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1. Dezember 2020 Person tippt auf Handy vor dem PC

Revision des UWG: Deutlich schärfere Vorschriften gegen Telefonwerbung treten in Kraft

In Kürze:

  • Werbeanrufe auf nicht im Telefonbuch eingetragene Nummern neu verboten
  • Telefonwerbung nur noch mit Schweizer Telefonnummern erlaubt
  • Verwendungsverbot für Informationen aus unlauteren Werbeanrufen 
  • Fernmeldedienstanbieter müssen unlauter genutzte Nummern sperren
  • Bundesrat postuliert Einschränkungen auch bei bestehender Geschäftsbeziehung

Der neue Buchstabe "w" der Tatbestände in Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG) ist unscheinbar, hat es aber in sich: Ab dem 1. Januar 2021 soll es künftig unlauter und strafbar sein, sich auf Informationen zu "stützen", die aus unlauteren Werbetelefonaten gewonnen wurden. Und die Definition dessen, was als unlauter gilt, wird ausgeweitet. Damit dürfte es ungemütlich werden für Krankenkassen, Verlage und andere Unternehmen, die Kunden über Call Center gewinnen und dabei nicht so genau wissen, ob damit alles mit rechten Dingen zu und her ging. Und seriöse Schweizer Call Center werden es einfacher haben, den schwarzen Schafen insbesondere aus dem Ausland die Kundschaft abzujagen. Das revidierte UWG schränkt aber auch die Nummern, die für Werbezwecke angerufen werden dürfen, deutlich ein. 

Eine Gesetzesänderung unter dem Radar

Eingeführt wurde die auch rechtlich ungewöhnliche Norm vom Parlament im Rahmen einer Revision des Fernmelderechts. In der Botschaft des Bundesrates war sie noch nicht enthalten und blieb daher bisher sogar in den betroffenen Branchen weitgehend unbemerkt. Der Bundesrat stellte sich gegen die Bestimmung, da diese den "kantonalen Strafverfolgungsbehörden den Berg an Arbeit ziemlich massiv" erhöhen würde und der "Link zum Strafbarkeitsartikel [für die Profiteure von unlauteren Telefonanrufen] nicht jetzt noch hineingeschmuggelt werden" solle. Das Parlament liess sich davon nicht beeindrucken. Die Bestimmung tritt, zusammen mit weiteren Verschärfungen für Telefonwerbung und anderen, grundsätzlicheren Anpassungen im Fernmelderecht, auf den 1. Januar 2021 in Kraft.

Werbeverbot neu auch bei "unlisted numbers" 

Schon bisher war es verboten, für Werbezwecke Telefonnummern anzurufen, die in den (offiziellen) Telefonverzeichnissen der Fernmeldedienstanbieter einen Sternvermerk hatten. Das hinderte viele Call Center nicht daran, all jene Nummern von ihren Computern abzutelefonieren, die überhaupt nicht in diesen Verzeichnissen aufgeführt waren. Das ist die Mehrheit der Mobiltelefonnummern. Die Call Center programmierten ihre Anlagen so, dass sie einfach alle Zahlenkombinationen durchprobierten – sehr zum Ärger der Konsumenten. 

Das geht mit einer Anpassung von Art. 3 Abs. 1 Bst. u UWG ab Januar 2021 nicht mehr: Angerufen werden darf für Werbezwecke grundsätzlich nur noch, wer in den Telefonverzeichnissen aufgeführt ist und keinen Sternvermerk hat. Es gibt zwei Ausnahmen: Entweder hat die betreffende Person z.B. im Rahmen eines Preisausschreibens ihre Einwilligung erteilt (das steht zwar nicht ausdrücklich im Gesetz, ergibt sich jedoch aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen und entspricht auch der Praxis der Lauterkeitskommission), oder es existiert eine Geschäftsbeziehung mit ihr (das galt schon bisher, steht künftig aber im Gesetz). 

Werbung nur noch für bisherige Produkte?

Was eine "Geschäftsbeziehung" ist, wurde bisher relativ weit verstanden. Gemäss Botschaft des Bundesrates soll der Begriff nunmehr sehr eng ausgelegt werden: Eine vorbestehende Geschäftsbeziehung soll nur noch Werbung für Produkte erlauben, die "Gegenstand der bestehenden Geschäftsbeziehung sind". Sprich: Der Verlag darf einen ehemaligen Abonnenten, ob er sein abgelaufenes Abo erneuern will, aber er dürfte ihn nicht fragen, ob er womöglich an einem besonderen Leserangebot für erlesene Weine oder an einer Bootsfahrt mit den Promis interessiert ist, über welche das abonnierte Magazin laufend berichtet. So jedenfalls sieht es der Bundesrat.

