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1. Neue Konzernverantwortungsinitiative
Am 29. November 2020 stimmten Volk und Stände über die eidgenössische Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» ("KOVI") ab. Die damalige Konzernverantwortungsinitiative wurde zwar vom Volk mit 50.7% äusserst knapp angenommen. Sie scheiterte jedoch letztlich am Ständemehr. Damit gibt sich das Komitee «Koalition für Konzernverantwortung» allerdings nicht geschlagen. Denn am 7. Januar 2025 präsentierte das Komitee eine neue Initiative zur Konzernverantwortung. Gemäss Medienberichten haben die Initianten innert zweier Wochen über 180'000 Unterschriften gesammelt. Deutlich wird damit, dass die neue Konzernverantwortungsinitiative den Nerv der Zeit trifft.
Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die neue Initiative zur Konzernverantwortung näher zu analysieren. Nachfolgend wird der wesentliche Inhalt der neuen Volksinitiative mit dem Titel «Für verantwortungsvolle Grossunternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» dargestellt. Zu einem späteren Zeitpunkt soll eine Würdigung der neuen Konzernverantwortungsinitiative (Teil 2) erfolgen. Im Falle einer Annahme der Initiative sollen schliesslich Vorschläge für deren Umsetzung skizziert werden (Teil 3).
2. Anwendungsbereich
A. Auslandsaktivitäten von Schweizer Grossunternehmen
Die neue Initiative zur Konzernverantwortung erfasst «Grossunternehmen mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz» (vgl. Art. 101a Abs. 2 E-BV). Die neue Konzernverantwortungsinitiative erfasst somit Schweizer Grossunternehmen oder präziser deren Auslandsaktivitäten, um den Menschenrechts- und Umweltschutz auch im Ausland sicherzustellen. Dies ergibt sich einerseits aus dem Wortlaut von Art. 101a Abs. 3 lit. a E-BV [«Die Unternehmen erfüllen auch im Ausland (…)»], andererseits aus der systematischen Stellung von Art. 101a E-BV, der unmittelbar nach der Aussenwirtschaftspolitik (Art. 101 BV) folgen soll.
Eidgenössische Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Grossunternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt», in: BBl 2025 7 Art. 101a Verantwortungsvolle Wirtschaft 1 (…). 2 Er [der Bund] regelt dafür die Pflichten von Grossunternehmen mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz. Er kann zudem sektorspezifische wirtschaftliche Tätigkeiten mit grossen Risiken einer Beeinträchtigung der Menschenrechte und der Umwelt regeln. 3-5 (…) [Hervorhebungen nur hier]. |
Von der Regelungslogik her dürfte die Vorlage primär auf wirtschaftliche Aktivitäten von Schweizer Grossunternehmen abzielen, die von der Schweiz ausgehen und im Ausland negative Auswirkungen auf den Menschenrechts- und Umweltschutz haben. Nicht restlos klar erscheint demgegenüber, ob die neue Initiative z.B. auch Tätigkeiten von Tochterunternehmen von Schweizer Grossunternehmen erfasst, die ausschliesslich vom Ausland ausgehen. In diesem Sinne lässt sich nämlich Art. 101a Abs. 3 lit. c E-BV deuten, wonach Schweizer Grossunternehmen auch für Schäden haften, die durch sie kontrollierte Unternehmen im Ausland verursacht werden. Dies wäre insoweit problematisch, als dadurch die Vorlage unmittelbar in die Souveränität des ausländischen Staates eingreifen würde.
B. Ab welcher Grösse ist ein Unternehmen betroffen?
Der Initiativtext selbst führt nicht näher aus, ab welcher Grösse ein Unternehmen den neuen Pflichten unterstehen wird. Gemäss Initianten sollen die neuen Pflichten für Konzerne ab 1'000 Mitarbeitenden und 450 Millionen Umsatz gelten. Aus dem Initiativtext selbst lässt sich diese Grösse jedoch nicht ableiten. Der Gesetzgeber wird daher bei der Regelung des Anwendungsbereiches über einen Spielraum verfügen, wenn die Initiative von Volk und Ständen angenommen wird.
