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10. März 2025 Athletenorganisationen im Einzelsport Teil 1: Weshalb es sie heutzutage braucht

Athletengewerkschaften oder ähnliche Organisationen sind in Mannschaftssportarten wie im Fussball oder im Eishockey keine Seltenheit. In Einzelsportarten stellt dies jedoch eine Neuheit mit einigen Besonderheiten dar. Denn im Einzelsport sind Athletinnen und Athleten normalerweise auch als Einzelunternehmen organisiert und verfügen daher über keine Arbeitgeber. Dieser erste Teil des Beitrags zeigt auf, wann und weshalb Athletenorganisationen in Einzelsportarten sowohl für Athleten als auch für übergeordnete Sportverbände aus wirtschaftlicher und rechtlicher Sicht Sinn machen.

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Die veränderte Rolle von Athleten als zentrale Akteure

Sportarten stehen heute im Wettkampf mit allen anderen Unterhaltungsveranstaltungen und -inhalten. Sportarten sind dabei nur kompetitiv, wenn sie Zuschauer in Stadien, an Streckenränder oder an die Bildschirme ziehen. Das erzeugt höhere Einnahmen in der Vermarktung von Übertragungs- und Werberechten. Höhere Einnahmen bedeuten mehr Ressourcen für alle Anspruchsgruppen und zur Weiterentwicklung des Sports.

Bei Sportinhalten, die für Zuschauer attraktiv sind, geht es längst nicht mehr nur um das Spiel oder den Wettkampf. Es geht um die Personen, die dahinterstecken. Zuschauer wollen sehen, was Cristiano Ronaldo zum Frühstück isst, mit welchen neuen Anwendungen Rory Mcllroy in seinem persönlichen Fitnessraum an technischen Details seines Golfschwungs arbeitet, wie das Morgenritual von Jannik Sinner aussieht, wie Mikaela Shiffrin ihre Verletzung unter dem Druck heilt, in wenigen Wochen an der anstehenden Ski-WM teilzunehmen. Oder mit anderen Worten: Zuschauer wollen All-Access-Pässe für Umkleidekabinen, Trainingsräume und die Esstische in privaten Wohnzimmern von bekannten Athleten. Mit der Covid-19-Pandemie und dem zunehmenden Social Media Konsum sind Athleten auch neben der eigentlichen Sportveranstaltung verstärkt in das Rampenlicht gerückt und sorgen letztlich für Sportinhalte, die bei Zuschauer auch das Interesse zum Konsum der eigentlichen Sportveranstaltung weckt.

Kurzum: Die Bedeutung von Athleten als zentrale Akteure im Sport hat zugenommen. Damit hat sich die Rolle und Stellung von Athleten in der Sportwelt verändert. Eine strukturierte Organisation von Athleten liegt aufgrund dieser neuen Stellung im Interesse sämtlicher Anspruchsgruppen; aus den unten erwähnten Gründen ganz besonders auch im Interesse jener Sportorganisationen, die gleichzeitig die Regeln ihres Sports schaffen und Inhaber der kommerziellen Rechte dieses Sports (z.B. der Medienrechte) sind.

Weshalb Athletenorganisationen für verschiedene Akteure Sinn machen

Sobald Meinungsverschiedenheiten prominenter Akteure im Sport über die Medien erfolgt und dort ausgeschlachtet werden, hat der konstruktive Einbezug der wichtigsten beteiligten Akteure einer Sportart versagt. Zudem schadet es dem Sport selbst, wenn bekannte Athleten sich gezwungen fühlen, sich medial Gehör zu verschaffen, um auf allfällige Missstände aufmerksam zu machen. Konsternierten Funktionären der Verbandsführung stösst dies ebenfalls oft sauer auf und es folgen Gegenreaktionen. Die Fronten verhärten sich. Das ist kein seltenes Bild. So ähnlich lief unlängst eine Meinungsverschiedenheit im Schneesport ab, in dem die Skifahrer öffentliche Protestbriefe an den amtierenden FIS-Präsidenten richteten, wobei es um einen allfälligen Einstieg eines luxemburgischen Private-Equity-Unternehmens beim internationalen Skiverband (FIS) ging.

Mit der zunehmenden Bedeutung von Athleten als mitunter tragende Akteure von Sportveranstaltungen verstärkt sich bei diesen zugleich das Bedürfnis, bei bestimmten Entscheidungen von Sportorganisationen mitzuwirken. Dabei geht es vor allem um Entscheidungen, die einen direkten Einfluss auf die Karriere von Athleten und deren persönliches Unternehmen haben. Mit Sportorganisationen sind in diesem Beitrag jene Organisationen gemeint, die die Regeln ihres Sports festlegen und erlassen, mit der Sicherheit und Fairness ihrer Sportart befasst sind, und als Kontrollinstanzen über die Einhaltung ihrer Regeln wachen. Diese Aufgaben obliegen üblicherweise den internationalen Sportverbänden.

