegesetz).
Bei Entsendungen ist es oft möglich, dass der entsandte Arbeitnehmer während der Dauer der Entsendung weiterhin im Heimatland versichert bleibt. Die Voraussetzung dafür ist, dass zwischen dem Heimatland und dem Gastland ein entsprechendes Sozialversicherungsabkommen existiert. Ist dies der Fall, bleibt für den Arbeitnehmer während der Dauer der Entsendung weiterhin die Sozialversicherungsgesetzgebung des Ursprungslandes anwendbar, und zwar in allen Zweigen der sozialen Sicherheit. In der Schweiz umfassen die Sozialversicherungen:
- die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Dreisäulensystem);
- der Schutz vor Folgen einer Krankheit und eines Unfalls;
- der Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft;
- die Arbeitslosenversicherung;
- die Familienzulagen.
Rechtliche Grundlagen der internationalen Sozialversicherungskoordination für EU/EFTA-Bürger
Für EU/EFTA-Bürger regelt auf Basis des Freizügigkeitsabkommens ("FZA") zwischen der Schweiz und der EU die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 die Koordination der Sozialversicherungssysteme. Die Koordination umfasst auch die EFTA-Mitgliedstaaten, sodass im Verhältnis zwischen der Schweiz und den EFTA-Mitgliedsstaaten dieselben Koordinierungsregeln anwendbar sind.
Nach Art. 11 Abs. 1 i.V.m. 11 Abs. 3 Bst. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt der Grundsatz, dass die Rechtsvorschriften des Arbeitgeberstaates zur Anwendung gelangen (sog. "Erwerbsortprinzip" oder "Unterstellungsgrundsatz"). Dies bedeutet, dass Arbeitnehmende in der Regel dem Sozialversicherungssystem des Arbeitslandes unterstellt sind. Für entsandte Arbeitnehmer sieht die vorgenannte Verordnung allerdings eine Sonderregelung vor, die es Entsandten bei vorübergehender Entsendung erlaubt, weiterhin im Heimatland versichert zu bleiben (Art. 11 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004).
Konkret ist die ununterbrochene Unterstellung unter das Sozialversicherungssystem des Heimatlandes bei einer Entsendung durch den Arbeitgeber mittels Formular A1 ("Entsendebescheinigung") bei der Sozialversicherungsbehörde im Heimatland zu beantragen.
Während der Entsendungsdauer bleiben alle Rechte und Pflichten des Ursprungslandes massgebend. Die entsandte Person und ihr Arbeitgeber sind also von der Beitragspflicht in der AHV, der IV, der Erwerbsersatzordnung, der Arbeitslosen- und Unfallversicherung, der beruflichen Vorsorge sowie der Familienzulagenordnung befreit. Der in die Schweiz entsandte Arbeitnehmer sowie seine nichterwerbstätigen Familienangehörigen sind auch von der schweizerischen Krankenversicherungspflicht befreit (wobei es zu beachten gilt, dass Ehepartner und Kinder über 20 Jahre, die eine entsandte Person in die Schweiz begleiten und hier Wohnsitz nehmen, grundsätzlich AHV/IV beitragspflichtig sind).
Rechtliche Grundlagen der internationalen Sozialversicherungskoordination für Nicht-EU/EFTA-Bürger
Für Entsendungen in die Schweiz aus Staaten ausserhalb dem EU/EFTA-Raum ist zunächst zu prüfen, ob die Schweiz mit dem betreffenden Land ein entsprechendes Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat.
a) Vertragsstaaten
Ausserhalb der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten hat die Schweiz mit 20 Staaten bilaterale Regelungen über die soziale Sicherheit getroffen (Australien, Bosnien-Herzegowina, Brasilien, China, Chile, Indien, Israel, Japan, Kanada, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien, Philippinen, Republik San Marino, Serbien, Südkorea, Türkei, Uruguay, USA und Vereinigtes Königreich (inkl. Kanalinseln und Isle of Man). Dabei gilt wie bei EU/EFTA-Entsendungen der Unterstellungsgrundsatz, d.h. die Versicherungspflicht richtet sich in der Regel nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaates, in welchem die Erwerbstätigkeit ausgeübt wird (Erwerbsortprinzip).
Die entsandte Person ist gegenüber den Sozialversicherungen des Aufenthaltslandes dann zu keinem Beitrag verpflichtet, wenn die betreffende Sozialversicherung unter das jeweilige Abkommen fällt. In den meisten Staatsverträgen sind jedoch insbesondere die Kranken- und Arbeitslosenversicherung nicht geregelt. Der ausländische Staat muss den entsandten Arbeitnehmer für die betreffende Sozialversicherung deshalb nicht von der Versicherungspflicht und der Beitragszahlung befreien.
b) Nichtvertragsstaaten
Bei Entsendung in die Schweiz aus einem Nichtvertragsstaat, d.h. einem Staat, mit dem die Schweiz kein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat und die Entsendung länger als drei aufeinanderfolgende Monate beträgt, wird ein ausländischer Arbeitnehmer grundsätzlich den schweizerischen Sozialversicherungen unterstellt und entrichtet die Beiträge in vollem Umfang selber, da der Arbeitgeber in der Schweiz nicht beitragspflichtig ist. Ist der Arbeitnehmer aber auch nach ausländischem Recht obligatorisch versichert und würde die Unterstellung unter das Schweizer Sozialversicherungssystem eine nicht zumutbare Doppelbelastung bedeuten, so können sie von der Versicherungspflicht der AHV, IV und EO befreit werden. Die Befreiung erfolgt auf Gesuch hin von der Ausgleichskasse.
Dieser Beitrag vermittelt eine allgemeine Übersicht. Für die Beurteilung von Einzelfällen sind ausschliesslich die gesetzlichen Bestimmungen und Staatsverträge massgeblich. Bei Fragen oder Anregungen steht Ihnen das VISCHER Immigration-Team gerne zur Verfügung.
Autoren: Angelina Rau, Urs Haegi