3. International abgestimmte Lösung
Die Initiative verlangt, dass der Bund bei der Ausgestaltung der neuen Pflichten für Schweizer Grossunternehmen die in Absatz 3 von Art. 101a E-BV statuierten Grundsätze beachtet. Der Bund hat dabei «internationale Leitlinien» sowie die «europäischen Entwicklungen» zu beachten (vgl. Art. 101a Abs. 3 E-BV). Welche internationalen Erlasse bzw. Richtlinien konkret gemeint sind, lässt der Initiativtext jedoch offen. Zu denken ist z.B. an die EU-Richtlinie 2024/1760 über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit ("CSDDD"), die UNO-Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechten ("UNO-Leitprinzipien") sowie an die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Mit der Orientierung an internationalen Vorgaben nehmen die Initianten einen gewichtigen Einwand des Bundesrates zur KOVI auf, wonach das Schweizer Recht bei der nachhaltigen Unternehmensführung international abgestimmt sein soll. Dies bekräftigte der Bundesrat jüngst an seiner Sitzung vom 21. März 2025, indem er über das weitere Vorgehen bei der nachhaltigen Unternehmensführung erst entscheiden will, sobald die EU über ihre angekündigten Vereinfachungen zur CSDDD entschieden hat (vgl. Medienmitteilung vom 21. März 2025).
Eidgenössische Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Grossunternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt», in: BBl 2025 7 Art. 101a Verantwortungsvolle Wirtschaft 1-2 (…). 3 Er [der Bund] beachtet dabei basierend auf den internationalen Leitlinien und unter Berücksichtigung der europäischen Entwicklungen die folgenden Grundsätze: (…) 4-5 (…) [Hervorhebungen nur hier]. |
Damit stellt die neue Konzernverantwortungsinitiative fest, dass die Schweiz bei der Konzernverantwortung auf einen Swiss Finish verzichten soll, indem sie keine strengeren Regeln als jene einführt, die z.B. in der EU gelten. Der Bundesgesetzgeber soll mit anderen Worten bei der Umsetzung der Konzernverantwortung auf schweizerische Verschärfungen verzichten. Daraus lässt sich schliessen, dass für die Schweiz kein Anlass bestehen wird, Verschärfungen der EU ins schweizerische Recht zu übernehmen, wenn die EU selbst auf solche verzichten wird.
Eine andere Frage ist, inwiefern der Bundesgesetzgeber bei der Konzernverantwortung aufgrund von Art. 101a Abs. 3 E-BV weniger strenge Regeln als die EU einführen darf. Mit anderen Worten stellt sich die Frage, inwieweit der Bundesgesetzgeber über einen Spielraum für Erleichterungen im schweizerischen Recht verfügen wird, wenn die Initiative von Volk und Ständen angenommen wird. Mit der Formulierung «basierend» sowie «unter Berücksichtigung» ist – rein grammatikalisch betrachtet – ein gewisser Spielraum für solche Erleichterungen von internationalen Vorgaben im Schweizer Recht durchaus denkbar. Im Falle einer Annahme der neuen Initiative sollte der Bundesgesetzgeber daher diesen Spielraum nutzen, damit Schweizer Unternehmen im Ausland weiterhin wettbewerbsfähig bleiben.
