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30. April 2024 Arztzeugnis und Arbeitsunfähigkeit – Beweis oder Fake?

Bestimmt hat sich jede(r) HR-Verantwortliche oder Vorgesetzte schon darüber geärgert: Kaum tauchen in einem Arbeitsverhältnis atmosphärische Probleme auf oder kaum steht eine Kündigung im Raum, wird der Arbeitnehmende unvermittelt "krank". Damit wird eine Kündigung verhindert bzw. eine solche wäre nichtig. Dasselbe Phänomen sehen wir in unserer Praxis auch nach einer gültig ausgesprochenen Kündigung – es scheint, dass Arbeitnehmende in der Kündigungsfrist oft etwas weniger "robust" sind und durch eine "Arbeitsunfähigkeit" im richtigen Zeitpunkt aufgrund von Sperrfristen das Ende des Arbeitsverhältnisses (und damit die Lohnbezüge) verlängern. 

Selbstverständlich können Arbeitnehmende tatsächlich und legitim arbeitsunfähig sein – in den allermeisten Fällen sind sie das auch. Sie verdienen in diesen Fällen zu Recht auch den gesetzlichen Schutz. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass wir als Arbeitgeberanwälte primär bei kontroversen Fällen beigezogen werden, weshalb wir in unserer Praxis nicht selten mit einem möglichen Missbrauch des Sperrfristenschutzes konfrontiert werden. 

Wir geben nachfolgend Antworten auf die 10 häufigsten Fragen, welche uns in diesem Zusammenhang immer wieder gestellt werden: 

1. Wer muss nachweisen, dass der Arbeitnehmende krank bzw. gesund ist?

Nach dem tragenden Grundsatz von Art. 8 ZGB hat eine Partei jene Tatsachen zu beweisen, aus denen sie einen Anspruch ableitet. Es ist somit Sache des Arbeitnehmenden, seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit darzulegen und zu beweisen. 

2. Muss ein Arztzeugnis vorgelegt werden?

Das Gesetz lässt offen, ab wann ein ärztliches Zeugnis vorzulegen ist. Arbeitgeber haben daher grundsätzlich das Recht, ab dem ersten Tag der geltend gemachten Arbeitsunfähigkeit ein Arztzeugnis zu verlangen. In Gesamtarbeitsverträgen oder privatrechtlichen Arbeitsverträgen wird dies meist vertraglich geregelt. In der Regel wird ein Arbeitszeugnis ab dem dritten oder vierten Krankheitstag verlangt. 

3. Was passiert, wenn ein Arbeitnehmender kein Arztzeugnis vorlegt?

Wird trotz vertraglicher Regelung oder trotz Aufforderung des Arbeitgebers kein Arztzeugnis vorgelegt, kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmenden abmahnen und das Arztzeugnis einfordern. Was passiert, wenn der Arbeitnehmende sich weigert, ein Arztzeugnis vorzulegen, ist umstritten. Ein aggressiver Ansatz für Arbeitgeber wäre es, die Lohnzahlungen einzustellen, sofern der Arbeitnehmende seine Arbeitsunfähigkeit nicht anderweitig nachweisen kann.

4. Welchen formellen und inhaltlichen Anforderungen sollte ein Arztzeugnis genügen?

In formeller Hinsicht sollte ein Arztzeugnis datiert, gestempelt und vom behandelnden bzw. untersuchenden Arzt eigenhändig unterschrieben werden. 

Inhaltlich sollte das Arztzeugnis Angaben enthalten über (i) die Ursache der Arbeitsunfähigkeit (Krankheit oder Unfall); (ii) den Beginn, die Dauer und den Grad der Arbeitsunfähigkeit (in Prozenten); sowie (iii) das Datum und die Form der Konsultation.

5. Kann ich einem Arztzeugnis vorbehaltlos trauen?

An einem vorgelegten Arztzeugnis können unter Umständen erhebliche Zweifel bestehen. Zum einen, wenn es inhaltlich unvollständig, unklar oder unleserlich ist, wenn die Untersuchung offensichtlich fehlerhaft ist, wenn das Arztzeugnis zu spät vorgelegt oder rückwirkend ausgestellt wurde, wenn mehrere Arztzeugnisse von unterschiedlichen Ärzten vorliegen oder wenn ein Arztzeugnis ohne Untersuchung (z.B. aufgrund einer telefonischen Auskunft des Arbeitnehmenden) ausgestellt wurde. Andererseits kann auch der Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit, z.B. wenn sich der Arbeitnehmende immer vor oder nach Wochenenden oder Feiertagen krankmeldet, Zweifel an der ärztlichen Bescheinigung wecken. 

Bei Unklarheiten darf der Arzt nur sehr eingeschränkt und unter Wahrung des Arztgeheimnisses weitere Auskünfte geben. Die Diagnose des Arbeitnehmenden darf nicht offengelegt werden. Mit dem Einverständnis des Arbeitnehmenden kann jedoch ein ausführliches Arztzeugnis erstellt werden. Im Rahmen eines ausführlichen Arztzeugnisses ist es auch möglich, Angaben über die Arbeitsplatzbezogenheit der Arbeitsunfähigkeit und die Restarbeitsfähigkeit in das Zeugnis aufzunehmen. Anzugeben sind diesbezüglich eine Arbeitsplatzbeschreibung, Angaben über die Hauptaufgaben des Arbeitnehmenden, die Besonderheiten und Anforderungen des Arbeitsplatzes und die Arbeitszeiten.