Das wirft Fragen auf. Schon bisher galt, dass sich Anrufende auch auf eine bereits beendete Geschäftsbeziehung berufen konnten, solange davon ausgegangen werden kann, dass der potenzielle Vertragspartner noch interessiert sein könnte und der erste Kontakt rechtmässig erfolgte (vgl. der Leitfaden der Lauterkeitskommission). Das muss weiterhin gelten und wird auch nicht in Frage gestellt. Auch bedeutet das Kriterium einer "Geschäftsbeziehung" nicht Vertragsbeziehung. So wird der Anbieter auch die Interessenten mit Sterneintrag anrufen dürfen, mit denen er zwar nicht zum Abschluss kam, für welche er aber einen Monat später ein attraktiveres Angebot hat, um sie darüber zu informieren.

Ob aber die enge Auslegung des Bundesrates hinsichtlich des Freistellungsbereichs der bisherigen Geschäftsbeziehung sich durchsetzt, ist fraglich. Aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt sich eine solche Beschränkung nicht: Dieser schliesst nur Werbeanrufe an Sterneinträge durch jene aus, die in "keiner" Geschäftsbeziehung zum Angerufenen stehen. Das ergibt im Umkehrschluss, dass jede Geschäftsbeziehung zu einer Person genügen muss, um sie trotz Sternvermerk zu Werbezwecken anrufen zu dürfen. Auch das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot spricht für eine solche Auslegung, und eine solche ergibt sich auch aus systematischer Hinsicht: Hätte der Gesetzgeber wirklich eine Einschränkung gewollt, hätte er dies wie in Art. 3 Abs. 1 Bst. o UWG formuliert, wo die Ausnahme für bestehende Kunden nur für "ähnliche Waren, Werke oder Leistungen" gilt. 

Werbung für gleichartige Produkte muss möglich sein

Etwas strenger wird die Norm allerdings nach ihrem Sinn und Zweck auszulegen sein: Das Kriterium der Geschäftsbeziehung drückt aus, dass Anrufe dann nicht verboten sein sollen, wenn der Anrufer vom Angerufenen nicht als ein ihm unbekannter Dritten erscheint oder er ihm zwar bekannt ist, ihm aber ein Produkt oder eine Dienstleistung anbietet, die nichts mit der bisherigen Beziehung zu tun hat. Auch heute schon ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung des Einzelfalls analog die Gleichartigkeit der angebotenen Produkte bzw. deren Nähe zu den bisherigen Produkten zu berücksichtigen. Das muss auch für die Frage gelten, ob auch für Produkte Dritter geworben werden darf. Solches wird nur dann möglich sein, wenn der Dritte unabhängig von der juristischen Form vom Durchschnittsadressaten als derselbe Anbieter wahrgenommen wird. 
Nach dem Gesagten ergibt sich, dass der Zeitungsverlag seinen Abonnenten mit Sternvermerk die eigene Leserreise also weiterhin auch über einem Telefonanruf bewerben darf. Sind es keine Abonnenten mehr, fällt dies allerdings dahin. Dann wird er sie allerdings noch für ein bis zwei Jahre am Telefon zum Abschluss eines neuen Abos überreden dürfen.

Anrufe nur noch von Schweizer Nummern aus?

Es ist dies nicht die einzige Verschärfung, die ab dem 1. Januar 2021 gilt. Neu muss bei Werbeanrufen nach Art. 3 Abs. 1 Bst. v UWG sichergestellt sein, dass dem Angerufenen jeweils eine gültige, berechtigterweise benutzte und vor allem im Telefonverzeichnis eingetragene Nummer zu sehen sein muss. Will der Angerufene also wissen, wer ihn anruft, muss das zu erkennen sein, wenn er z.B. eine App verwendet, die automatisch bei jedem Anruf den dazugehörigen Namen aus dem Telefonbuch anzeigt. Hier können Call Center entweder die Nummern ihrer Auftraggeber benutzen oder sie müssen eine eigene verwenden und diese im Telefonverzeichnis eintragen. Das müssen sie für jede Nummer tun, also typischerweise für jeden Kunden, und nicht nur für eine Hauptnummer. 
Auch diese Änderung hat es in sich: Denn mit "Telefonverzeichnis" ist das offizielle Verzeichnis gemeint, das jeder Fernmeldedienstanbieter in der Schweiz führen muss. Wenn aber Werbeanrufe nur von solchen Nummern aus erlaubt sein sollen, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass in der Schweiz ab 2021 nur noch Werbeanrufe erlaubt sind, die von Schweizer Nummern ausgehen, weil nur solche in den genannten Verzeichnissen eingetragen sein können. Ausländische Anrufer müssen sich also eine Schweizer Nummer beschaffen, damit sie zulässige Telefonwerbung betreiben können. Immerhin ist das bisher möglich, sofern die Nummer hauptsächlich für die Schweiz verwendet wird.

