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Kategorien: Immaterialgüterrecht, Blog
Der Handel mit gefälschter Markenware spielt sich zunehmend online ab. Immer häufiger werden Fälschungen in Kleinstmengen importiert. Zur Abwehr solcher Importe können Markeninhaber in der Schweiz Unterstützung durch die Eidg. Zollverwaltung beanspruchen. Abhängig von den Umständen des Einzelfalls kann es auch angezeigt sein, gegen den Importeur privat- und/oder strafrechtlich vorzugehen. Es gilt dabei verschiedene Fallstricke zu beachten.
Der Online-Handel mit gefälschter Markenware floriert – das Internet ist heute der primäre Vertriebskanal für Fälschungen (vgl. dazu auch unseren Beitrag aus der Reihe "Online Enforcement"). Zunehmend wird gefälschte Markenware in geschlossenen Netzwerken (wie etwa in geschlossenen Gruppen sozialer Netzwerke) feilgeboten. Online bestellt und dann importiert wird die gefälschte Markenware immer öfters in Kleinstmengen (sog. Kapillarimporte). Die Mehrzahl dieser Importe bleibt unter dem Radar der Zollbehörden, d.h. von ihnen unentdeckt, zumal deren Kontrollen bloss stichprobenweise erfolgen (vgl. hierzu OECD/EUIPO, Misuse of Small Parcels for Trade in Counterfeit Goods – Facts and Trends, Paris 2018).
Die im Einzelnen gering erscheinenden Kapillarimporte fallen in ihrer Gesamtheit durchaus ins Gewicht. Sie schädigen nicht nur die jeweiligen Markeninhaber, sondern letztlich auch die Volkswirtschaft als Ganze nachhaltig. Auch bergen sie eine Täuschungsgefahr für Konsumenten, an die solche Importeure die Fälschungen weiterverkaufen.
Gerade die oftmals lächerlich tiefen Stückpreise führen zu zahlreichen Importen gefälschter Markenware aus klassischen Herkunftsländern wie China in die Schweiz. Zusätzlich ins Gewicht fällt dabei, dass China heute gestützt auf Regularien des Weltpostvereins postalisch noch immer als Entwicklungsland gilt und als solches von einem massiv vergünstigten Posttarif profitiert. Chinesische Anbieter können daher ihren Kunden für den Versand kleiner Mengen von (mitunter auch gefälschten) Waren in die Schweiz vernachlässigbare Kosten verrechnen. Dies schafft für Kunden geradezu einen Anreiz, bei Chinesischen Anbietern mehrere Kleinstbestellungen zu tätigen. Vermehrt versuchen Schweizer Importeure dies auszunutzen, indem sie unter dem Deckmantel "Kapillarimport" Privatgebrauch geltend machen (und dadurch versuchen, sich der Rechtsverfolgung zumindest ein Stück weit zu entziehen, vgl. unten, Fallstrick Nr. 4), tatsächlich aber durch verschiedene gleichgelagerte Importe von Kleinstmengen ein Piraterie-Geschäft aufziehen.
Hat ein Markeninhaber konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Import gefälschter Markenware in die Schweiz bevorsteht, kann er bei der Eidg. Zollverwaltung (EZV) (Oberzolldirektion) einen sog. Antrag auf Hilfeleistung stellen (Art. 71 Abs. 1 MSchG i.V.m. Art. 55 Abs. 1 MSchV). Damit kann der Markeninhaber beantragen, dass die EZV die Freigabe von Waren beim Grenzübertritt in die Schweiz verweigert bzw. die betreffenden Waren zurückbehält, wenn der Verdacht besteht, dass diese die Markenrechte des Antragstellers verletzen. Dieser Antrag gilt grundsätzlich während zwei Jahren und kann erneuert werden (Art. 55 Abs. 2 MSchV).
Ein vergleichbares Instrument besteht auch auf europäischer Ebene (EU-weit oder auf einzelne EU-Mitgliedstaaten bezogen).
Der Antrag des Markeninhabers muss sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Angaben enthalten, die für die Identifikation/das Aufgreifen gefälschter Markenware durch die EZV erforderlich sind, namentlich einen genauen Beschrieb der betroffenen (Original-)Waren (Art. 71 Abs. 2 MSchG).
Damit die EZV Fälschungen identifizieren kann, hat ihr der Markeninhaber möglichst genaue Leitlinien zu geben, wie hinsichtlich der Merkmale der Originalprodukte, typischer Merkmale von Fälschungen und allenfalls möglicher Fälschungsmethoden. Sind dem Markeninhaber typische Lieferanten, Exporteure, Importeure und/oder Empfänger von Fälschungen bekannt, sollte er auch diese in seinem Antrag benennen.