Athletenorganisationen ermöglichen es den Athleten, auf strukturierte Art und Weise

  • die wirtschaftlichen und sozialen Interessen zu bündeln und möglichst einheitliche Auffassungen zu bilden, was den Diskurs mit den Sportorganisationen als Regelgeber deutlich effizienter und für die Athleten mit nochmals gestärkter Verhandlungsposition auch wirksamer macht,
  • neue Initiativen zu ergreifen und durchzusetzen, um den Sport auch aus der Sicht der Hauptakteure weiterzuentwickeln,
  • eine Plattform zu schaffen, die den Austausch zu Themen wie Sicherheit/Gesundheit, Wettkampfkalender, Nachhaltigkeit, Vorbereitung von Athleten für die Nachkarriere, finanzielle Unterstützungsleistungen oder betreffend den Status von verletzten, kranken, schwangeren oder sonst die Sportkarriere unterbrechende Athleten fördern soll.

Den Sportorganisationen hingegen ermöglichen Athletenorganisationen

  • klarere Stellungnahmen und Haltungen der Athleten bereits bei der Vorbereitung von Entscheidungen und Vereinsbeschlüssen zu sondieren und die eigenen Argumente zu schärfen,
  • Missverständnissen seitens der Athleten vorzubeugen, in dem durch Dialoge eine Aufklärung durch jene Personen erfolgt, die mit einem bestimmten Geschäft befasst sind (soweit dies möglich ist),
  • technische und sportliche Weiterentwicklungen unter Einbezug jener Akteure voranzutreiben, die den Sport aus erster Hand und auf höchstem Niveau kennen;
  • ihre Entscheidungen und Vereinsbeschlüsse durch eine unabhängige Organisation zu legitimieren, denn laute Kritik – auf welche sich die Medien bekanntermassen stürzen, sobald solche Kritik von Spitzensportathleten kommt – ist schädlich für den eigenen Sport, das damit verbundene Geschäft und gefährlich für Funktionäre in Führungspositionen in einer Sportorganisation, da der Druck ungleich mit anderen Unternehmen in weniger medienträchtigen Branchen sehr schnell sehr gross wird,
  • Athleten zu haben, die sich gehört fühlen und damit insoweit mehrheitlich zufrieden sind, dass sie durch ihre Leistungen, ihre Persönlichkeiten und die von ihnen produzierten oder zur Verfügung gestellten Inhalte an vorderster Front den Sport in die Welt hinaustragen; was letztlich auch klar im wirtschaftlichen Interesse einer Sportorganisation liegt.

Diese Gründe für Athletenorganisationen stellen sich selbstverständlich nur dann als vorteilhaft heraus, wenn sie auch professionell aufgestellt und organisiert sind und folglich auch so funktionieren, dass sie ihre Aufgaben effektiv wahrnehmen können. In Teil 2 dieses Beitrags gehen wir auf die Hauptpunkte der Strukturierung ein. Zunächst lohnt sich jedoch eine Abgrenzung zu bestehenden Gefässen zu machen, bei denen Athleten bereits heute mitwirken und die in den meisten internationalen Sportverbänden vorkommen.

Abgrenzung zu Athletenkommissionen und Athletenvertretern

Einzelsportarten kennen häufig die in die Strukturen von internationalen Sportverbänden eingebetteten Athletenkommissionen. Entweder wählt jeweils die Delegierten-/Vereinsversammlung die Mitglieder solcher Athletenkommissionen, oder der Vorstand. Die Vereinsversammlung bei internationalen Sportverbänden besteht normalerweise aus den einzelnen Nationalverbänden und somit juristischen Personen als Vereinsmitgliedern – teilweise sind jedoch auch natürliche Personen als Delegierte und damit Vereinsmitglieder vorgesehen; wie dies beispielsweise beim Internationalen Olympischen Komitee der Fall ist. In beiden Fällen sind jedoch keine (aktiven) Athleten als Vereinsmitglieder (mit Stimmrechten) vorgesehen.

Auch Athletenkommissionen haben mitunter das Ziel, Athleten einer Sportart zu vertreten, eine Verbindung zwischen dem internationalen Sportverband und den Athleten herzustellen und den Austausch zu fördern. Athletenkommissionen verfügen nur in den seltensten Fällen über tatsächliche Entscheidungsmacht. Vielmehr sind sie zur Ausarbeitung von Entscheidvorlagen für den Vorstand oder die Vereinsversammlung, zur Stellungnahme über sporttechnische Belange oder zu Wahlempfehlungen zuständig.