Das Novum: Strafbewehrtes Verwertungsverbot

Den "Sack zumachen" soll schliesslich der bereits erwähnte Art. 3 Abs. 1 Bst. w UWG mit dem Verbot, sich auf Informationen zu "stützen", die in Verletzung der beiden vorgenannten Bestimmungen erlangt wurde. Das will heissen: Wenn ein Werbekunde einen Saleslead von einem Vermittler erhält, der diesen in Verletzung dieser Bestimmungen gewonnen hat, darf er ihn nicht benutzen. Tut er es doch und schreibt er diesen zum Beispiel an oder schickt er ihm eine Offerte, muss er damit rechnen, dass er sich selbst strafbar macht. Ab wann sich jemand auf eine Information "stützt" oder eben nicht mehr, wird sich zeigen, aber es ist klar, dass der Gesetzgeber das Konzept der "verbotenen Frucht" ("fruit of the poisonous tree") realisieren wollte, um den Bestimmungen gegen unerwünschte Telefonwerbung Nachachtung zu schenken. Weil die bisherigen Bestimmungen sich gegen die aus dem Ausland illegal operierenden Call Center insbesondere im Versicherungsbereich als wirkungslos erwiesen haben, soll nun gegen die Schweizer Profiteure vorgegangen werden. 

Verstösse können zwar nur bei vorsätzlicher Begehung geahndet werden, aber die Bussendrohung ist mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe (Art. 23 Abs. 1 UWG) gewichtig. Eventualvorsätzliches Handeln genügt. Das erfüllt zum Beispiel derjenige, der mit der Möglichkeit rechnet, dass der Lead aus einer unzulässig betriebenen Telefonvermarktung stammt, und nicht vernünftigerweise darauf vertrauen durfte, dass die Quelle des Leads alle Vorgaben erfüllte – etwa weil es Beschwerden von Kunden gibt. Die Call Center-Kunden werden ihre Governance also im eigenen Interesse überprüfen müssen. Es darf mit Spannung beobachtet werden, wie die Branche darauf reagieren wird.

Die Fernmeldedienstanbieter sollen schützen und sperren

Und da wären dann noch die Fernmeldedienstanbieter. Auch diese werden ab 2021 schärfer gegen die tatsächlichen und vermeintlichen schwarzen Schafe im Telefonmarketing vorgehen (müssen). Das neue Recht verpflichtet die Fernmeldedienstanbieter, ihre Kunden vor unlauteren Werbeanrufen zu schützen, "soweit es der Stand der Technik zulässt". Dazu sollen sie ein eigenes System zum Schutz vor unlauteren Werbeanrufen betreiben und auch dem Kunden "geeignete Mittel" zur Verfügung stellen, um selber Nummern zu sperren. Bis anhin waren Fernmeldedienstanbieter lediglich verpflichtet, ihre Kunden vor unlauterer Massenwerbung zu schützen. Im Rahmen dieser Schutzmassnahmen müssen Fernmeldedienstanbieter unlautere Werbung aktiv unterdrücken. Stellen sie fest, dass einer ihrer Kunden ihr Fernmeldenetz für unlautere Werbung nutzt, so müssen sie den Versand von Nachrichten bzw. den Verbindungsaufbau verhindern. 

Mit der Revision wird im revidierten UWG in Art. 26a zudem die Möglichkeit eingeführt, dass auch Staatsanwaltschaften und Gerichte bei Verstössen gegen Art. 3 UWG die Sperrung oder den Entzug der dazu genutzten Telefonnummern zur Verhinderung weiterer Verstösse anordnen können – und sogar von Domain-Namen. Sie können dies vorläufig tun, müssen also nicht den Ausgang des Verfahrens abwarten. Auch das ist ein Novum. 

Schwarze Listen der Fernmeldedienstanbieter

Den Fernmeldedienstanbietern kommt also bei der Bekämpfung von unlauteren Werbeanrufen unter dem neuen Recht eine wichtige Rolle zu. Sie können – und müssen – bestimmen, welche Nummern Sie sperren bzw. welche Anrufe sie zum Schutz von Konsumenten unterdrücken. Für Call Center, die – allenfalls zu Unrecht – auf eine schwarze Liste eines Fernmeldedienstanbieters geraten, ist kein wirksames Einspracherecht vorgesehen: Die Fernmeldedienstanbieter müssen lediglich eine Meldestelle einrichten, an welche sich Kunden wenden können, die von Sperrungen (und anderen Massnahmen) betroffen sind. Diese Meldestelle hat nur "Auskunft über die Gründe" der Massnahme zu geben und muss die Betroffenen nicht anhören. Es wird also an den Call Centers liegen, durch gute Governance sicherzustellen, dass Fernmeldedienstanbieter von der Lauterkeit ihrer Telefonwerbetätigkeit überzeugt werden können.

Autoren: David Rosenthal, Elias Mühlemann

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