In seinem Antrag auf Hilfeleistung kann der Markeninhaber beantragen, die zurückbehaltene Ware sei nach Ablauf der Zurückbehaltungsfrist (Interventionsfrist, vgl. unten, Fallstrick Nr. 2) zu vernichten (Art. 72c Abs. 1 MSchG). Auch kann er beantragen, es seien ihm jeweils automatisch Proben, Muster und/oder Fotos der zurückbehaltenen Ware zuzustellen (Art. 72a Abs. 1 MSchG i.V.m. Art. 56a MSchV). Schliesslich kann der Markeninhaber beantragen, dass die EZV (gestützt auf Art. 13 Abs. 2bis MSchG i.V.m. Art. 13 Abs. 2 lit. d MSchG) auch für private Zwecke bestimmte verdächtige Waren im Reiseverkehr zurückbehält.
Um allfällige Schadenersatzforderungen von Dritten abzudecken, hat der Markeninhaber gegenüber der EZV eine Haftungserklärung abzugeben oder eine Sicherheitsleistung zu bezahlen (Art. 72h Abs. 1 MSchG).
Der Antrag auf Hilfeleistung enthält regelmässig Geschäftsgeheimnisse des Markeninhabers, wie etwa in einer Ware eingebaute Echtheitsmerkmale. Der Importeur könnte versucht sein, ein Einsichtsgesuch an die EZV zu richten und dadurch an diese Geschäftsgeheimnisse zu gelangen.
In seinem Urteil vom 16. Mai 2017 (B-7949/2015) hatte das Bundesverwaltungsgericht den Anspruch eines Importeurs auf Einsicht in einen Antrag auf Hilfeleistung bejaht. Es hielt fest, der Importeur verfüge über ein für diesen Anspruch vorausgesetztes schutzwürdiges Interesse. Dies deshalb, weil er gemäss eigenen Angaben infolge der Zurückbehaltung von Waren eine Schadenersatzklage gegen den Markeninhaber erwog. Das Bundesverwaltungsgericht hatte die Vorinstanz (Oberzolldirektion) angewiesen, dem Markeninhaber (nachträglich) Gelegenheit zu geben, im Antrag auf Hilfeleistung enthaltene Geschäftsgeheimnisse zu bezeichnen.
Um von Beginn weg klare Verhältnisse zu schaffen, sollte der Markeninhaber auf sein Schutzinteresse hinsichtlich allfälliger Geschäftsgeheimnisse bereits im Antrag an die EZV ausdrücklich hinweisen.
Hat die EZV aufgrund eines Antrags auf Hilfeleistung bei ihrer stichprobenweisen Einfuhrkontrolle den begründeten Verdacht, dass eine zum Import in die Schweiz bestimmte Ware Markenrechte verletzt, so teilt sie dies einerseits dem Markeninhaber (Antragsteller) und andererseits dem Importeur der Ware mit (Art. 72 Abs. 1 MSchG). In diesem Fall behält die EZV die verdächtige Ware während maximal 20 Werktagen von der Mitteilung der Zurückbehaltung an zurück (Zurückbehaltungsfrist, Art. 72 Abs. 2 und 3 MSchG). Der Markeninhaber sollte diese Zeit dazu nutzen, Proben oder Muster gemäss Art. 72a MSchG bzw. entsprechende Fotografien der verdächtigen Ware gemäss Art. 56a Abs. 1 MSchV von der EZV anzufordern (falls er dies nicht ohnehin bereits automatisch verlangt hat, vgl. oben, Einleitung). Gestützt darauf sollte er verschiedene Abklärungen treffen, wie namentlich zur Frage, ob es sich bei der zurückbehaltenen Ware tatsächlich um gefälschte Markenware handelt.
Hat der Markeninhaber auch die Vernichtung der zurückbehaltenen Ware beantragt (vgl. oben, Einleitung) und widersetzt sich der Importeur innerhalb der Zurückbehaltungsfrist dieser Vernichtung ausdrücklich, gibt die EZV die Ware dem Importeur grundsätzlich frei (Art. 72 Abs. 2 und 3 MSchG i.V.m. Art. 72d Abs. 2 MSchG e contrario). Will der Markeninhaber eine solche Freigabe verhindern, hat er die weitere Zurückbehaltung auf dem Rechtsweg mittels einer vorsorglichen (superprovisorischen) Massnahme zu erwirken.