4. Welche Massnahmen sind vorgesehen?
A. Sorgfaltsprüfungspflicht (Art. 101a Abs. 3 lit. a E-BV)
Gemäss Art. 101a Abs. 3 lit. a E-BV müssen Schweizer Grossunternehmen eine auf den Menschenrechts- und Umweltschutz zugeschnittene Sorgfaltspflicht erfüllen. Die Vorlage sieht mit anderen Worten eine menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung durch Grossunternehmen mit Sitz in der Schweiz vor:
Eidgenössische Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Grossunternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt», in: BBl 2025 7 Art. 101a Verantwortungsvolle Wirtschaft 1-2 (…). 3 Er [der Bund] beachtet dabei basierend auf den internationalen Leitlinien und unter Berücksichtigung der europäischen Entwicklungen die folgenden Grundsätze: a. Die Unternehmen erfüllen auch im Ausland die zur Respektierung der international anerkannten Menschenrechte und der internationalen Bestimmungen zum Schutz der Umwelt erforderliche Sorgfaltspflicht; diese erstreckt sich risikobasiert über die Geschäftsbeziehungen. b.-c. (…). 4-5 (…) [Hervorhebungen nur hier]. |
Der Initiativtext führt nicht näher aus, welche Massnahmen Schweizer Grossunternehmen im Rahmen dieser Sorgfaltspflicht erfüllen müssen. Es wird daher in erster Linie die Aufgabe des Bundesgesetzgebers sein, die konkreten Sorgfaltsmassnahmen auf Gesetzesstufe zu konkretisieren. Naheliegend erscheint, dass sich der Bundesgesetzgeber an den UNO-Leitprinzipien sowie an den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen orientieren wird, die folgende Dreiteilung vorsehen:
- Zunächst werden Schweizer Grossunternehmen die negativen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit im Ausland auf Menschenrechte und die Umwelt ermitteln und bewerten müssen.
- Hat eine konkrete Geschäftstätigkeit tatsächlich negative Auswirkungen, so hat das Schweizer Grossunternehmen angemessene Massnahmen zu ergreifen, um solche Auswirkungen im Ausland zu verhindern, zu minimieren und zu beheben.
- Das Schweizer Grossunternehmen hat Rechenschaft über die ergriffenen Massnahmen abzulegen.
Bereits seit dem 1. Januar 2022 sind bestimmte Unternehmen in der Schweiz dazu verpflichtet, jährlich in einem Bericht Rechenschaft über Umweltbelange (CO2-Ziele), Sozialbelange, Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte sowie die Bekämpfung der Korruption abzulegen (vgl. Art. 964a ff. OR). Unternehmen mit Risiken in Bereichen der Kinderarbeit und der Konfliktmineralien müssen zudem besondere und weitergehende Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten einhalten (vgl. Art. 964j ff. OR und VSoTr). Die in der Initiative vorgesehene Sorgfaltspflicht geht allerdings über diese gesetzlichen Sorgfaltsmassnahmen hinaus, weshalb im Falle einer Annahme der Initiative gesetzliche Anpassungen notwendig sein werden.
Gemäss Art. 101a Abs. 3 lit. a E-BV soll sich die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht auch über Geschäftsbeziehungen des Schweizer Grossunternehmens erstrecken, wobei diese «risikobasiert» erfolgen soll. Die neue Initiative sieht somit eine ausdrückliche Sorgfaltspflicht in Bezug auf Menschenrechte und Umweltschutz vor, die auch Geschäftsbeziehungen des Unternehmens erfasst. Unklar ist, ob sich diese Pflicht auch auf Geschäftsbeziehungen von Unternehmen im Ausland, die von Schweizer Grossunternehmen kontrolliert werden, erstreckt oder nicht.
B. Reduktionszielen mit Absenkpfaden
Gemäss Art. 101a Abs. 3 lit. b E-BV sollen Schweizer Grossunternehmen zudem dafür sorgen, dass ihre Geschäftstätigkeit im Einklang mit dem international vereinbarten Temperaturziel steht. Mit dem international vereinbarten Temperaturziel dürfte der Zielkorridor von 1.5 °C bis 2 °C gemeint sein, auf den sich die Staatengemeinschaft im Pariser Klimaübereinkommen verständigt hat. Zur Erreichung dieses Temperaturziels sollen Schweizer Grossunternehmen für ihre direkten und indirekten Treibhausgasemissionen Reduktionsziele mit Absenkpfaden festlegen und umsetzen. Eine solche Pflicht sah die KOVI demgegenüber nicht vor:
Eidgenössische Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Grossunternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt», in: BBl 2025 7 Art. 101a Verantwortungsvolle Wirtschaft 1-2 (…). 3 Er [der Bund] beachtet dabei basierend auf den internationalen Leitlinien und unter Berücksichtigung der europäischen Entwicklungen die folgenden Grundsätze: a. (…). b. Die Unternehmen sorgen dafür, dass ihre Geschäftstätigkeit im Einklang ist mit dem gestützt auf den aktuellen Stand der Wissenschaft international vereinbarten Temperaturziel; sie legen dazu für ihre direkten und indirekten Treibhausgasemissionen Reduktionsziele mit Absenkpfaden fest und setzen diese um; für Unternehmen mit geringen Emissionen kann das Gesetz die Befreiung von diesen Pflichten vorsehen. c. (…). 4-5 (…) [Hervorhebungen nur hier]. |
Solche Reduktionsziele sieht zwar bereits das CO2-Gesetz in Art. 3 Abs. 1 vor, wonach die Treibhausgasemissionen der Schweiz bis 2030 mindestens halbiert werden müssen. Zudem kann der Bundesrat gestützt auf Art. 3 Abs. 4 CO2-Gesetz für einzelne Wirtschaftszweige konkrete Reduktionsziele festlegen. Die CO2-Gesetzgebung sieht jedoch spezifisch für Schweizer Grossunternehmen keine expliziten Reduktionsziele vor, weshalb im Falle einer Annahme der Initiative Anpassungen in der CO2-Gesetzgebung nötig sein werden. Zu klären wird dabei sein, ob und inwieweit CO2-Verminderungen auch im Ausland getroffen werden dürfen und welche Folgen aus einem allfälligen Verfehlen des CO2-Reduktionsziels resultieren (z.B. eine allfällige CO2-Sanktion).
C. Haftung von Schweizer Grossunternehmen aufgrund von Menschrechtsverletzungen durch kontrollierte Unternehmen
Nach Art. 101a Abs. 3 lit. c E-BV sollen Schweizer Grossunternehmen bei Verletzung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht schliesslich für Schäden haften, die durch sie kontrollierte Unternehmen verursacht werden:
Eidgenössische Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Grossunternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt», in: BBl 2025 7 Art. 101a Verantwortungsvolle Wirtschaft 1-2 (…). 3 Er [der Bund] beachtet dabei basierend auf den internationalen Leitlinien und unter Berücksichtigung der europäischen Entwicklungen die folgenden Grundsätze: a-b. (…). c. Die Unternehmen haften bei Verletzung der Sorgfaltspflicht nach Buchstabe a auch für den Schaden, den durch sie kontrollierte Unternehmen verursacht haben; das Gesetz sorgt für einen wirksamen Rechtsschutz und sieht insbesondere eine angemessene Regelung für die Erbringung von Beweisen vor; die gestützt auf diese Grundsätze erlassenen Bestimmungen sind auch auf internationale Sachverhalte anwendbar. 4-5 (…) [Hervorhebungen nur hier]. |
Mit der Vorlage soll folglich eine Haftung von Schweizer Grossunternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltvergehen im Ausland eingeführt werden, die durch sie kontrollierte Unternehmen verursacht werden. Bereits die KOVI sah eine solche Haftung vor, die die im Schweizer Recht etablierte Haftungstrennung juristischer Personen aufweichen wird. Auch die Haftungsbasis (international anerkannte Menschenrechte und internationale Bestimmungen zum Schutz der Umwelt) ist relativ offen, weshalb diese neue Haftung (wiederum) umstritten sein dürfte.
5. Zusammenfassung und Ausblick
Die neue Konzernverantwortungsinitiative ist materiell in weiten Teilen mit der KOVI deckungsgleich. Neu ist hingegen, dass die Vorlage explizit eine international abgestimmte Lösung schaffen und Schweizer Grossunternehmen zu Reduktionszielen mit Absenkpfaden verpflichten will. Weiterhin soll eine Haftung von Schweizer Grossunternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltvergehen im Ausland eingeführt werden, die durch sie kontrollierte Unternehmen verursacht werden.
Solche Regelungen sind aus rechtlicher Sicht problematisch, weil sie gefestigte und bewährte Konzepte der Rechtswissenschaft auf den Kopf stellen. Bereits aus diesem Grund ist eine kritische Würdigung der neuen Konzernverantwortungsinitiative unerlässlich, die Gegenstand des zweiten Blog-Beitrages sein wird.
Autor: Joel Drittenbass