6. Was kann ich als Arbeitgeber tun gegen gefälschte Arztzeugnisse? 

Streitigkeiten über die Arbeitsunfähigkeit und das Arztzeugnis sind in der Praxis keine Seltenheit. Dabei kann es vorkommen, dass Arztzeugnisse gefälscht oder verfälscht werden. Da es sich bei einem Arztzeugnis um eine Urkunde im strafrechtlichen Sinne handelt, kann eine gefälschte Bescheinigung sogar strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. In der Praxis kann diese Problematik jedoch durch Rückfragen beim Arzt, ob das ärztliche Zeugnis so ausgestellt wurde, eingegrenzt werden.

7. Was kann ich als Arbeitgeber tun gegen Gefälligkeitszeugnisse? 

Problematisch sind auch so genannte Gefälligkeitszeugnisse, bei denen trotz Kenntnis der Arbeitsfähigkeit eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wird. Die Ausstellung eines Gefälligkeitszeugnisses kann strafrechtliche und, als Verstoss gegen die für Ärzte massgebende Standesordnung der FMH, disziplinarische Konsequenzen nach sich ziehen. Anhaltspunkte für ein falsches Zeugnis können sich aus den Umständen und dem Verhalten des Arbeitnehmenden ergeben, z.B. durch wiederholtes Einreichen von Zeugnissen von jeweils unterschiedlichen Ausstellern oder durch unverhältnismässig spätes Aufsuchen des Arztes. Der Nachweis einer falschen Bescheinigung dürfte allerdings in der Praxis mangels ausreichender Informationen regelmässig schwierig sein. Als Kontrollmöglichkeit steht dem Arbeitgeber immerhin die Möglichkeit offen, die Behauptung des Arbeitnehmenden durch einen Vertrauensarzt überprüfen zu lassen (dazu sogleich, vgl. unten).

8. Was ist der Beweiswert eines Arztzeugnisses?

Das Arbeitszeugnis ist kein absolutes Beweismittel im Sinne der Zivilprozessordnung (ZPO), sondern lediglich eine Parteibehauptung, die der freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegt. Allerdings hat das Arztzeugnis ein gewisses Gewicht, da es von einer Fachperson stammt. Dennoch entscheidet das Gericht nach freier Würdigung der Beweise, ob die Tatsachenbehauptungen des Arbeitnehmenden zutreffen und das Arztzeugnis schlüssig ist. Es kann dem Arztzeugnis insbesondere die Beweiskraft absprechen, wenn es durch das Verhalten des Arbeitnehmenden während der behaupteten Arbeitsunfähigkeit widerlegt oder durch Umstände, die der Arbeitsunfähigkeit unmittelbar vorangingen, infrage gestellt wird. 

9. Kann ich einen Arbeitnehmenden zum Vertrauensarzt schicken?

Wenn Anhaltspunkte vorliegen, die die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmenden infrage stellen, können Arbeitgeber die behauptete Arbeitsunfähigkeit durch eine vertrauensärztliche Untersuchung von einem von ihm bestimmten Arzt überprüfen lassen. Die Kosten der vertrauensärztlichen Untersuchung trägt der Arbeitgeber. Das Recht des Arbeitgebers zum Beizug eines Vertrauensarztes leitet sich bereits aus der Treuepflicht des Arbeitnehmenden ab. Um Diskussionen zu vermeiden, empfiehlt es sich, eine solche Regelung explizit in den Allgemeinen Anstellungsbedingungen oder in einem Personalreglement vorzusehen. 

Bei der vertrauensärztlichen Untersuchung ist zu beachten, dass auch der Vertrauensarzt an das Berufsgeheimnis gebunden ist und die Diagnose nicht weitergeben darf. Er kann lediglich das bereits ausgestellte Arbeitszeugnis bestätigen oder nicht.

Bestätigt der Vertrauensarzt das vom Arbeitnehmenden vorgelegte Arztzeugnis, dürfte es für den Arbeitgeber äusserst schwierig werden, die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmenden zu widerlegen. Kommt jedoch der Vertrauensarzt zu einem anderen Schluss als der erstkonsultierte Arzt, kann der Arbeitgeber auf das vertrauensärztliche Untersuchungsergebnis abstellen und den Arbeitnehmenden wieder zur Arbeit aufbieten bzw. die Lohnzahlungen einstellen. Das führt oft zur Klärung der Sachlage. 

10. Kann sich der Arbeitnehmende der vertrauensärztlichen Untersuchung entziehen?

Verweigert der Arbeitnehmende seine Mitwirkung an einer rechtmässig angeordneten vertrauensärztlichen Untersuchung, kann diese nicht zwangsweise durchgesetzt werden. Aber der Arbeitnehmende muss die aus seiner Weigerung entstehenden Nachteile hinnehmen, namentlich (i) die mögliche Entkräftung des vorgängig vorgelegten Arztzeugnisses; (ii) eine mögliche fristlose Kündigung, wenn er vorher einschlägig verwarnt wurde und (iii) die (einstweilige) Einstellung der Lohnzahlung.

Haben Sie noch weitere Fragen zu diesem Thema?

Unser Arbeitsrechtsteam steht Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.
 

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