Je nachdem, ob sich der Importeur innert der Zurückbehaltungsfrist der Vernichtung der zurückbehaltenen Ware widersetzt oder nicht, können sich für den Markeninhaber vorsorgliche (superprovisorische, d.h. ohne Anhörung des Importeurs anzuordnende) Massnahmen zur weiteren Zurückbehaltung der Ware aufdrängen. Zu unterscheiden sind die folgenden Fallkonstellationen:
Während sich bei Fallkonstellation 1 superprovisorische Massnahmen erübrigen, drängt sich dem Markeninhaber bei Fallkonstellation 2 die Erwirkung solcher Massnahmen auf.
Weil der Markeninhaber bei Fallkonstellation 3 damit rechnen muss, dass der Importeur der Ware sich der Vernichtung doch noch innerhalb der Zurückbehaltungsfrist ausdrücklich widersetzt, hat der Markeninhaber – will er sichergehen – auch hier vor Ablauf der Zurückbehaltungsfrist entsprechende superprovisorische Massnahmen zu erwirken. Andernfalls läuft er Gefahr, dass die EZV die betroffene Ware nicht vernichtet, sondern sie dem Importeur infolge der von ihm abgelehnten Vernichtung freigibt und die Ware somit in den Verkehr gelangt. Abhilfe schaffen – und unnötige Prozesse vermeiden – würde hier de lege ferenda letztlich nur die Beseitigung dieses "Gleichlaufs der Fristen" von Markeninhaber und Importeur. Konkret sollte Art. 72d Abs. 2 MSchG nicht mehr auf Art. 72 Abs. 2 und 3 MSchG, sondern nur noch auf Art. 72 Abs. 2 MSchG verweisen.
Nach Art. 13 Abs. 2 lit. d MSchG (i.V.m. Art. 55 Abs. 1 lit. a MSchG) kann der Markeninhaber dem Importeur gefälschter Markenware (bei Vorliegen von Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr) den weiteren Import solcher Ware verbieten. Dieses Recht steht dem Markeninhaber auch zu, wenn der Import der betreffenden Ware zu privaten Zwecken erfolgt (Art. 13 Abs. 2bis MSchG).
Handelt es sich um einen Import zu gewerbsmässigen Zwecken, stehen dem Markeninhaber gegenüber dem Importeur (bei Vorliegen von Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr) weitere Verbietungsrechte nach Art. 13 Abs. 2 MSchG (i.V.m. Art. 55 Abs. 1 lit. a MSchG) zu, wie das Verbot des Angebots, des Inverkehrbringens und der Lagerung solcher Waren. In diesem Fall kann je nach den Umständen des Einzelfalls auch ein strafrechtliches Vorgehen gegen den Importeur angezeigt sein.
Die Abgrenzung zwischen Privatgebrauch und gewerbsmässigem Gebrauch ist in der Praxis zuweilen schwierig – an Rechtsprechung hierzu fehlt es (jedenfalls im Bereich des Privatrechts) weitgehend.
Privatrechtlich gilt als gewerbsmässig jeder Gebrauch, der auf eine wirtschaftliche Betätigung gerichtet ist, wobei weder Entgeltlichkeit noch Gewinnabsicht vorausgesetzt sind. Erfasst ist jeder marktgeneigte Gebrauch, d.h. jede auf dem Markt wahrgenommene oder zumindest wahrnehmbare Verwendung eines Zeichens. Die Schwelle zum gewerbsmässigen Gebrauch ist dabei tief angesetzt – bei Privatpersonen ist im Allgemeinen dann von gewerbsmässigem Gebrauch auszugehen, wenn ihr Handeln "das im privaten Bereich Übliche" übersteigt.
Es gilt anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob von einem privat oder von einem gewerbsmässig motivierten Import auszugehen und welches Vorgehen gestützt darauf gegen den Importeur angezeigt ist.
Wir empfehlen Markeninhabern, die mit Importen gefälschter Markenware konfrontiert sind, einen Antrag auf Hilfeleistung an die EZV zu erwägen und sich mit den erwähnten Fallstricken vertraut zu machen, um im konkreten Einzelfall angemessen zu reagieren.
Dabei und auch bei der Rechtsdurchsetzung im Einzelfall unterstützt Sie unser Immaterialgüterrechtsteam gerne.
Unsere Serie "Online Enforcement" thematisiert Besonderheiten bei der Durchsetzung von Rechten im Internet.
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