Bei Athletenvertretern handelt es sich normalerweise um von der Vereinsversammlung gewählte (oder auf Wahlempfehlung von Athleten bestätigte) Mitglieder im Vereinsvorstand eines internationalen Sportverbands. Üblicherweise sind sie somit vollwertiges Vorstandsmitglied.

Sorgfalts- und Treuepflichten von Athletenvertretern

Wenn Athletenvertreter im Vorstand einer Sportorganisation sitzen, so treffen sie verschiedene Sorgfalts- und Treuepflichten, die in der Schweiz neben den vereinsrechtlichen und statutarisch festgelegten Pflichten in erster Linie aus dem Auftragsrecht herrühren. Dabei können Athleten jedoch schnell in einen Interessenkonflikt geraten. Die Sorgfalts- und Treuepflicht in der Funktion als Vorstandsmitglied führt nämlich dazu, dass Athletenvertreter prioritär die Interessen dieser Sportorganisation wahren und dabei beispielsweise auch bestimmte Geschäfte und andere Informationen geheim halten müssen, die sie nicht mit anderen Athlet:innen teilen oder besprechen können. Im Zuge dessen kann vorkommen, dass sie bestimmte Geschäfte mit dem "Hut" der Sportorganisation bearbeiten und darüber auch entsprechend entscheiden oder abstimmen müssen, obwohl sie dies einzig mit Blick auf Athleteninteressen anders beurteilen würden. Das ist aus verschiedensten Gesichtspunkten auch richtig so und darüber hinaus wie oben erläutert auch rechtlich erforderlich.

Wie jedoch mit solchen Interessenkollisionen von Vorstandsmitgliedern übergeordneter Verbände als Delegierte von untergeordneten Verbänden rechtlich umzugehen ist, ist ein anderes Thema, worauf wir in einem anderen Beitrag gesondert eingehen werden. Die Besonderheit im Sport besteht darin, dass oft ganze Organe (auch Vereinsvorstände) aus Delegierten untergeordneter Verbände bestehen und demnach bei einem Geschäft, dass für sie mit einem Interessenkonflikt behaftet ist, unverzüglich in den Ausstand treten müssten; wodurch ein Organ schnell handlungsunfähig werden könnte. Als Athletenvertreter in der Funktion als Mitglied des Vereinsvorstand empfiehlt es sich jedoch, sofort bei Kenntnis eines Interessenkonflikts notwendige Massnahmen zu ergreifen (z.B. bei der Verhandlung und dem Beschluss im Rahmen der Vereinsvorstandssitzung in den Ausstand zu treten, bei dem über eine Budgetkürzung entschieden wird, welche jene Sportart unter dem Dachmantel des internationalen Verbands betrifft, bei der auch die betreffende Athletin und Vereinsvorständin aktiv ist).

Bestehende Athletenorgane als Ergänzung zu Athletenorganisationen

Generell ist der Einsatz von Athleten in Organen einer Sportorganisation in jedem Fall von Athleten zu begrüssen. Sowohl Athletenkommissionen als auch Athletenvertreter als Organe einer Sportorganisation verfügen über das Potenzial, Themen von Athleten in die Strukturen eines internationalen Sportverbands hineinzutragen, an den richtigen Stellen den Athletenstandpunkt anzubringen und den Austausch zu fördern. Die entsprechenden Personen in diesen Organen werden letztlich jedoch in den meisten Fällen von Verbandsfunktionären gewählt und nicht von den Athleten selbst. Daher ergänzen der Einsitz im Vorstand und die Etablierung einer Athletenkommission die erforderliche Einbeziehung von Athleten bei einem internationalen Sportverband, sie ersetzen aber normalerweise nicht eine unabhängige Athletenorganisation, die einzig vom möglichst breit abgestützten Willen der Athleten getragen wird.

Um grösstmögliche Akzeptanz und Legitimation von die Athleten betreffende Geschäfte herzustellen, braucht es eine Athletenorganisation mit eigener Rechtspersönlichkeit. Nicht nur, um Konflikten vorzubeugen und diese zu managen, sondern auch um möglichst gute Entscheidungen im Sinne eines Sports zu treffen, die zugleich auch durch den Einbezug der Athleten (wo nötig) breit legitimiert sind.

Im nächsten Teil zu diesem Beitrag gehen wir darauf ein, wie Athleten solche Organisationen gründen können und worauf bei der Strukturierung inhaltlich und beim Vorgehen hauptsächlich zu achten ist.

Autoren: Moritz Jäggy, Sven Hintermann

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